Bottrop. Aufträge zur Sicherung von Flüchtlingsheimen werden in Bottrop zu Niedrigpreisen vergeben. Kötter-Security-Chef Kaus sagt, warum das riskant ist.

In Bottrop findet ein massiver Preiswettbewerb bei öffentlichen Aufträgen an Sicherheitsfirmen statt. Andreas Kaus, Geschäftsführender Direktor von Kötter Security, erklärt im Interview, welche negativen Auswirkungen das auf die Qualität hat, welche Gefahren damit einhergehen und was Kommunen besser machen können.

Die durch die Stadt Bottrop erfolgte Vergabe von Sicherheitsaufträgen nach dem reinen Preiskriterium sorgt für Diskussionsstoff. Wie nehmen Sie die Vergabepraxis im Ruhrgebiet derzeit insgesamt wahr?

Andreas Kaus: Es herrscht zumeist ein riesiger Preis- und Wettbewerbsdruck – das nicht allein im Ruhrgebiet, sondern bundesweit. Zwar gibt es auch im öffentlichen Sektor solche Kunden, die sich um ihre Sicherheit größtmögliche Gedanken machen und in Qualität investieren. Mit diesen arbeiten wir erfolgreich zusammen, beim Schutz von Behörden und Museen genauso wie bei der Sicherheit für Unterbringungseinrichtungen. Aber: Das ist nach unserer Erfahrung nur der kleinere Teil der öffentlichen Auftraggeber. Der Großteil setzt bei der Vergabe auf den billigsten Preis. Qualitätsaspekte spielen hier allenfalls eine untergeordnete Rolle, zumeist sogar gar keine.

Preiswettbewerb bei Sicherheitsaufträgen: „Bottrop ist kein Einzelfall“

Bottrop ist also kein Einzelfall?

Keinesfalls, eher fast schon die Regel – leider! Der überwiegende Teil der uns bekannten öffentlichen Ausschreibungen wird zu 100 Prozent nach Preis vergeben. Ein Problem, das nicht nur die Sicherheit, sondern z. B. auch die Reinigungsbranche betrifft. Und wenn qua offizieller Sprachregelung der Vergabestelle das Thema Qualität vermeintlich doch im Fokus steht, erleben wir u. a. Folgendes: Als zentrale Kriterien gelten dann z. B. drei Referenzen, die aber nicht weiter hinterfragt werden, oder der angebliche Qualitätskatalog beschränkt sich auf reine Ja-/Nein-Fragen, die keine individuellen Lösungen zulassen. Und manche Kommunen vermelden als „Königsweg“ die Gründung einer eigenen Servicegesellschaft – nachdem sie zuvor das Thema Qualität vernachlässigt hatten.

In Bottrop wurden Sicherheitsaufträge für Flüchtlingsunterkünfte für 18,60 Euro/Stunde vergeben. Warum können Sie als größtes Sicherheitsunternehmen der Region so einen Preis nicht anbieten?

Da ich die detaillierte Kalkulation des Marktbegleiters nicht kenne, kann ich zu diesem Einzelfall keine konkrete Bewertung abgeben. Aber nach unserer allgemeinen Erfahrung und den eigenen Kalkulationen für vergleichbare Objekte fällt es mir schwer nachzuvollziehen, wie dies machbar sein soll. Vielleicht hilft das folgende ganz grobe Beispiel: Der Tariflohn (ohne Zulage) für den Schutz von Flüchtlingsunterkünften beträgt in NRW derzeit 14,49 Euro je Stunde. Hinzu kommt der Arbeitgeberanteil für die Sozialversicherungsabgaben in Höhe von rund 20 Prozent – das wären dann schon ca. 17,40 Euro.

… und der Rest?

Von den restlichen 1,20 Euro müssen dann noch folgende Posten bedient werden: Lohnfolgekosten z. B. für Urlaub oder Krankheit, Dienstkleidung, Kosten für die Personalgewinnung, Verwaltung etc. – sowie vor allem Aus- und Weiterbildung auf so wichtigen Feldern wie interkulturelle Kompetenz, Deeskalation und Konfliktmanagement. Denn es sollten keine ungeschulten Sicherungskräfte auf geflüchtete Menschen treffen, die ggf. traumatisiert sind. Zu guter Letzt möchte und muss ein Unternehmen auch Gewinn erwirtschaften. Das alles zusammen ist mit den 18,60 Euro je Stunde bei weitem nicht abbildbar.

Andreas Kaus, Geschäftsführender Direktor bei Kötter Security, sagt: „Wenn bei Niedrigstpreis-Kalkulationen am Ende immer weniger Geld übrig bleibt, um alle anfallenden Kosten zu decken, geht die Negativspirale los.“
Andreas Kaus, Geschäftsführender Direktor bei Kötter Security, sagt: „Wenn bei Niedrigstpreis-Kalkulationen am Ende immer weniger Geld übrig bleibt, um alle anfallenden Kosten zu decken, geht die Negativspirale los.“ © FFS | Kai Kitschenberg

Sicherheitsdienste: Negativspirale bei Niedrigstpreis-Vergabe

Welche Probleme sehen Sie konkret bei der Niedrigstpreis-Vergabe öffentlicher Aufträge an Sicherheitsunternehmen?

Kein Unternehmen, auch kein Billiganbieter, möchte am Schluss draufzahlen. Hier aber beginnt das Risiko. Wenn bei Niedrigstpreis-Kalkulationen am Ende immer weniger Geld übrig bleibt, um alle anfallenden Kosten zu decken, geht die Negativspirale los: Mitarbeiter erhalten nicht den vollständigen Lohn oder es werden Azubis als vollwertige Arbeitskräfte eingesetzt, Beschäftigte bekommen keine Dienstkleidung und erscheinen in Privatdress, Sicherheitskräfte werden nicht mehr fortgebildet etc. Daher gilt: Wettbewerb ist wichtig, aber Qualität mindestens genauso – denn Sicherheit braucht Profis! Wir benötigen deshalb schnellstmöglich eine umfassende Neuausrichtung bei öffentlichen Ausschreibungen und Vergaben! Und diese heißt: Qualität muss Vorfahrt haben vor reinen Preiskriterien.

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Ist dies für die Kommunen realistisch machbar?

Uns ist bewusst, dass gerade viele Städte nur sehr begrenzte personelle Ressourcen u. a. für das Management und die juristische Beurteilung solcher Vergaben haben. Aber auch dafür bestehen Lösungswege: z. B. durch verstärkten Know-how-Austausch zwischen den Kommunen oder mit den Bezirksregierungen. Hier gibt es gute Vorbilder, da einige Kommunen bereits der bewährten Vergabepraxis von Bezirksregierungen folgen.

Das heißt in Summe: Die Sicherheit leidet erheblich unter rein kostengetriebener Vergabe?

Ganz massiv. Daher gilt: Das scheinbar billigste Angebot wird für den Kunden zum Schluss oft am teuersten. So kann nicht nur die Sicherheit durch unzureichende Leistung leiden. Nachjustieren oder Neuausschreiben sorgt auftraggeberseitig für Folgekosten, die so zumeist nicht bedacht werden. Hinzu kommt die Gefahr von Imageschäden durch das Fehlverhalten unqualifizierter oder unmotivierter Sicherheitsmitarbeiter, die nicht tarifgerecht bezahlt werden, oder die Weitergabe an Subunternehmer bzw. sogar Subsubunternehmer. Hier sind die Auftraggeber auch in den Kommunen in der Pflicht, um durch Kontrollen die tarifgerechte Bezahlung und Qualifikation zu prüfen.

„Je sensibler das zu schützende Objekt, umso höher müssen die Qualitätsstandards sein“

Sie sprachen bereits von einer notwendigen Neuausrichtung bei öffentlichen Vergaben. Was sollte sich in jedem Fall ändern?

Um Qualität und damit verlässliche Sicherheit zu gewährleisten, muss die Vergabe nach dem sogenannten Bestbieterprinzip erfolgen. Die öffentlichen Stellen müssen also so vergeben, dass die Qualität und eben nicht der Preis überwiegt. Dabei ist klar: Je sensibler das zu schützende Objekt, umso höher müssen die Qualitätsstandards und damit in der Folge auch der Preis sein.

Welche Qualitätskriterien sind dies genau, die z. B. von den Städten einbezogen werden sollten?

Hier geht es um eine Vielzahl von Kriterien. Diese reichen von der ordnungsgemäßen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Unternehmers und die Einhaltung aller Tarif- und Sozialstandards über die korrekte Überprüfung sowie erforderliche Aus- und Weiterbildung der Beschäftigten bis zu Planung und Infrastruktur. Zu letzteren zählen etwa Dienstpläne, Dienst- und Schutzkleidung sowie ein notwendiger Fuhrpark. Hilfestellungen bei der Berücksichtigung und Bewertung dieser Aspekte gibt das Bestbieterhandbuch, das vor fast 25 Jahren vom Europäischen Dachverband des privaten Sicherheitsgewerbes, CoESS, gemeinsam mit dem Europäischen Gewerkschaftsbund UNI-Europa und maßgeblicher Unterstützung der EU entwickelt und 2015 aktualisiert wurde.

Zur Person

Andreas Kaus ist Geschäftsführender Direktor in der Kötter Security Gruppe und verantwortlich unter anderem für das Sicherheitsgeschäft des Familienunternehmens im Ruhrgebiet.

Die Kötter Unternehmensgruppe mit Sitz in Essen beschäftigt über 15.600 Mitarbeiter. Sie ist das größte Familienunternehmen Deutschlands in der Sicherheitsbranche mit 90 Niederlassung an mehr als 50 Standorten.