Castrop-Rauxel. . Die 88-jährige Charlotte Fischer aus Habinghorst überlebte mit 22 Jahren den Untergang der Wilhelm-Gustloff, dem Traumschiff der Nazis. Jetzt überreichte sie Bürgermeister Johannes Beisenherz einen Augenzeugenbericht und erzählte von ihren schrecklichen Erlebnissen im Januar 1945.
Sie hat überlebt, 66 Jahre liegt das zurück. Aber noch immer stocken ihr die Worte, wenn sie an diese eisige Nacht auf der Ostsee denkt. Im Januar 1945 sank die „Wilhelm Gustloff“ vor der pommerschen Küste. Das Passagierschiff sollte Menschen vor der Roten Armee in Sicherheit bringen, darunter auch Charlotte Fischer, damals 22 Jahre alt, und ihre zweieinhalbjährige Tochter.
„Plötzlich war das Schiff hell erleuchtet!“ Charlotte Fischer, heute 88 Jahre alt, erinnert sich an die Ereignisse, als wäre es gestern gewesen. „Das bleibt im Kopf – immer“, sagt sie und ihr Blick wandert ins Leere. Dann beginnt sie zu erzählen: „Wir waren auf dem Oberdeck und hatten es nicht weit nach oben, nur eine Treppe. Wir haben uns dann an der Reling festgehalten. Dort oben war ja alles vereist in dieser kalten Januarnacht.“ Und auf einmal sei alles grell erleuchtet gewesen, das ganze Schiff.
Das müssen die Einschläge der Torpedos gewesen sein, losgeschickt von einem sowjetischen U-Boot. Etwa eine Stunde hielt sich das Schiff noch über Wasser, dann sank es. „Ganz langsam hat sich das Schiff gesenkt“, erinnert sich Charlotte Fischer, die zusammen mit ihrer Mutter, ihrer älteren Schwester, einer Nichte und einem Neffen sowie ihrer kleinen Tochter an der Reling stand. „Auch die Rettungsboote waren festgefroren“, sagt die 88-Jährige und fügt hinzu: „Wer als bestes drängeln konnte, kam da rein. Das waren keine Menschen mehr.“ Sie und ihre Familie bekamen keinen Platz, gerieten ins Wasser.
Kleine Tochter starb in der eiskalten Ostsee
Die damals 22-Jährige klammert ihre kleine Tochter an ihre Körper und findet sich irgendwann – die Zeitspanne lässt sich nicht ermessen – zwischen zwei Rettungsbooten wieder. „Es war schwarze Nacht, dazu die Eiseskälte der Ostsee und überall das Geschrei der Menschen – grauenhaft.“ Die Retter wollen ihr ins Boot helfen, doch sie reicht zuerst ihre Tochter hoch. Allein, das Kind ist schon tot. Im Rettungsboot sitzt bereits ihre andere Schwester, die beiden sind die einzigen Überlebenden ihrer Familie. „Meine kleine Tochter ist auf dem Heldenfriedhof in Gotenhafen beerdigt“, sagt Charlotte Fischer.
Dem Drama auf der Ostsee folgt eine Odyssee durch Deutschland, ohne Papiere und Geld – nur mit einem Ausweis, der sie als Gustloff-Überlebende kennzeichnet. Charlotte Fischer gelangt bis nach Zwickau, wo sie zunächst bei Bekannten unterkommt und ihrer Schwester schließlich nach Berlin folgt. Von dort flieht sie gemeinsam mit ihrem Mann in den Westen, kommt so nach Castrop-Rauxel, rund 50 Jahre ist das jetzt her. „Uns war alles angenehm“, sagt die alte Dame rückblickend. „Hauptsache wieder eine feste Bleibe und ein vernünftiges Leben.“ Das fand sie schließlich in Habinghorst, zog hier ihre beiden Söhne groß.
Buch an den Bürgermeister - mit Mahnung verbunden: Nie wieder Krieg
Mit Thomas, dem jüngeren, kam sie jetzt ins Rathaus und überreichte Bürgermeister Johannes Beisenherz ein Buch über die Gustloff-Katastrophe. Sie selbst hatte den Augenzeugenbericht vor Jahrzehnten von ihrer Schwester bekommen, den Band gehegt und gepflegt – und oft gelesen. „Ich gebe Ihnen das Buch zu treuen Händen, weil ich nicht will, dass es mal irgendwo landet, wo keiner etwas damit anfangen kan“, gab Charlotte Fischer dem Bürgermeister mit auf den Weg. Mit dem Buch verbinde sie ein großes Anliegen: „Es soll seinen Zweck erfüllen: Dass die Leute nachdenken, und nie wieder Krieg führen. Denn Krieg ist das Grauen.“ Bürgermeister Johannes Beisenherz ließ Charlotte Fischer das Buch signieren und beteuerte: „Es erhält einen Ehrenplatz und wird weiter gepflegt. Das verspreche ich Ihnen.“
Bei dem rund 500 Seiten starken Buch, das Charlotte Fischer dem Bürgermeister übergab, handelt es sich um das Werk „Der Untergang der Wilhelm Gustloff: Tatsachenbericht eines Überlebenden“ von Heinz Schön. Erschienen ist das Buch erstmals 1952 Göttingen.