Duisburg. Kriegsweihnacht 1914: Volksschullehrer schrieben auf, wie ihre Schüler das Fest erlebt hatten. Ergreifende Berichte lagern im Duisburger Stadtarchiv.
Als vor 100 Jahren die Menschen Weihnachten feierten, war es für viele Duisburger kein fröhliches Fest. Denn 1914 stand ganz im Zeichen des Ersten Weltkriegs, schlimmes Leid durchzog Europa und die Stadt.
An der Front starben unzählige Soldaten, viele Familien trauerten um einen geliebten Angehörigen. Den Vater, den Bruder oder den Ehemann, der gefallen war. In ergreifenden Berichten, die Stadtarchivar Andreas Pilger zusammengetragen hat, wird nun ein Bild sichtbar, welche Ängste und Hoffnungen Duisburger Schüler zur ersten Kriegsweihnacht hatten. Und wie sie die schreckliche Dimension des Kriegs einschätzen konnten.
Alle denken an die armen Soldaten im Schützengraben
Basis dieser Zeitzeugenberichte sind Schriftstücke, die Duisburger Volksschullehrer vor einem Jahrhundert erstellt hatten. Das Thema war dabei, wie die Kinder den Krieg zu Weihnachten erlebt haben. So schrieb die Lehrerin Helena Boden: „Im Anschluss an das Lesestück ‚Warum wir uns auf den Winter freuen’ wurde über die gemütlichen Winterabende gesprochen. Es wurde aber gesagt: ‚In diesem Jahre sind die Winterabende bei vielen Leuten traurig. Alle denken an die armen Soldaten im Schützengraben. Bei vielen ist der Vater oder der Bruder fort.’“
Es war auch eine Zeit, in der die Menschen – und die Kinder – Zuflucht und Halt in der Religion suchten. So heißt es weiter: „Eine Schülerin sagte: ‚Wir müssen jetzt jeden Abend zusammen den Rosenkranz beten.’ Kurze Zeit vor Weihnachten fiel von einer meiner Schülerinnen der Vater, von einer andern der Bruder. Ich suchte bei allen Kindern reges Mitleid mit den beiden Mitschülerinnen zu erwecken. Wir nahmen uns vor, in der nächsten Woche jeden Morgen für den gefallenen Vater und den gefallenen Bruder zu beten.“
„Bei uns war Weihnachten keiner so recht froh"
Auch bei dem Bericht des Lehrers oder der Lehrerin A. Hesse war die Sorge um den Vater groß: So sagte Schüler M. B.: „Bei uns war Weihnachten keiner so recht froh, wir dachten viel an unseren Vater in der Gefangenschaft. Mutter war so traurig.“ Doch es gab zumindest hier eine gute Nachricht: „Um zehn Uhr schellte es, ein Brief vom Vater war gekommen. Mutter las ihn; wir schauten ihr über die Schulter. Als sie fertig war, sagte sie: Was für eine Weihnachtsfreude für uns, dass der Brief heute kam.“
Bei der Kriegsweihnacht lernten die Kinder auch zu verzichten, wie A. Hesse weiter schildert: „Die Kleinen haben im Krieg bereitwilliger entsagen gelernt. So sagte M. Sch.: „Das Christkindchen hatte dieses Jahr für uns nicht so viel Geld, weil Krieg war, und es den Soldaten auch was bringen wollte. Das schadet nicht, wenn nächstes Jahr der Krieg um ist, kriegen wir wieder mehr.“
„Rührend war ihre Begeisterung und Ausdauer"
Zeitzeugenbörse leistet Erinnerungsarbeit
Das historische Foto vom Weihnachtsfest 1914 stammt vom der „Zeitzeugenbörse Duisburg“ aus dem Bestand von Reinhold Stausberg. Der Verein mit Harald Molder an der Spitze hat es sich zur Aufgabe gemacht, Erinnerungsarbeit zu betreiben und die Zeitgeschichte anhand von historischen Dokumenten erfahrbar zu machen.
Dafür sucht sie auch weiter Zeitzeugen. Weitere Informationen und Kontakt unter www.zzb-duisburg.de
Doch die Kinder wollten auch etwas für die Soldaten tun, wie E. Schneider von seinen oder ihren Schülerinnen berichtet: „Rührend war ihre Begeisterung und Ausdauer, mit der sie in jeder freien Zeit für die Soldaten strickten. Zu Weihnachten wurden dann kleine Liebesgabenpakete an die im Felde stehenden Väter und Brüder geschickt.“
Die Kinder hätten dann einen Brief dazu geschrieben und die Pakete zur Post getragen. Und weiter heißt es: „Die Freude über die Dankesschreiben, die nun einliefen, teilte die ganze Klasse, weil doch alle dazu beigetragen hatten, dem Vater oder dem Bruder eine kleine Weihnachtsfreude zu bereiten.“
Heiligabend und zu viel Glühwein
Auch 30 Jahre später, 1944, feierten die Duisburger Weihnachten – den Kriegswirren zum Trotz. Kurt Sons, der damals noch ein Schuljunge war, hat an das Fest eine ganz besondere Erinnerung.
Nach Bombenangriffen im Frühjahr 1943 wurde Sons mit seiner Mutter – ebenso wie viele andere Duisburger Familien – evakuiert. Sie fanden Zuflucht bei einer Familie in Württemberg. Der Vater blieb zunächst in Duisburg und kam am Heiligen Abend 1944 nach einer gefährlichen und anstrengenden Reise bei seiner Frau und seinem Sohn an. Ein wohl größeres Weihnachtsgeschenk hätte es nicht geben können, schließlich wussten Mutter und Sohn nicht, ob er noch lebte.
In einem Restaurant gab es dann eine kleine Bescherung, Schuljunge Kurt aber blieb in der Stube – am warmen Ofen. Plötzlich bekam er Durst. Und da enden seiner Erinnerungen. „Was dann geschah, kenne ich nur aus Erzählungen meiner Mutter.“
Am späten Abend informierte die Vermieterin seine Eltern darüber, dass ihr Junge einen hochroten Kopf habe und fantasiere. „Sie wollten schon einen Arzt rufen, als sie einen Blick auf den Ofen und die dort abgestellte Kanne Glühwein warfen“, erzählt er. Der kleine Kurt hatte die Kanne alleine gelehrt.