Bottrop. .
Nie wieder, das hat sich Jürgen Essenberg geschworen. Nie wieder will er 215 Kilo auf die Waage bringen, die damals auf einem Schrottplatz stand, und Ekel empfinden beim Anblick des eigenen Körpers. Im Lauf von zwei Jahren hat er mehr als 140 Kilo an Gewicht verloren. Der 49-Jährige wiegt nun noch 71,6 Kilogramm - fast zu wenig für seine Größe von 1,78 m, meint der Hausarzt.
Das Erscheinen des schlanken Mannes löst in seinem Bekanntenkreis beim allmählichen Wiedererkennen Erstaunen aus: ,Wie haben sie das geschafft?, zitiert der Bottroper bereitwillig die meist gehörte Frage. „Das frage ich mich manchmal auch“, sagt Essenberg dann, der behauptet, er habe sich im Verlauf dieser zwei Jahre bei seiner Diät nie quälen müssen. Er wusste, was er wollte, unbedingt wollte: Abnehmen.
Unerreichbare Füße
Die Leiden der Dicken: Essenberg, bis zum Jahr 2000 kräftig, aber leidlich normalgewichtig, hat sie alle erlebt. Einen besonderen Grund für seine stetige Gewichtszunahme in den folgenden Jahren kann er nicht nennen, es kam eins zum anderen: Cola und Currywurst, Süßes und Pommes frites, regelmäßige warme und sehr späte Abendmahlzeiten hinterließen über die Jahre bleibende Spuren. „Man geht ja nicht mehr auf die Waage, weil man sich nicht mehr traut“, erinnert sich der damals selbstständige Werbekaufmann. Auf welche Waage auch? Für diese Körperfülle sind Personenwaagen nicht eingerichtet. Das leichte Übergewicht hatte sich in ein schwerwiegendes gesundheitliches Problem verwandelt.
Die Schuhe konnte er sich längst nicht mehr zubinden; er trug Slipper, denn seine Füße waren unerreichbar geworden, und die Strümpfe musste ihm seine Frau überstreifen. Jeder längere Fußweg wurde zur Strapaze, das Treppensteigen hinauf in den 3. Stock zur Qual. Dort blieb er dann sitzen für den Rest des Tages: Übergewicht macht einsam, weiß Essenberg heute, denn jede Bewegung bedeutet Anstrengung.
Die Schmerzen in den überlasteten Gelenken und im Rücken bekämpfte er mit Tabletten, ebenso seinen Diabetes. Weil er häufig schwitzte, litt er unter Pilzinfektionen in den Hautfalten am Körper. Niemals habe ihn seine Ehefrau ihn abgelehnt oder aufgefordert, abzunehmen. Dennoch: Zeitweilig, so der Bottroper, habe er daran gedacht, sich das Leben zu nehmen.
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Sein Entschluss abzunehmen wurde ausgelöst durch ein Erlebnis beim Arzt, der begutachten sollte, ob dem 215-Kilo-Mann mit einem Magenband geholfen werden könne, das die tägliche Nahrungsaufnahme begrenzen sollte. Dabei informierte ihn der Mediziner auch über das gewichtsbedingte und daher höhere Operationsrisiko. Seine Kreislaufwerte waren schlecht, das Herz stark belastet. Den Gedanken, bei der Operation zu sterben, hätte er verkraftet, sagt Essenberg. Aber er fand die Vorstellung unerträglich, durch die OP zum Pflegefall mit stark eingeschränkter Hirnfunktion zu werden, der seiner Ehefrau zur Last fällt. Im Januar 2009 fasste Essenberg den Entschluss abzunehmen, statt sich weiter freudlos durchs Leben zu schleppen.
Er ging seinen vernunftgesteuerten Willensakt planvoll an und entwickelte eiserne Disziplin. Er setzte sich nach gründlicher Lektüre auf eine selbst entwickelte Diät, die einfache und bekannte Regeln befolgt, auf die er heute schwört: Weniger essen bei höchstens drei Mahlzeiten täglich, abends nur leicht oder gar nicht, fette, süße und kohlenhydratreiche Nahrungsmittel wurden gestrichen. Die radikale Ernährungsumstellung begleitete tägliches Training im Schwimmbad und im Sportstudio - allerdings dauerte es Monate, bis Essenberg die Scham überwand und sich in die Gesellschaft der wohlgeformten Körper traute. Aber er sei im Studio auf viel Verständnis und Unterstützung gestoßen. Im Mai 2009 stellte sich Essenberg erstmals seit Diätbeginn auf seine Waage. Die Anzeige belegte mit Zahlen, was er fühlte: Er hatte 45 kg abgenommen. „Gott sei Dank.“ Er fühlte sich bestätigt und setzte seine Diät fort: „Man berauscht sich am eigenen Erfolg.“ Auf diese Weise unterbot er seine eigene Zielmarke von 80 kg.
Fettschürze entfernt
Bis zum Februar 2011 erinnerte eine Fettschürze am Bauch an sein Übergewicht. Auf Kosten der Krankenkasse wurde dieses Anhängsel aus hängender Haut operativ entfernt. Doch hat die Diät nicht nur seinen Körper, sondern auch seine innere Einstellung geprägt. 2009 musste Essenberg lernen, zu verzichten, nun muss er lernen, wieder zu essen, sagt sein Hausarzt. Das ist nicht einfach für einen Mann, der die Erinnerung an sein früheres körperliches Volumen fürchtet und stolz ist auf seine Gewicht: „Ich kann nicht beschreiben, was für eine Gefühl es ist, so leicht zu sein.“