Duisburg. Franz Discher (75) gehörte zu den letzten Berufsschäfern. In Duisburgs Rheinauen leben seine 700 Schafe. Über einen langsam aussterbenden Beruf.
Franz Discher ist in den Duisburger Rheinauen zuhause. Sechs Jahrzehnte lang begleitete er als Schäfer seine Herde entlang der mit Gräsern bewachsenen Deiche. Immer dorthin, wo Futter war. Nach über 60 Jahren gibt er Stock und Hut aus der Hand.
Bis zu 700 Tiere zählten zu seiner Herde, die noch immer in den Rheinauen um Beeckerwerth und Walsum grasen. Was die Schafe für ihn bedeuten? „Mein Leben“, antwortet der 75-Jährige kurzsilbig. Und auch wenn es Nutztiere sind, an deren Ende des Lebens oft die Begegnung mit dem Schlachter steht – sein Blick verrät: Es ist die Wahrheit.
Abschied nach 60 Jahren: Franz Discher hört als Schäfer auf
1959 kommt Franz Discher mit 14 Jahren aus der Schule. Sein Weg war da schon vorbestimmt: „Mein Vater war auch schon Schäfer.“ Regelmäßig begleitet er das Familienoberhaupt zur Herde, bis ihm Schäferstock und Hut übergeben werden und er die Verantwortung trägt.
Alles im Blick zu behalten, war damals nicht immer einfach. Deshalb wurde Discher stets von seinen Hunden begleitet. Die Vierbeiner sorgen als lebendige Zäune dafür, dass die Schafe in einem bestimmten Grasabschnitt bleiben. Ob er die Tiere auseinander halten konnte? „Ja, jedes Schaf sieht anders aus“, sagt Discher, der bei einigen Lämmern auch Geburtshelfer war.
Schäfer: Traumberuf oder aus der Zeit gefallen?
Viele haben eine idealisierte Vorstellung über das Berufsbild des Schäfers. Sie sehen die Weite der Natur, die Zeit an der frischen Luft, weit weg von den viel befahrenen Straßen Duisburgs. Dazu die Ruhe, die nur vom Blöken der Schafe sowie vom Reißen und Kauen der lebendigen Rasenmäher unterbrochen wird.
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Sie löchern deshalb beim Spaziergang entlang der Deiche den Hirten interessiert mit Fragen, gerade wenn Lämmchen da sind. Doch was sie nicht direkt sehen: Der Beruf steht für harte Arbeit und Verzicht. „Man muss jeden Tag da sein, egal ob Ostern, Pfingsten oder Weihnachten.“
Preis für Wolle ist im Keller
Von morgens 9 Uhr bis zur Dunkelheit begleitete er seine Tiere, bis sie abends erneut eingezäunt wurden. In manchen Nächten sind sie ausgebrochen. „Wenn das Telefon klingelt und die Polizei dran ist, dann fährt man auch nachts um 2 Uhr zur Herde.“
Oft reicht der Lohn eines Schäfers nicht dazu, eine Familie zu ernähren. Der Preis etwa für Wolle ist im Keller. Pro Schur gibt ein Schaf zwei bis vier Kilogramm Wolle. „Für das Kilo gab es zuletzt 30 Cent“, erklärt Discher, der in Mönchengladbach lebt. Vor Jahren waren es mehrere Euro.
Scherer werden aus Neuseeland eingeflogen
Das Problem an der Sache: Alleine der Scherer, der mit elektrischen Schermaschinen den Winterpelz der Schafe abnimmt, kostet mehr. Unterm Strich bleiben rote Zahlen und der wertvolle Rohstoff verkommt mehr und mehr zum Abfallprodukt.
Beim Thema Schur hat Discher den Wandel miterlebt. Während der Prozess vor vielen Jahren noch sechs Wochen gedauert hat und jedes Schaf mit der Handschere bearbeitet wurde, fliegt heutzutage ein hochprofessionalisiertes Scherer-Team aus Neuseeland ein, das mehrere Herden in der Region an die Wolle geht. „In einem Tag sind die fertig“, sagt Discher. 2 Minuten und 30 Sekunden dauert es pro Schaf, dann ist der tierische Friseurbesuch geschehen.
Schäfer: Nur ein Azubi 2020 in NRW
Dass der archaisch anmutende Schäferberuf zunehmend ausstirbt, stimmt den 75-Jährigen wehmütig. Wie die Landwirtschaftskammer NRW auf Nachfrage mitteilt, hat lediglich eine Person im Jahr 2020 die Ausbildung zum Tierwirt mit Fachrichtung Schäferei, so die richtige Berufsbezeichnung, begonnen. Im Jahr zuvor gab es bei den 20 Ausbildungsbetrieben in NRW zwei Azubis.
Für seine Schafe hat der 75-Jährige aber einen Nachfolger gefunden: Der Meidericher Ralf Stallmeister übernimmt die Tiere. Aus der Welt ist er für die Schafe nach sechs Jahrzehnten aber nicht. Mit seiner Frau Martina wird er noch oft die mit vielen Erinnerungen verbundenen Rheinauen besuchen. So wie damals, mit Blick auf seine Herde umgeben von Natur. „Ich werde es vermissen. Es war mein Leben.“
>> BEI DEN SCHAFEN LIEBEN GELERNT
• Franz und Martina Discher haben sich vor über 30 Jahren in den Rheinauen kennen- und lieben gelernt. "Durch die Schafe sind wir uns nähergekommen", sagt Martina Discher. Zusammen haben sie eine Tochter.
• Der Beruf des Schäfers ist auch wichtig für die Landschaftspflege. Mit dem sogenannten goldenen Tritt sorgen die Schafe für einen festen Deichboden, was gerade bei Hochwasser wichtig ist. In ihrem Fell nehmen sie außerdem die Samen vieler Pflanzen mit und sorgen so immer wieder für deren Verbreitung.