Bochum-Innenstadt. Nach mehr als 90 Jahren gibt die Nordsee ihre Bochumer Filiale auf der oberen Kortumstraße auf. Zum Abschied wird es noch einmal emotional.

Es ist kaum zu glauben und doch traurige Wahrheit. Die Bochumer Innenstadt ist zum Jahresende wieder um eine Ikone ärmer. Die Nordsee-Filiale an der Kortumstraße schließt. Am letzten Öffnungstag zeigt Filialleiter Robert Minde noch einmal, dass er aus Leidenschaft zum Fisch verkauft und zubereitet. Drei fangfrische Karpfen liegen auf Eis in der Kühltheke. Es gibt Bretonische Fischsuppe mit Garnelen, Seelachs und Kabeljaufilet und natürlich Klassiker wie Matjes-Baguette oder Fischfrikadellen.

Blick auf das Unternehmen Nordsee

Das Unternehmen Nordsee wurde 1896 als Deutsche Dampffischerei-Gesellschaft Nordsee gegründet. Es entstand die größte deutsche Fischereiflotte. Im Jahr 1986 wurde die Fangflotte in die neu gegründete Fischfang-Union ausgegliedert. 1990 verkaufte die Nordsee ihren 27-Prozent-Anteil an die isländische Samherj.

Im Jahr 1932 gab es 128 Nordsee-Verkaufsstellen in Deutschland, darunter auch die an der Kortumstraße, und 32 in Österreich. Da hatte das Unternehmen 4400 Mitarbeitende. Heute hat das Unternehmen rund 370 Filialen in vielen Ländern Europas.

Erstaunlich vor allem, was selbst ältere Bochumer und Bochumerinnen kaum wissen: Seit mehr als 90 Jahren existiert diese Nordsee-Filiale genau an dieser Stelle an der Kortumstraße 55. „Der Mietvertrag stammt vom 1. Januar 1932“, sagt Robert Minde. „Es ist traurig, aber die zweite Krise war eine zu viel. Erst Corona und dann die explodierenden Energiekosten.“ Die Küche mit ihren Aggregaten und den Kühlgeräten verschlinge Unmengen Strom. Die Kosten hätten sich verdoppelt, „und noch ein Schüppchen mehr“.

Auch interessant

Seit 90 Jahren eine feste Größe in der Bochumer Einkaufszone: Jetzt schließt die Nordseefiliale an der Kortumstraße 55 für immer.
Seit 90 Jahren eine feste Größe in der Bochumer Einkaufszone: Jetzt schließt die Nordseefiliale an der Kortumstraße 55 für immer. © Weeke

Im Krieg wurde das Gebäude nahezu komplett zerstört, die Brandmauer zum erhalten gebliebenen Nachbarhaus zeigt noch Reste des ehemaligen Bestands. Doch der Besitzer hat die anderen Geschosse nie wieder aufgebaut, nur die Ladenlokale in der Parterre blieben erhalten.

Langjährige Kunden kommen zum Abschied

Am letzten Öffnungstag kommen noch einmal viele langjährige Kunden, um Abschied zu nehmen. Wie Robert Minde, der selbst vor vielen Jahren bei Mutter Wittig sein Kochhandwerk gelernt hat, erzählt, gehört auch Schauspieler Armin Rohde zur Stammkundschaft. „Kurz vor Weihnachten hat er seine Bestellung für die Festtage aufgegeben.“ Auch Ramazan Güven ist gekommen und holt sich etwas für seine Mittagspause. Er ist traurig, dass die Filiale schließt, obwohl es ja noch eine weitere in der Innenstadt gibt: „Das ist aber kein Vergleich. Ich werde jetzt bestimmt länger keinen Fisch mehr essen“, sagt er mit einem Augenzwinkern.

Das Nordsee-Team am letzten Öffnungstag: Olaf Kasan (l.), Filialleiter Robert Minde sowie die Buffetfachkräfte Regina Ehrlich (l.) und Dorota Grabowski.
Das Nordsee-Team am letzten Öffnungstag: Olaf Kasan (l.), Filialleiter Robert Minde sowie die Buffetfachkräfte Regina Ehrlich (l.) und Dorota Grabowski. © Weeke

In guten Zeiten gab es 16 Mitarbeitende an der Kortumstraße, die sich um die Kundschaft kümmerten. Im Sommer lockte sogar es ein kleiner Freisitz. Zuletzt gab es noch sieben Beschäftigte. Es ist eine treue Schar. Olaf Kasan, der Assistent von Minde, arbeitet sich 45 Jahren bei der Nordsee, die Buffetfachkraft Regina Ehrlich 25 Jahre und die Verkäuferin Dorota Grabowski immerhin schon 22 Jahre. Ein eingespieltes Team also, das jetzt auseinanderfällt. Die Kunden und Kundinnen am letzten Öffnungstag spenden Trost und gute Worte, während im Hintergrund schon das Räumen des Ladenlokals vorbereitet wird.

Erst kam Corona dann explodierten die Energiepreise

Robert Minde, der immerhin seit 16 Jahren Filialleiter ist, beobachtet die Entwicklung der Bochumer Innenstadt mit Sorge. Es ist 31 Jahre her, dass er zur „Nordsee“ gestoßen und bis heute dem Unternehmen treu geblieben ist. Bereits seit etwa zehn Jahren habe sich die Frequenz verändert, weniger Menschen in der Einkaufszone. Die Leerstände, die häufigen Wechsel an einzelnen, eigentlich sehr guten Standorten, hätten sich sehr negativ auf die Kundschaft bei der Nordsee ausgewirkt. Corona und jetzt die Energiekrise gaben dem Standort ganz offenbar den Rest.

Filialen in der Drehscheibe und im Ruhrpark bleiben

Das Unternehmen äußert sich auch offiziell zu der Schließung: „Leider müssen wir die Filiale in Bochum in der Kortumstraße 55 zum 31. Dezember aufgrund des auslaufenden Mietvertrages und aus wirtschaftlichen Gründen schließen“, so eine Sprecherin. Gleichzeitig verweist die Nordsee-Zentrale auf die beiden verbleibenden Bochumer Filialen in der Drehscheibe und im Ruhrpark-Einkaufszentrum.