Bottrop. Claudia Niggemann-Wallerich hat sich vor 40 Jahren als Physiotherapeutin selbstständig gemacht. Doch dabei lief nicht immer alles rund.

40 Jahre ist es schon her, dass Claudia Niggemann-Wallerich ihre eigene Physiotherapiepraxis in Bottrop eröffnet hat. Den Schritt in die Selbstständigkeit wagte die damals 26-Jährige am 15. Januar 1984. Heute, vier Dekaden später, blickt sie anlässlich ihres Jubiläums auf die vergangene Zeit zurück.

„Ich würde das immer wieder machen, eine Praxis zu eröffnen“, sagt Niggemann-Wallerich sofort. Dass die Bottroperin mit Freude und Herzblut bei der Sache ist, ist nicht zu übersehen. Als Physiotherapeutin hilft sie Menschen in ihrer Praxis am Kolpingplatz dabei, ihre Beweglichkeit zurückzugewinnen.

Doch einfach war der Start in die Selbstständigkeit für die Bottroperin nicht. „Damals gab es keine Leute. Es war wirklich unmöglich, in Deutschland Physiotherapeuten zu finden“, erklärt sie. Grund dafür: Zu dieser Zeit gab es kaum Ausbildungsplätze für Physiotherapeuten und der Arbeitskräftemarkt war dementsprechend leergefegt.

Ihre ersten Mitarbeiter kamen aus den Niederlanden – und sind bis heute geblieben

Claudia Niggemann-Wallerich hatte damals jedoch Glück und konnte mehrere Physiotherapeuten aus den Niederlanden einstellen. „Der Start war schon etwas holprig. Ich hatte gerade meinen Sohn bekommen und mich dann ziemlich schnell dazu entschieden, die Praxis hier zu eröffnen, weil sich die Chance aufgetan hat“, erzählt sie mit einem Lächeln von den durchaus anstrengenden Anfängen ihrer Praxis.

Zwischenzeitlich hatte sich die Fachkräftelage dann entspannt und sie konnte neue Physiotherapeuten für ihre Praxis gewinnen. Heute, 40 Jahre später, ist das Team der Praxis bereits auf sieben Physiotherapeuten und zwei Masseurinnen gewachsen. Besonders stolz ist Claudia Niggemann-Wallerich dabei darauf, dass die meisten ihrer Mitarbeiter bereits seit Jahrzehnten bei ihr arbeiten. „Harold, mein ältester Mitarbeiter, ist eigentlich schon seit einem Jahr in Rente, aber arbeitet immer noch hier, weil er einfach Spaß daran hat und wir ein tolles Miteinander haben“, verrät sie. Er sei damals auch aus den Niederlanden zu ihr gekommen und seither bei ihr in Bottrop geblieben.

Die Suche nach Fachkräften ist aktuell schwierig. Umso glücklicher ist die Physiotherapeutin über Barbara Leiting, Harold van Manen und Simon Büscher, die Teil ihres Teams sind.
Die Suche nach Fachkräften ist aktuell schwierig. Umso glücklicher ist die Physiotherapeutin über Barbara Leiting, Harold van Manen und Simon Büscher, die Teil ihres Teams sind. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde

Die Fachkräftlage ist mehr als schwierig: „Meine Leute sind mit mir zusammen alt geworden“

Doch obwohl das Team mittlerweile groß ist, sei die Suche nach neuen Mitarbeitern fast unmöglich. „Die Lage ist heutzutage extrem schwierig. Freie Stellen zu inserieren bringt rein gar nichts, es gibt einfach kein Fachpersonal. Leute findet man, nur wenn man Kontakte hat, über Bekannte von Bekannten“, sagt sie. Umso schöner sei es, dass ihre Mitarbeiter auch nach Jahren noch bei ihr blieben. „Meine Leute sind mit mir zusammen alt geworden“, erzählt sie lächelnd.

Warum so wenig Nachwuchs den Weg in die Physiotherapie finde, das könne sie sich nicht erklären. „Es ist so ein schöner Beruf. Man hat viel mit Menschen zu tun und zu sehen, wie die Patienten Erfolge haben, ist wahnsinnig schön“, sagt sie. Eine Anekdote fällt Niggemann-Wallerich dazu auch prompt ein. Denn an einen Patienten erinnere sie sich immer noch gut. „Er war Wirtschaftsingenieur und kam wegen seiner Schulter zu uns. Mein Physiotherapeut hat es geschafft, seine Schulter wieder voll beweglich zu machen. Der Patient war davon so begeistert und angetan, dass er nicht mehr als Ingenieur arbeiten, sondern selbst Physiotherapeut werden wollte“, erzählt sie von einem dieser vielen, besonderen Momente.

Nicht immer lief alles problemlos: „Ich glaube, fast jeder Selbstständige hat Existenzängste“

„Bei uns steht die Menschlichkeit im Vordergrund. Wir sind manchmal auch wie ein halber Psychologe“, sagt sie scherzhaft. Denn während ihrer Behandlungen bekomme sie nun mal viel von den Patienten mit und könne so häufig auch mit Worten helfen. „Viele unserer Patienten kommen auch nach Behandlungsende zu uns, um mit uns einen Kaffee zu trinken. Dass sich die Menschen bei uns wohlfühlen, ist uns wichtig. Und das scheint ja gut zu funktionieren“, sagt sie.

Doch auch wenn ihr ihre Arbeit Spaß macht, blieben Sorgen in den letzten 40 Jahren nicht aus. „Ich glaube, fast jeder Selbstständige hat Existenzängste“, gibt sie zu. „Die Bürokratie ist mittlerweile eine große Herausforderung. Ich glaube, das wird immer schlimmer“, sagt sie. Vor allem Therapieberichte oder die Massen an bürokratischen Hürden, die im Kontakt mit den Krankenkassen entstehen, kosten ihr und ihrem Team regelmäßig die letzten Nerven.

„Das sind dann eben die Sachen, die die Arbeit und Selbstständigkeit unschön machen und auch viele davon abhalten“, sagt sie. „Die Krankenkassen sollten froh sein, dass es uns gibt, anstatt uns Steine in den Weg zu legen“, kritisiert sie. Doch trotz der aktuellen Hürden in Sachen Fachkräfte und Bürokratie, möchte die Bottroperin ihre Praxis noch ein paar Jahre weiter führen, bevor sie den Ruhestand antritt. „Ich hoffe, dass jemand von meinen jungen Leuten die Praxis übernimmt. Das wäre wirklich schön.“