Dortmund. Schreck am Mittag: Wie eine nicht enden wollende Liste der Grausamkeiten las sich, welche Sparmaßnahmen für 2010 und Folgejahre angedacht waren. Nach der Sonderratssitzung, in der Interims-Kämmerer Jörg Stüdemann das 20-Millionen-Euro-Sparziel für 2009 umriss, wurde dies relativiert.
So oder so: Das so plötzlich nach der Wahl entdeckte 100-Millionen-Loch im städtischen Haushalt lässt Ullrich Sierau (SPD), dem kürzlich gewählten OB, gar keine Wahl. Er muss sich mit Regierungspräsident Helmut Diegel (CDU) verständigen.
Hat der Etat nun ein Loch oder nicht, wie es OB Langemeyer darstellt? Die offenen Fragen und widersprüchlichen Antworten, die seit Tagen den Gesprächsstoff liefern beim Einkauf, beim Friseurbesuch und am Stammtisch, hat Kultur-, Sport und Freizeitdezernent Jörg Stüdemann (SPD), inzwischen auch Kämmerer und Personaldezernent,am Donnerstag im Rat auf eine verlässliche Plattform gestellt.
Fazit: Selbst wenn's nicht ganz so dicke käme und das Land, womit nicht mal Stüdemann rechnet, tatsächlich die noch ausstehenden 41,5 Soli-Millionen nach Dortmund überwiese, droht eine Überschreitung des geplanten Jahresdefizits (27 Mio.) um knapp 85 Millionen Euro. Davon könnten noch knapp 26 Mio. der Ausgleichsrücklage entnommen werden; die wäre dann aber ausgeplündert.
Also muss die Stadt Dortmund - wie es der Regierungspräsident schon bei seiner Kenntnisnahme des Doppeletats im Mai 2008, also noch vor Beginn der Krise, an die Wand gemalt hatte - ihre allgemeine Rücklage anknabbern - und zwar in Höhe von 59,1 Mio. Euro. Damit kommt RP Diegel, was Rot-Grün unbedingt hatte vermeiden wollen, zwangsläufig ins Geschäft.
Heftige, aber auch kurze Debatte
In einem Punkt folgte ihm der Rat am Donnerstag schon: Mit großer Mehrheit gab er bei Stüdemann die Vorlage einer Nachtragssatzung für den Etat 2009 in Auftrag. Den mit Diegel abzustimmenden Entwurf dafür will der Kämmerer dem neu gewählten Rat in dessen erster Sitzung (29. Oktober) vorstellen.
Die Debatte darüber dürfte heftig, aber kurz sein: Schon am 16. November soll der Rat das bis dahin umfangreichste Sparpaket im Grundsatz abnicken - damit die Sparliste möglichst schon in 2009 entlastende Effekte bringt.
Worüber sich die Parteien im Kommunalwahlkampf gestritten hätten, wäre die Haushaltskrise früher ruchbar geworden, führte die Politik gestern vor. Mehreren Medien - auch unserer Zeitung - wurde noch vor Beginn der Ratssitzung eine Liste zugespielt. Titel: Haushaltsplanung 2010 und Folgejahre. Untertitel: Handlungsfelder zur Haushaltskonsolidierung.
Inventurliste für politischen Giftschrank
Diese Aufstellung der Stadtkämmerei liest sich wie eine Inventurliste für den politischen Giftschrank. Das beginnt mit dem Verzicht auf spektakuläre Großveranstaltungen wie der Loveparade oder Public Viewing wie bei der Fußball-WM 2006, reicht über den Selbstverzicht der Dezernenten auf Dienstwagen und üppig besetzte Büros bis hin zu Handlungsfeldern, auf denen Sparmaßnahmen besonders schmerzhaft wären. Die Überlegungen der Kämmerei gingen zum Beispiel dahin, Preise und Gebühren auf kostendeckendes oder zumindest marktübliches Niveau zu bringen - vor allem bei freiwilligen Leistungen wie den Stadttheater. Der Superweihnachtsbaum wurde enbenso zur Disposition gestellt wie die Einführung einer Benutzungsgebühr für Sportplätze und Turnhallen in Höhe von einem Euro pro Tag und Person erwogen. Sogar dem Dietrich-Keuning-Haus und anderen Kulturzentren sollte es an den Kragen gehen.
„Das waren Vorüberlegungen, die längst überholt sind. Niemand denkt mehr daran, das Keuninghaus zu schließen oder den größten Weihnachtsbaum der Welt zu streichen”, stellte Jörg Stüdemann am Abend klar. Fragliche Liste stamme von Ende Mai 2009 und sei an vielen Stellen längst überholt. An welchen - das will Stüdemann erst am kommenden Montag verraten.
Sierau gab Unterlagen weiter
Wie die Liste überhaupt in Umlauf kommen konnte, verriet der neue Kämmerer schon. Ullrich Sierau, der neu gewählte OB, habe allen Ratsfraktionen am Donnerstagmittag Unterlagen zugeleitet, die offene Fragen zu seiner Teilnahme an einer kleinen Gesprächsrunde am 5. Juni 2009 mit OB Langemeyer und der damaligen Kämmerei Uthemann klären sollen. Es gibt Mutmaßungen, wonach Sierau spätestens nach seiner Teilnahme an dieser Runde darüber informiert gewesen sei, dass der Etat 2009 aus dem Ruder läuft.