Dortmund. In der Dortmunder „Wahlbetrugs”-Affäre wird die Rolle des neu gewählten Dortmunder Oberbürgermeisters Ullrich Sierau (SPD) immer dubioser. Die Bezirksregierung in Arnsberg hat jetzt Akten aus dem Dortmunder Rathaus ausgewertet, die Sierau schwer belasten.

Danach war dem amtierenden Stadtdirektor und künftigen OB bereits Ende Mai sehr wohl bekannt, dass sich die Finanzlage der Stadt infolge der Wirtschaftskrise in dramatischer Schieflage befand. Zu dem Zeitpunkt habe die Kämmerei bereits ein Defizit von knapp 160 Mio Euro für 2009 errechnet, sowie vor weiteren Haushaltsrisiken von insgesamt über 800 Mio Euro bis 2013 gewarnt. „Für uns ist klar, dass der amtierende OB Gerhard Langemeyer und sein Stadtdirektor spätestens seit dem 29. Mai von der dramatischen Haushaltssituation gewusst haben. Darüber hätte die Kommunalaufsicht, aber auch der Dortmunder Stadtrat unverzüglich informiert werden müssen”, sagte Regierungsvizepräsidentin Karola Geiß-Netthöfel (SPD) am Freitag in Dortmund.

Keine tiefere Bedeutung beigemessen

Wer wusste wie viel? Dortmund Noch-OB Gerhard Langemeyer (li.) und sein designierter Nachfolger Ullrich Sierau. Foto: Rottmann
Wer wusste wie viel? Dortmund Noch-OB Gerhard Langemeyer (li.) und sein designierter Nachfolger Ullrich Sierau. Foto: Rottmann © WR RALF ROTTMANN

Sierau hatte am vergangenen Donnerstag im Gespräch mit der WAZ eingeräumt, die Mai-Papiere zu kennen. Die Zahlen habe er aber als Prognosewerte eingestuft und ihnen keine tiefere Bedeutung beigemessen. Zuvor hatte Sierau stets betont, von der zugespitzten Haushaltslage vor der Kommunalwahl nichts gewusst zu haben. Noch-OB Gerhard Langemeyer bestreitet bis heute, dass es ein Haushaltsloch überhaupt gibt.

Glaubt man der Bezirksregierung, dann dürfte ausgerechnet die inzwischen freigestellte Kämmerin Christiane Uthemann (SPD) noch die beste Figur im Dortmunder Etatdrama abgegeben haben. „Frau Uthemann hat getan, was sie tun musste und den Oberbürgermeister pflichtgemäß über die Finanzkrise informiert”, so ein hoher Beamter der Kommunalaufsicht. Die Qualität der Kämmerei sei exzellent. Sierau, Langemeyer und die Spitzen von Partei und Ratsfraktion haben dagegen rigoros mit der Parteigenossin abgerechnet und ihr alle Schuld in die Schuhe geschoben. Ihre Abwahl als Kämmerin gilt als sicher. Viele in Dortmund sehen die 54-Jährige dagegen als klassisches Bauernopfer.

Langemeyers Klage noch nicht eingegangen

Ferdinand Aßhoff, Leiter der Kommunalaufsicht, erhebt schwere Vorwürfe gegen Ullrich Sierau.
Ferdinand Aßhoff, Leiter der Kommunalaufsicht, erhebt schwere Vorwürfe gegen Ullrich Sierau. © WAZ FotoPool

Noch-OB Gerhard Langemeyer scheint es derweil nicht eilig zu haben, dem Arnsberger Regierungspräsidenten Helmut Diegel (CDU) den Vorwurf des Wahlbetrugs untersagen zu lassen. Die am vergangenen Montag von Langemeyer angekündigte Klage ist beim zuständigen Verwaltungsgericht Arnsberg bis gestern nicht eingegangen.

Gespannt sein darf man auch auf den großen Wahlkampf-Auftritt von SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier am kommenden Dienstag in der Dortmunder Innenstadt. Seit der „Wahlbetrugs”-Affäre haben Bundes- und Landespolitiker ihre „Herzkammer” tunlichst gemieden. Diesmal soll es zur Musik von Schlagersänger Roland Kaiser (SPD-Mitglied seit 2002) endlich soweit sein. Ullrich Sierau ist auf dem Podium mit von der Partie. Das bestätigte gestern die NRW-SPD der WAZ. Offen bleibt, ob der Vizekanzler, Finanzminister Peer Steinbrück und SPD-Landeschefin Hannelore Kraft ihren angezählten Neu-OB vor dem Wahlvolk fröhlich unterhaken.