Castrop-Rauxel. Wer von den beiden Eltern das Baby schüttelte, so dass es an den Folgen starb, ließ sich nicht klären. Es folgte ein Freispruch, der dem Gericht nicht leicht fiel.
Die junge Mutter auf der Anklagebank des Dortmunder Landgerichtes schützt ihr Gesicht vor den neugierigen Blicken, ihr Ehemann blickt starr geradeaus. Mit unbewegten Mienen hören Alexanders Eltern ihren Freispruch. Ein Freispruch, der dem Gericht nicht leicht fiel: Wer von ihnen beiden ihr Baby dermaßen geschüttelt hat, dass es an den Folgen starb – die 31. Große Strafkammer konnte es nicht mit der erforderlichen Sicherheit aufklären.
Der Vorsitzende Richter Ulf Pennig weiß, dass es eine unpopuläre Entscheidung ist, die er verkünden muss. Und er weist gleich am Anfang seiner Urteilsbegründung darauf hin, dass dies „kein Freispruch aus erwiesener Unschuld ist“. Denn einer, ob es nun die 21-Jährige ist oder ihr 24-jähriger Ehemann, trägt die schwerste Schuld, die ein Mensch auf sich nehmen kann: das eigene Kind getötet zu haben. Und der andere deckt diese Schuld, schützt den Partner vor der Strafe. Nach den Prinzipien unseres Rechtsstaates – im Zweifel für den Angeklagten – bleibe dem Gericht keine andere Wahl, wie der Vorsitzende Richter betonte, als das Ehepaar freizusprechen. Was auch die Staatsanwaltschaft zuvor beantragt hatte.
Ungewolltes Kind
Was an jenem späten Abend des 10. November 2009 in der damaligen Wohnung des jungen Paares an der Bochumer Straße geschah – dazu gibt es laut Gericht mehrere Versionen. Tatsache ist nur: Kurz nach Mitternacht ging bei dem Notarzt ein Notruf der Eltern ein. Bei Eintreffen des Arztes war der fünf Wochen alte Alexander bereits leblos. Drei Monate lang kämpften die Ärzte der Dattelner Kinderklinik vergeblich um Alexanders Leben. Doch wer der beiden Eltern hat dermaßen die Nerven verloren und das Baby so geschüttelt, dass es mit dem Hinterkopf auf einen harten Gegenstand aufschlug?
Der wegen Körperverletzung mit Todesfolge angeklagte Vater hatte im Prozess wohl zugegeben, den Kleinen geschüttelt zu haben. Aus Panik, weil Alexander bereits schwer atmend in seinem Bett gelegen habe, als er ins Kinderzimmer kam. Doch seine Einlassungen wechselten mehrmals, bei der Polizei brachte er einst auch seinen Vater ins Spiel. Was dafür spreche, so der Vorsitzende Richter, dass er seine Frau schützen wolle. Nach Aussagen von Verwandten und Freunden pflegte er zu ihr eine sehr enge, symbiotische Beziehung.
Auch die junge Mutter wäre nach Ansicht des Gerichtes in der Lage gewesen, Alexander die tödlichen Hirnverletzungen zuzufügen. „Ein Motiv sieht die Kammer eher bei ihr“, sagte der Vorsitzende Richter Ulf Pennig. Alexander sei von Anfang an ungewollt gewesen, auch habe man über eine Abtreibung nachgedacht. Dass die Frau um Mitternacht im Keller Wäsche aufhängt, sei unverständlich. „Denkbar ist, dass sie nach den Misshandlungen dorthin geflüchtet ist.“ Einer der beiden ist der Täter. Die moralische Schuld, die tragen sie beide.