Bottrop. Nataliia Vasylieva flieht aus Kiew zu ihrer Studienfreundin Oksana Popsuy. So kam sie zum Sinfonieorchester Bottrop, das nun für ihr Land spielt.
Musik verbindet, und die Szene kennt sich. In diesem Bottroper Fall hilft man sich, vor allem auch in schweren Zeiten. Das erfährt Nataliia Vasylieva gerade selbst. Die Geigerin aus Kiew hat nicht nur seit sechs Wochen eine Unterkunft bei ihrer Fachkollegin Oksana Popsuy gefunden. Sie spielt auch beim nächsten Konzert des Bottroper Sinfonieorchesters mit, das die Bottroper zugunsten ihrer Heimat geben, die gerade von den russischen Nachbarn in einem Angriffskrieg Stück für Stück zerstört wird.
Odyssee von Kiew über Rumänien ins Ruhrgebiet
Nataliia – oder Natascha, wie ihre Freunde sie nennen – hat eine Odyssee durch die Ukraine über Rumänien bis nach Deutschland hinter sich. Gut drei Tage war sie unterwegs. „Am Ende ging es nur so schnell, weil meine Freundin Oksana und ihre Familie mir ein Flugticket von Rumänien nach Deutschland kaufen konnten“, so die Musikerin, die bis zum Februar noch im Orchester der Ukranian National Dance Company „Virsky“ spielte. Ein großes, rund 150 Musikerinnen und Musiker umfassendes Profi-Orchester, das normalerweise die 1937 gegründete Tanzcompagnie begleitet und auch Konzerte gibt.
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Den Ausschlag für ihre Flucht nach Westen habe ein russischer Raketenangriff gegeben, der einen ganzen Einkaufskomplex neben ihrem Haus zerstört hat, das selbst bis auf die Fenster und zerstörte Versorgungsleitungen dem Angriff standhielt. Oksana Popsuy, die seit vielen Jahren mit ihrem Mann, dem Musiker und Komponisten Ortwin Benninghoff, in Oberhausen lebt, kann die Entscheidung gut nachvollziehen. Sie ist seit der Studienzeit am Kiewer Konservatorium mit Nataliia befreundet.
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Auch ihre Mutter hat in einem halbzerstörten Haus ohne Wasser, Heizung und Energie bei Minustemperaturen leben müssen, in Tschernigow in der Nordukraine, bevor sie zu ihren Verwandten ins Ruhrgebiet kommen konnte. „Zurzeit leben wir mit 17 Personen in unserem Haus, meine Mutter hat ihr Bett in unserer Küche“, erzählt Oksana Popsuy. Sie spielt im Sinfonieorchester Bottrop seit dessen Gründung durch Ingo Brzoska. Beim Benefizkonzert in der nächsten Woche spielt sie mit Alban Pengili die Solo-Geige in einem Concerto Grosso von Antonio Vivaldi. Ruth Ansorge ist darin am Cello zu erleben, Ruth Miketta übernimmt den Generalbass am Klavier.
„Es ist in jeder Hinsicht ein besonderes Konzert, das Motto ,Halb + Halb’ deutet das schon an, aber auch, weil insgesamt vier Ukrainerinnen mitspielen“, sagt Musikschulleiter Ingo Brzoska, Dirigent des Orchesters. Proben in voller Besetzung des 70-köpfigen Ensembles seien in der Coronazeit nicht möglich gewesen, Auftritte schon gar nicht. Deshalb habe man sich dazu entschieden, auch jetzt in einzelnen Orchestergruppen aufzutreten und nach dieser Vorgabe das Repertoire auszuwählen.
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Da gibt es Stücke nur für Holz- oder Blechbläser, wie eine Mozart-Serenade für Bläseroktett oder eine Suite des englischen Spätromantikers Gustav Holst. Von ihm stammt auch die „Brook Green Suite“, bei der nur Streicher zum Zuge kommen, wie schon bei Vivaldis erwähntem „Concerto Grosso“ oder Werken von Sibelius und Ernest Bloch.
Publikum und Musiker müssen teilweise Sorge vor Corona noch überwinden
Auch jetzt werfe Corona immer noch lange Schatten, denn längst „trauten“ sich noch nicht alle Musikerinnen und Musiker wieder auf die Bühne, so dass statt 70 „nur“ gut 50 Instrumentalisten in der HHG-Aula dabei seien, so Ingo Brzoska. Aber alle hofften auf guten Zuspruch durch das Bottroper Publikum, einmal für den guten Zweck und dann auch, um das Kulturleben nach der Zwangspause wieder in Gang zu bringen.
Immerhin: Der Auftritt des Zupforchesters, das Brzoska ebenfalls leitet, in Kirchhellens St. Johannes-Kirche hatte für die Ukraine gut 800 Euro an Spenden eingebracht.
Hier gibt es die Karten
Das Konzert „Halb + Halb“ des Sinfonieorchesters Bottrop beginnt am Sonntag, 22. Mai um 16 Uhr in der Aula des Heinrich-Heine-Gymnasiums, Gustav-Ohm-Straße 65.
Karten zu 15/erm. 10 Euro gibt es an der Theaterkasse im Kulturzentrum, Böckenhoffstraße 12a oder unter 02041 70 33 08 sowie direkt an der Tageskasse im HHG.
Ermöglicht wird der Benefiz-Auftritt des Orchesters durch die Egon-Bremer-Stiftung und den Förderverein der Musikschule.