Bottrop. Mehr als 11.000 Menschen in Bottrop beziehen Bürgergeld. Die Sozialleistung ist umstritten. Wer sind die Bürgergeld-Empfänger?
Seit gut einem Jahr hat das Bürgergeld Hartz IV abgelöst. Menschen, die keine Arbeit finden, oder deren Lohn oder Gehalt nicht für den Lebensunterhalt reicht, sollen davon profitieren. 11.411 Personen in Bottrop gehören einer Bedarfsgemeinschaft an, die von staatlicher Grundsicherung lebt. Wir haben uns die Daten genauer angeschaut.
Seit der Einführung des Bürgergeldes keimt immer wieder Kritik auf, dass die Sanktionen zu lasch seien, dass es zu wenige Anreize für Arbeitslose gebe, sich ins Berufsleben einzufügen. Bottrops Jobcenter-Geschäftsführerin Tanja Jesenek-Förster spricht in dem Zusammenhang von einem Paradigmenwechsel: „Der Vermittlungsvorrang wurde abgeschafft, es wurden Karenz- und Vertrauenszeiten eingeführt.“ Die Bundesregierung stritt zuletzt um die Verschärfung von Sanktionen. Nun sollen sie kommen – aber befristet auf zwei Jahre.
8041 erwerbsfähige Bottroperinnen und Bottroper beziehen Bürgergeld
Doch längst nicht alle der über 11.000 Bürgergeld-Empfänger in Bottrop sind überhaupt in der Lage zu arbeiten. 3370 von ihnen sind nicht erwerbsfähig, das heißt, sie können oder dürfen gar nicht arbeiten, zum Beispiel weil sie zu jung sind. In Bottrop gibt es laut Bundesagentur für Arbeit 5524 Bedarfsgemeinschaften, in mehr als einem Viertel von ihnen leben mindestens drei Personen. In ganz Deutschland leben rund zwei Millionen Kinder in Bedarfsgemeinschaften, die SGB-II beziehen.
Bleiben also 8041 erwerbsfähige Personen in Bottrop, die in der staatlichen Grundsicherung leben. 4149 von ihnen sind Frauen. 1473 der Bürgergeldempfänger gehen einer Arbeit nach – nur reicht das Einkommen nicht für den Lebensunterhalt. Sie sind erwerbstätige Leistungsberechtigte, die gleichzeitig über Bruttoeinkommen aus abhängiger Erwerbstätigkeit oder über einen Betriebsgewinn aus selbstständiger Tätigkeit verfügen.
Mehr als die Hälfte der erwerbsfähigen Bürgergeld-Bezieher sind Ausländer
Gut 6500 erwerbsfähige Bottroper haben keine Arbeit und beziehen Bürgergeld. Laut Bundesagentur für Arbeit sind mehr als die Hälfte von ihnen Ausländer, insgesamt 3356 Personen. „Der überwiegende Teil kommt aus den Nationen Syrien, Türkei, Ukraine, Serbien, Irak und Libanon“, sagt Tanja Jesenek-Förster.
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Aber auch die ukrainischen Bürger spielen eine große Rolle. In ganz Deutschland waren im Februar 206.250 Ukrainer arbeitslos. Während sie in Bottrop nach ihrer Flucht aus ihrer Heimat zunächst vom Sozialamt betreut wurden, sei heute, so Sozialamtsleiter Sascha Borowiak, für etwa 95 Prozent von ihnen das Jobcenter zuständig. Insgesamt sind nach Angaben des Sozialamtes seit Beginn des Angriffskrieges durch Russland auf die Ukraine 1125 Menschen, vor allem Frauen und Kinder, nach Bottrop gekommen. Teilweise sind sie vom Land NRW zugewiesen worden, teilweise haben sie sich eigenständig nach Bottrop orientiert.
In den Flüchtlingsunterkünften der Stadt leben aktuell noch rund 160 Personen, zwischenzeitlich waren es mehr als 650. Das Sozialamt erfasst allerdings nicht, wie viele eine eigene Wohnung gefunden haben, die Stadt oder sogar das Land wieder verlassen haben.
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11,3 Prozent der erwerbsfähigen Ukrainer sind erwerbstätig
Von den erwerbsfähigen Ukrainerinnen und Ukrainern, die sich in der Zuständigkeit des Jobcenters befinden, gehen lediglich 11,3 Prozent einer sozialversicherungspflichtigen oder selbstständigen Beschäftigung nach – Stand Dezember 2023. In ganz Deutschland liegt die Beschäftigungsquote von Ukrainern bei rund 19 Prozent. Andere Länder haben da deutlich höhere Quoten, zum Beispiel die Niederlande mit mehr als 50 Prozent.
Ein Vergleich mit den Nachbarstaaten mache aber keinen Sinn und sei irreführend, sagt Tanja Jesenek-Förster, da die Sozialsysteme sich stark unterscheiden. In den Niederlanden beispielsweise werden Geflüchtete deutlich schneller, dann aber ohne Sprachkenntnisse, in den Arbeitsmarkt getrieben. Das lässt sich durchaus kritisch sehen, wie Tanja-Jesenek-Förster sagt: „Die direkte Integration in Arbeit ohne Sprachkenntnisse hat wissenschaftlich belegt negative Auswirkungen auf die Nachhaltigkeit der Beschäftigungsverhältnisse.“
>>> Bürgergeldempfänger sind häufiger krank
Die AOK Rheinland/Hamburg hat in einer Studie den Krankenstand unter Bürgergeldempfängern untersucht. Demnach leiden Bürgergeld-Empfänger doppelt so oft wie arbeitende Versicherte an einer Depression oder an einer Lungenkrankheit. Zudem litten mehr Arbeitslose an einer Herzkrankheit oder Diabetes als Versicherte, die einer Arbeit nachgehen.
Die AOK NordWest, in deren Gebiet Bottrop liegt, hat eine solche Studie nicht durchgeführt und kann auf Nachfrage keine Auskünfte zum Krankenstand der hiesigen Versicherten geben.