Düsseldorf. Innenminister Reul zweifelt im Landtag erstmals die Einsatzstrategie an und plant unter anderem einen Automatismus bei Bodycams.

NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) hat nach dem Tod eines 16-jährigen Afrikaners durch Kugeln aus einer Polizei-Maschinenpistole in Dortmund erstmals deutlich Zweifel an der Einsatzstrategie geäußert und Konsequenzen angekündigt. Zudem seien Disziplinarmaßnahmen gegen fünf beteiligte Beamte eingeleitet worden.

Nach den bisherigen Ermittlungsergebnissen dränge sich bei ihm „schon auch der Eindruck auf, dass bei diesem Einsatz einige Dinge nicht einwandfrei gelaufen sein könnten“, sagte Reul am Donnerstag im Landtag. „Keiner von uns, weder der Justizminister noch ich, wollen irgendetwas verheimlichen“, versicherte der Minister.

Warum ist die statische Lage im Innenhof eskaliert?

Anfang August waren insgesamt zwölf Polizeibeamte zu einer Jugendhilfeeinrichtung im Dortmunder Norden gerufen worden. Ein 16-jähriger, unbegleiteter Flüchtling aus dem Senegal saß nach bisherigen Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft offenbar in Suizidabsicht mit einem Messer vor dem Bauch im Innenhof. Es sei eine „statische Lage“ gewesen, heißt es. Doch nach dem Einsatz von Pfefferspray und missglückten, aber schmerzhaften Taser-Treffern muss die Situation dramatisch außer Kontrolle geraten sein. Ein Polizist eröffnete schließlich mit der Maschinenpistole das Feuer. Vier Kugeln trafen den jungen Mann tödlich. Gegen vier Polizisten und den Einsatzleiter wird ermittelt.

15.500 Einsätze pro Jahr im Zusammenhang mit Selbsttötungsabsicht

Reul kündigte bereits eine Reihe von Konsequenzen für künftige vergleichbare Fällen an. So sollen die Beamten besser für den Umgang mit Menschen mit Selbsttötungsabsicht sensibilisiert werden. Landesweit seien das pro Jahr rund 15.500 Einsätze, so Reul. Man könne schon wegen der Häufigkeit nicht immer auf Spezialisten warten. Verhandlungstechniken bis hin zur Körpersprache sollen auch bei normalen Einsatzkräften verbessert werden. Ebenso würden Vorschriften für den Gebrauch von Schusswaffen und Tasern hinterfragt.

Der Innenminister kündigte zudem einen neuen Umgang mit Bodycams an. In Dortmund hatte kein einziger der eingesetzten Beamten seine Uniform-Kamera eingeschaltet, um den Einsatz zu dokumentieren. Er wolle dafür sorgen, „dass die Kameras getragen werden und möglichst auch eingeschaltet sind“, so Reul. Er strebe an, dass bei einem Einsatz des Tasers die Geräte „gewissermaßen automatisch anspringen“.

Eine Tonband-Auswertung soll neue Erkenntnisse bringen

Hoffnungen auf Rekonstruktion ruhen nun vor allem auf dem aufgezeichneten, fast halbstündigen Notruf eines Mitarbeiters der Jugendhilfeeinrichtung. In dem Telefonat sollen die Schüsse zu hören sein. Spezialisten des Bundeskriminalamtes werten die Tonaufnahme zurzeit aus.

Besser genutzt werden sollen demnächst auch Dolmetscher und Sprachkompetenzen einzelner Polizisten. Im Dortmunder Fall habe ein Beamter mit portugiesischen Wurzeln den französischsprachigen Afrikaner auf Spanisch angesprochen. „Spanisch hat der 16-Jährige wohl verstanden“, so Reul. Ob aber so auf den psychisch labilen Jugendlichen angemessen eingegangen werden konnte, bleibt fraglich.