Dortmund.. Zur ersten Ratssitzung mit „SS-Siggi“ fährt die Polizei auf, was sie hat. Hundertschaften machen das Dortmunder Rathaus zur Festung. Die Neonazis frohlocken dennoch: „So viele Flugblätter kann ja keiner verteilen.“

Der Mann, vor dem Dortmund sich fürchtet, geht am Stock. Allerdings, dessen Knauf ist ein silberner Totenkopf, und die Stadt hat bereits erlebt, wie bedrohlich sein Besitzer sein kann: Am Wahlabend vor gut drei Wochen stürmten Gefolgsleute von Siegfried Borchardt das Rathaus, es gab Verletzte und ein Foto, das den neuen Abgeordneten der Partei „Die Rechte“ im Handgemenge zeigt. Warum? „Keine Gewalt“, sagt der 60-Jährige am Mittwoch gelassen, „ist auch keine Lösung.“

Hundertschaften machen das Rathaus zur Festung

Der Mann, den Dortmund seit den 80er-Jahren als „SS-Siggi“ kennt, findet so etwas lustig. Die Stadt nicht. Sie hat Hausverbote verhängt gegen die Extremisten, hat nun die Polizei gerufen und einen Sicherheitsdienst: Bei der ersten Ratssitzung nach der Wahl, eigentlich eine öffentliche Veranstaltung, wird das Rathaus zur Festung.

Krückstock mit Totenkopf: Siegfried Borchardt sitzt im Dortmunder Rathaus ziemlich isoliert. (Foto: Ralf Rottmann)
Krückstock mit Totenkopf: Siegfried Borchardt sitzt im Dortmunder Rathaus ziemlich isoliert. (Foto: Ralf Rottmann) © WAZ FotoPool/ Ralf Rottmann | WAZ FotoPool/ Ralf Rottmann

Mannschaftswagen reihen sich um den Friedensplatz, Hundertschaften stehen mit verschränkten Armen vor verschlossenen Türen: Sie wollen jetzt nichts mehr falsch machen; es hatte Kritik gegeben nach dem Rathaussturm im Mai, die Ordnungshüter seien nicht schnell genug gewesen.

An diesem Tag werden selbst sie noch unterstützt von privaten Sicherheitsleuten, sie wollen ihre Zahl nicht nennen, aber auch sie sind viele. Und durchaus nicht einverstanden mit dem, was der Dortmunder Demokratie da gerade geschieht: „Wenn noch einer mir sagt, er hat nicht gewählt“, erregt sich einer, „dem sage ich, du bist schuld.“ Was dasselbe ist, was der Arbeitskreis gegen Rechtsextremismus erklärt: „Die Rechte hat dieses Mandat nur, weil die Wahlbeteiligung so niedrig war.“

"Über 2000 haben mich gewählt", sagt Siegfried Borchardt achselzuckend

Der Mandatsträger zuckt da nur die Schultern: „Über 2000 haben mich gewählt, und ich werde versuchen, etwas für die zu tun“, sagt der Vorbestrafte, der in diversen rechtsextremistischen Gruppen aktiv war, bevor sie verboten wurden. „Kann keiner sagen, meine Wahl wär’ aus Versehen passiert.“

Mit voller Absicht passiert deshalb nun dies: Vor dem Rathaus demonstrieren 150 Menschen („Diese Stadt hat Nazis satt“), die Ratsvertreter kommen nur durch eine Kontrolle am Seiteneingang an ihren Arbeitsplatz. Und weiter hinten hockt Borchardt mit seinen Tätowierungen, flankiert von finster blickenden Getreuen, auf einer Mauer und genießt sie als Bühne.

Ob er seinen Spitznamen mag, wird er gefragt. „Ich wäre lieber SA-Siggi.“ Das eine Prozent der Stimmen, sagt Borchardt, sei zwar „nicht die Welt“, die Publicity aber, die der Polizeieinsatz ihm beschert, gefällt ihm wohl: „So viele Flugblätter kann ja keiner verteilen.“

Nur die NPD will neben ihm sitzen

Ein Triumphzug indes bleibt ihm verwehrt, der „Neue“ kommt durch die Hintertür: der Erste, der eine halbe Stunde vor Beginn der Sitzung den Saal betritt. Siegfried Borchardt sitzt ganz hinten, direkt am Gang, auf dem Saalplan ist sein Platz braun markiert. Die Sitzordnung lässt den Stuhl neben ihm frei, eins weiter hat man einen CDU-Mann platziert, der Polizist ist. Dahinter steht ein Extra-Stuhl für den Sicherheitsdienst.

Der „Rechte“, der in die Mitte muss, aber protestiert nicht. Dafür stellt der Kollege von der NPD einen Antrag: Er möchte neben Borchardt sitzen. Eine „Gruppe“ der ganz Rechten? Abgelehnt. Es ist das einzige Mal, dass das Thema gestreift wird in dieser Sitzung, die ihre Formalia in kaum einer Stunde herunterrattert.

Dabei sind Journalisten aus ganz Deutschland gekommen, auch die „New York Times“ reiste an. Sie werden wieder melden, dass Dortmund ein Problem hat mit dem rechten Rand. „Nein“, rufen die Demonstranten ihnen entgegen, „wir sind die Hochburg des Widerstands!“ Und: „Wir sind Dortmund, die Nazis nicht!“ Die Demokratie, sagt eine Frau, könne einfach „nicht zugucken, wie etwas vorbereitet wird, was sie vernichten soll“. Die Bilder aber von der Festung Rathaus und dem Totenkopf sind in der Welt.