Bottrop. Josefa Stein sollte 1945 die Gustloff besteigen – und entkam knapp dem größten Schiffsunglück der Welt. Die emotionale Geschichte einer Flucht.
- Hinter Josefa Stein liegt eine emotionale Flucht. Am 7. April feiert die Bottroperin ihren 90. Geburtstag.
- Die Bottroperin sollte 1945 die Wilhelm Gustloff besteigen.
- Doch sie entkam dem größten Schiffsunglück der Welt nur knapp.
Auf der Flucht aus Ostpreußen, vor der heranrückenden Roten Armee, waren im eisigen Winter 1945 Schiffe die letzte Rettung für verzweifelte Mütter, Kinder, Verwundete, Alte. Schiffe wie die Wilhelm Gustloff, die Flüchtlinge aus der Danziger Bucht über die Ostsee gen Westen bringen sollte. Tausende drängten sich an Bord dieses Passagierschiffes; Josefa Stein aber, damals ein Teenager und mit Mutter sowie vier Geschwistern auf der Flucht, war für die Gustloff zu spät dran. Das hat ihr das Leben gerettet.
Flucht aus Ostpreußen: Die Wilhelm Gustloff sank im Januar 1945
Denn die Gustloff, von Torpedos eines russischen U-Boots getroffen, sank Ende Januar 1945, mit rund 10.000 Menschen an Bord. Viele waren im Bauch des Schiffes gefangen, und der Platz in den Rettungsbooten reichte lange nicht aus. Nur um die 1200 Menschen konnten am Ende gerettet werden. Josefa Stein, die am Donnerstag ihren 90. Geburtstag feiert, erinnert sich: „Meine Tante war auf der Flucht vor uns.“ Sie kam auf die Gustloff. Und gehörte, wie die Familie später erfuhr, zu den wenigen Geretteten.
„Die Flucht war in der Familie immer ein zentrales Thema“, sagt Sohn Andreas. Aus den Erzählungen seiner heute hochbetagten Mutter steuert er weitere Details bei: „Sie stand mit ihrer Mutter in der Warteschlange in Gotenhafen an der Reling zur Wilhelm Gustloff. Direkt vor ihr wurde die Kette gespannt, um weiteren Zutritt zu verwehren, weil das Schiff voll war.“
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Josefa Stein, ihre Mutter und Geschwister erwischten schließlich ein anderes Schiff, das sie trotz aller Wirren am Ende sicher gen Westen brachte. Doch die Wochen der Flucht, in jenem eiskalten Winter 1945, haben sich in die Seele des damals jungen Mädchens eingebrannt; viele andere Bilder stehen ihr heute noch lebendig vor Augen. Kommen gerade dann wieder hoch, wenn Josefa Stein aktuelle Nachrichten über den Krieg in der Ukraine und die von dort flüchtenden Menschen hört.
Geboren als Josefa Bludau in Rawusen im Kreis Braunsberg
Geboren ist sie als Josefa Bludau – „ein typischer Name in Ostpreußen“, so Andreas Stein – in Rawusen, im Kreis Braunsberg. Sie wohnte mit ihrer Familie auf einem kleinen Hof, der wiederum zu einem großen Bauernhof gehörte. „Die Leute auf den kleinen Höfen haben für den Großbauern gearbeitet“, erklärt Andreas Stein. „Wir kriegten Futter für die Tiere und Mehl zum Backen“, erinnert sich die heutige Bottroperin. Als Älteste der Geschwister versorgte sie die Tiere – „wir hatten Kühe, Schafe, Hühner, Enten, Gänse“ – sowie die jüngeren Kinder.
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Dann begann der Krieg, der Vater musste fort, die Ostfront rückte näher, die Familie entschloss sich zur Flucht. „Nach Weihnachten sind wir mit dem Pferdewagen los“, sagt Josefa Stein. Drei Familien seien sie gewesen; ihre damals zweieinhalbjährige Schwester habe sie, selbst noch ein Kind, manches Mal auf den Schultern getragen. In Kälte und Schnee.
Bottroperin überstand gefährliche Flucht über das Frische Haff
„Wir haben da übernachtet, wo Leute schon weggezogen waren. Teils haben wir auf dem Tisch geschlafen, teils darunter“, erinnert sie sich. Besonders eingeprägt hat sich ihr der gefährliche Weg über das zugefrorene Frische Haff. Die Flüchtenden waren Angriffen aus der Luft ausgesetzt. „Ich habe zwei Wagen gesehen, die untergegangen sind.“ Einmal seien die Erwachsenen schon bis zu den Knien im Wasser gewesen, „die Soldaten haben uns rausgezogen aufs Land“.
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Ein Problem auf der Flucht war immer, genug zu essen zu haben. Josefa erinnert sich: „Einmal, bei Danzig, hieß es: Wer kleine Kinder hat, kriegt noch Milch.“ So trotzte sie den Gefahren und ist alleine los, die Milch zu holen. „Der Heilige Geist war immer mit mir.“
Gelandet ist die Familie „Ende Februar, Anfang März“ schließlich in Bad Segeberg in Schleswig-Holstein. „Wir mussten zur Entlausung.“ 13 Jahre alt ist Josefa da, und als sie zur Schule geht, hat sie es dort schwer, weil sie Katholikin im protestantischen Norden ist. „Der Lehrer hat mich nicht drangenommen – ich war so wütend!“ Es folgen Stationen in einem Kloster in Niendorf, als Köchinnen-Lehrling an der holländischen Grenze, in einem Schuhgeschäft in Altena im Sauerland. „Das war ihre erste glückliche Zeit“, weiß Sohn Andreas Stein. Dort traf sie auch zum ersten Mal ihren späteren Mann Heinz, einen Bergmann aus Bottrop. Dass dieser einen bekleckerten Schlips trug – die junge, ein wenig pingelige Frau sah letztlich drüber weg, gründete mit ihm eine Familie.
In ihre Heimat, in die Gegend, in der sie geboren wurde, ist Josefa Stein übrigens nie wieder zurückgekehrt.
Glückwünsche zum 90. Geburtstag
Seit vergangenem Dezember lebt Josefa Stein in Caritas-Seniorenheim St. Hedwig, zuvor hatte sie eine Seniorenwohnung in Welheim. Die bezog sie nach dem Tod ihres Mannes Heinz im Jahr 2003.Zum 90. Geburtstag von Josefa Stein am Donnerstag, 7. April, gratulieren ihre Kinder Andreas und Mechthild sowie vier Enkelkinder. Die WAZ schließt sich den Glückwünschen an.