Bottrop. Azubis übernehmen im KKH Bottrop unter Anleitung mehr Verantwortung. Für das neue Konzept erhält Ausbilderin Ilona Kochems den Talent Award.
Vier Zimmer auf der Krankenhausstation, die in der Pflege-Hand von Auszubildenden sind? Für Romina und Reyhan, Pflegeschülerinnen am Knappschaftskrankenhaus (KKH) in Bottrop, gibt’s zur Vorbereitung auf ihren Beruf nichts Besseres. „Es ist eine positive Erfahrung, weil man das selbstständige Arbeiten lernt“, sagt Romina aus dem zweiten Ausbildungsjahr. Reyhan ist schon ein Lehrjahr weiter und betont: „Es ist ein deutlicher Mehrgewinn für die Pflegeausbildung.“ Sie könne schon jetzt Routinen entwickeln, die sie als examinierte Pflegefachkraft brauche.
KKH Bottrop: Startschuss für die Apprentice Unit fiel auf der Neurologie
Die Idee zur so genannten „Apprentice Unit“ (Ausbildungseinheit) auf der Station hatte Pflegeexpertin Ilona Kochems (39) vom KKH; im November 2022 fiel der Startschuss zunächst auf der Neurologie. Ein Jahr später ist sie für diese außergewöhnliche Initiative zur Nachwuchsförderung mit dem Talent Award Ruhr ausgezeichnet worden.
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Bevor Missverständnisse aufkommen: Die Pflegefachkraft-Azubis, die auf den verschiedenen Stationen jeweils für vier feste Patientenzimmer zuständig sind, werden natürlich im Hintergrund von geschulten Praxisanleiterinnen betreut. Und die examinierten Pflegekräfte auf der Station sind ebenso wie die Ärztinnen und Ärzte als Ansprechpartner sowieso vor Ort.
Dennoch kann der Pflegenachwuchs hier sehr selbstständig arbeiten, sich gegenseitig – je nach Ausbildungsstand – anleiten und dabei die Patienten ganzheitlich betreuen, inklusive Austausch mit Ergo- und Physiotherapeuten oder dem Entlassmanagement. Statt einzelner Bausteine im Pflegealltag sehen sie das große Ganze, unterstreicht Ilona Kochems. Und arbeiten in alltäglichen, realistischen Pflegesituationen. Dabei haben die Azubis „strukturierte Anleitungen und einen strukturierten Stationsablauf“.
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Ilona Kochems hatte die Idee für die Apprentice Unit tatsächlich unter der Dusche, nach einer Spätdienstschicht, die sie zusammen mit zwei Auszubildenden absolvierte. „Wir hatten viele Entlassungen, die nicht geplant waren.“ Die Pflegeschüler hätten zwar alles Wichtige in der Schule gelernt, „aber es war schwierig für sie, das in der Praxis umzusetzen.“
Ihrer Erfahrung nach können die Pflegeschülerinnen und -schüler zudem eine komplette, große Station noch nicht fassen. „In vier konzentrierten Zimmern haben sie aber wenige Patienten. Sie sehen die Abläufe wie unter einem Brennglas“, sagt die gelernte Gesundheits- und Krankenpflegerin, die gerade an ihrem Bachelor im Fach Pflegewissenschaften arbeitet. Gleichzeitig sind auch die jeweiligen Stärken der Azubis in diesem Rahmen leichter zu entdecken.
Pflegedirektorin vom KKH Bottrop: „Die Auszubildenden sind unsere Zukunft“
Pflegedirektorin Christa Hermes unterstützte Kochems Idee von Anfang an – aus einem einfachen Grund: „Die Auszubildenden sind unsere Zukunft.“ Sie lobt den Transfer der theoretischen Inhalte in die Praxis durch die Apprentice Unit. Die Azubis erlebten – unter einem Schutzschild – Eigenverantwortlichkeit als Normalität, und das nicht erst kurz vor dem Examen. „Viele Häuser richten Schulstationen ein. Das war nicht unser Ziel.“ Die Apprentice Unit, jeweils eingerichtet auf verschiedenen Stationen, sei dagegen „eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten.“
Und wie finden die Patientinnen und Patienten es, Teil der Apprentice Unit zu sein? Ilona Kochems schmunzelt: Die empfänden das in der Regel als Gewinn. „Die Schülerinnen sind immer an den Patienten dran. Sie bauen, zeitlich gesehen, eine ganz andere Bindung zu ihnen auf.“ Bei der Pflegeanalyse zum Beispiel würden die Auszubildenden viel intensiver nachfragen. „Gerade die älteren Patienten finden das schön.“
Bislang arbeiten fünf Stationen mit der Apprentice Unit, die nächsten fünf kommen 2024 dazu. An der Pflegeschule am Knappschaftskrankenhaus in Bottrop lernen derzeit 168 Auszubildende.
Engagement für Nachwuchsförderung
Der Talent Award Ruhr wird jährlich von der Talent Metropole Ruhr verliehen. Durch die Auszeichnung sollen Menschen gewürdigt werden, die sich für Bildung und Nachwuchsförderung engagieren. Dotiert ist der Preis mit einer Fördersumme von insgesamt 20.000 Euro.
Neben Ilona Kochems wurden in diesem Jahr ausgezeichnet: Jamil Alyou (29), der einst aus Syrien floh und heute beim Flüchtlingshilfeverein „Train of Hope“ in Dortmund arbeitet; Hanim Gül (48), ehrenamtliche Leiterin der internationalen Jugendbühne „bahtalo“ in Duisburg; Kristina Gusseva und Kim Pöckler vom Verein Signal of Solidarity für ukrainische Kinder aus Witten.