Bottrop. 54 Frauen und 79 Kinder fanden im letzten Jahr Zuflucht im Frauenhaus. 70 Prozent waren und sind an Leib und Leben gefährdet. Eine Bilanz.
54 Frauen und 79 Kinder haben im vergangenen Jahr Zuflucht in Bottrops Frauenhaus gefunden. Damit lag die Zahl zwar etwas niedriger als in früheren Jahren, was aber an der höheren Verweildauer in der Awo-Einrichtung gelegen hat. Die durchschnittliche Belegung des Hauses mit seinen acht Frauen- und zehn Kinderplätzen liegt bei knapp 90 Prozent. Das ist ähnlich hoch wie in den vergangenen Jahren. Für akute Notfälle bleiben da allerdings kaum Kapazitäten frei. Eine Situation, die sich in den allermeisten Frauenhäusern der Region ähnlich darstellt. Die Nachfrage übertrifft die Zahl der Plätze bei weitem.
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Was Leiterin Sandra Behrendt aber vor allem umtreibt, ist der Anstieg der schweren Gewalt gegen Frauen. „Im Durchschnitt sind 70 Prozent unserer Bewohnerinnen an Leib und Leben gefährdet, das hat in letzter Zeit, vielleicht auch durch Corona, noch einmal zugenommen“, sagt die Leiterin. „Allein schon vor diesem Hintergrund ist gut gut, dass wir in Bottrop ein so genanntes anonymes Haus haben.“
Das heiße im Klartext für die Frauen: Hier werde ich nicht gefunden. Meistens jedenfalls. Aber natürlich seien auch schon Ehemänner, Partner oder Familienangehörige vor dem Haus aufgetaucht. „Manchmal sogar mit einem Plakat ,Ich liebe Dich’, was aber nur heißt ,Ich habe Dich gefunden’, oft sogar per Handy-Ortung, das ist meist ein neuer Schock für diese Frauen“, weiß Sandra Behrendt aus jahrelanger Erfahrung.
Bottroper Frauenhaus: Viele kommen aus prekären Verhältnissen
Die allermeisten von ihnen kämen ohnehin oft aus prekären Verhältnissen, lebten von Transferleistungen, fänden sich oft im Dschungel der Anträge nicht zurecht, seien dazu oft schon in jungen überschuldet. 22 der 54 Frauen im letzten Jahr hätten einen deutschen Pass oder hiesige Wurzeln gehabt, die übrigen einen Migrationshintergrund oder sogar eine Flüchtlingsgeschichte. „Das heißt aber nicht automatisch, dass in diesen Gruppen mehr Gewalt herrscht“, schaltet sich Maria-Christina Hagemeister ein. Sie ist neue Leiterin dieses Bereiches der Arbeiterwohlfahrt für Bottrop und Gelsenkirchen.
Der höhere Migrationsanteil weise für sie darauf hin, dass in diesen Gruppen das Hilfsangebot bekannter werde, wozu auch die Mitarbeiterinnen mit Migrationsgeschichte beitrügen. Und natürlich: „Auch deutsche Frauen aus der Mittelschicht erfahren Gewalt, das geht ähnlich wie Missbrauch quer durch alle sozialen Gruppen, nur diese Frauen wissen sich meist ganz anders zu helfen, haben ganz andere Möglichkeiten zu entfliehen, auch finanzielle.“
Dreimal Corona-Quarantäne im Bottroper Frauenhaus
„Bei uns landen die Frauen, die ohnehin eher am unteren Ende der sozialen Leiter stehen und sich nicht anders zu helfen wissen“, sagt Sandra Behrendt. Hilfesuchende mit anderem Hintergrund nutzten das Frauenhaus oft als erste Anlaufstelle oder zur Beratung und sind dann schnell woanders. „Denn im Ernst: Wer möchte sich schon mit einer fremden Frau ein Zimmer teilen oder auf recht engem Raum mit Kindern WG-mäßig zusammen wohnen?“
Das sei während der Pandemie vor allem in den Lockdowns schon eine Herausforderung gewesen. Es seien zwar weniger Frauen gekommen, niemand konnte ja nicht raus, aber die Enge im Haus selbst und drei Mal Quarantäne hätten an den Nerven gezerrt.
Corona hat für das Frauenhaus den Kontakt zu den Ämtern vereinfacht
Auch die Impfdisziplin sei durchwachsen gewesen, wie in der übrigen Gesellschaft auch. Aber als eine Mitarbeiterin an Corona starb, haben sich alle Bewohnerinnen, die das miterlebten, sofort impfen lassen, erinnert sich Sandra Behrendt. Einen Vorteil habe Corona aber dennoch gehabt. Der Kontakt zu den zuständigen Ämtern habe sich durch die Digitalisierung beschleunigt.
„Früher brauchte ich drei Stunden und mehr, um zum Beispiel bei einem der zuständigen Jobcenter in Essen oder Duisburg für eine Frau etwas zu erledigen, seit Corona ist das digital möglich“, sagt Sandra Behrendt. Denn man sollte wissen: Das Bottroper Frauenhaus nimmt aus Sicherheitsgründen niemanden aus der Stadt auf. „Und zuständig bleibt die Kommune, in der jede gemeldet ist, so Behrendt.
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Diese Anonymität sei außerordentlich wichtig, betont auch Maria-Christina Hagemeister. Daher sieht sie die Bestrebungen des Landes, Frauenhäuser und Frauenberatungsstellen enger zusammenzulegen, äußerst skeptisch. „Was zum Beispiel im Courage passiert, ist eine ganz andere Sache, als was wir hier machen. Beratung und Akuthilfe muss man weiter trennen. Schon aus Sicherheitsgründen – für die Frauen.