Bottrop. Der 20-jährige Daniel aus Bottrop versucht, seine Cannabis-Sucht in den Griff zu bekommen. „Ich wurde ultrasüchtig. Es wurde immer mehr.“

Fünf Jahre Sucht. Fünf Jahre Abhängigkeit. Zwischendurch hoffnungsvolle Neustarts, Scheitern. Heute weiß Daniel (Name von der Redaktion geändert), dass er es ohne Hilfe nicht raus schaffen wird, aus diesem zerstörerischen Kreislauf. Der Weg dahin ist eine Herausforderung für ihn. Seine Erfahrungen möchte der junge Bottroper teilen.

Daniel ist heute 20. Mit Cannabis kam er in der Mittelstufe in Berührung, durch einen älteren Schüler. Beim Probieren, auch um cool zu sein, ist es nicht geblieben. Schnell geht ihm der Gedanke ans Kiffen nicht mehr aus dem Kopf. Heute sagt Daniel: „Ich habe in der Grundschule eine leichte Hyperaktivitätsstörung gehabt. Vielleicht hat es mir deshalb so gut gefallen, weil ich mit Cannabis runterfahren konnte.“ Noch heute beschreibt er die Wirkung so, dass sein Kopf zur Ruhe kommt.

Mutter: „Wenn er unterwegs war, kam er mit glasigen Augen nach Hause“

Er fällt mit einem Joint auf, fliegt von der Schule. Doch ein Neuanfang will nicht gelingen. In der neuen Klasse gibt es Mitschüler, die auch Cannabis konsumieren. „Als er in der zehnten Klasse war, hat er nur gekifft. Wenn er unterwegs war, kam er mit glasigen Augen nach Hause“, erzählt Daniels Mutter.

Längst hatten sie sich da Hilfe beim Jugendamt geholt. Ein Jahr lang standen Sozialarbeiter dem Jungen und den Eltern zur Seite. Die Lage schien im Griff zu sein, doch Daniel hat Einsicht und Kooperation nur vorgetäuscht. „Ich habe gelogen, gelogen, gelogen“, sagt er. „Ich wurde ultrasüchtig. Es wurde immer mehr.“

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Die Corona-Pandemie mit ihren Einschränkungen wirkt verstärkend. Es bleibt nicht bei Alkohol und Cannabis. So lernt er bei einer berufsorientierenden Maßnahme ein Mädchen kennen, mit der zusammen er zum ersten Mal Koks ausprobiert. Nicht sofort, aber bald darauf ist er süchtig nach diesem Stoff. Der ihm später allerdings auch Panikattacken beschert. „Ich hatte Herzrasen, ich dachte, ich sterbe.“

Der Mutter macht ihre Hilflosigkeit zu schaffen, schließlich stellen seine Eltern Daniel vor einem Jahr vor die Wahl: „Du holst dir Hilfe – oder wir schmeißen dich zu Hause raus.“ Ein paar Wochen später beginnt er tatsächlich mit einem Entzug. Doch statt drei Wochen in der Klinik zu bleiben wie geplant, bricht er den Entzug nach einer Woche ab. „Ich war sicher: Koksen werden ich auf jeden Fall nicht mehr.“ Noch einmal einen Joint zu rauchen hingegen, das erscheint ihm zu diesem Zeitpunkt zwar durchaus wahrscheinlich – aber nicht problematisch.

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Ein Nebenjob, der ihm schnell gekündigt wird – „wenn man dauerkonsumiert, kann man den Job nicht machen“ –, zwei Wochen Jugendarrest aufgrund von Cannabis-Besitz und Fahren ohne Führerschein samt Unfall, in dieser Zeit Entzugserscheinungen wie Schwitzen und Zittern, endlich ein Ausbildungsvertrag: Am Ende hat nichts davon dazu geführt, dass Daniel ein Neuanfang gelungen wäre. Zu schwer wiegt die Cannabisabhängigkeit. „Ich brauche das“, sagt er schlicht. Ein Genuss sei das nicht.

„Was man hier auf der Straße bekommt, ist heftig gestreckt“

Zumal das Rauschmittel, in Deutschland (noch) nicht legal, ja auch beschafft werden muss. „Was man hier auf der Straße bekommt, ist heftig gestreckt.“

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Anfangs, sagt Daniel, habe er gedacht, er kann alles hinbekommen, was er will. „Dann habe ich gemerkt: Ich werde 20, und es wird nicht einfach aufhören.“ Aktuell ist seine Motivation für eine Entgiftung und anschließende Therapie – außerhalb von Bottrop und den „Verlockungen“ hier – groß. Seit Dezember nehme er regelmäßig Termine bei der Drogenberatung wahr.

Seine Mutter hat den Eindruck, dass die Abhängigkeit von Cannabis oft zu sehr verharmlost werde. Für einen Therapieantrag müssen diverse Formulare eingeholt und dann eingereicht werden, zum Beispiel ein Befund bzw. Bericht vom Hausarzt. Von eben jenem Mediziner fühlte Daniels Mutter sich belächelt, er habe ihr geraten, mit ihrem Sohn den Jacobsweg zu gehen.

Ein neuer Hausarzt nahm die Sache ernst. Doch egal an welcher Stelle: Immer, so scheint es der Familie, vergeht viel zu viel Zeit bis zum nächsten Schritt. Das Warten macht Daniel, macht seine Mutter mürbe. Von Mut- und Hilflosigkeit erzählen sie.

Was Daniel hoffentlich neuen Mut gibt: Ganz frisch ist jetzt die Kostenzusage für die Therapie durch die Rentenversicherung eingetroffen. Ein Leben ohne Sucht, es könnte ein Stück näher rücken.

Hier gibt es Hilfe

Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) stellt fest: „Wer einmal an einem Joint zieht, wird nicht sofort abhängig.“ Jedoch: „Wer regelmäßig Cannabis konsumiert, kann psychisch und körperlich abhängig werden.“ Gerade die psychische Abhängigkeit könne sehr stark werden.

Demnach seien manche Jugendliche stärker suchtgefährdet als andere. Wenn folgende Faktoren zusammenkommen, steigt laut BZgA das Risiko: ein früher Beginn des Cannabiskonsums, eine anfällige psychische Gesundheit, ein Freundeskreis, in dem Drogen konsumiert werden, fehlende Unterstützung aus dem Umfeld, eine aussichtslose persönliche Lage, kritische Lebensereignisse – wie zuletzt etwa auch die Corona-Pandemie.

Kontakt zu Beratungsstellen in Bottrop: Jugend- und Drogenberatung der Jugendhilfe Bottrop e.V., 02041 2 90 31, jugendhilfe-bottrop-ev.de; Suchtberatungsstelle im Gesundheitsamt Bottrop (ab 18 Jahren), 02041 70 37 73; E-Mail an seeleundsucht@bottrop.de

Weitere Infos der BZgA im Netz: cannabispraevention.de