Bottrop. Markus Elstner erlebt seit der Veröffentlichung des Münchener Missbrauchsgutachtens eine Achterbahn der Gefühle. Sein Kampf geht weiter.

Nach Veröffentlichung des Missbrauchsgutachtens der Erzdiözese München hat der emeritierte Papst Benedikt XVI. am Montag eine Falschaussage eingeräumt, die aber nicht in „böser Absicht“ geschehen sei: Als Münchener Kardinal Joseph Ratzinger habe er 1980 doch an einer Sitzung teilgenommen, bei der es um Priester H. ging - den Mann, der einst den Bottroper Markus Elstner und weitere Jungen im Ruhrgebiet und später in Bayern missbraucht hat. Die jüngste Einlassung von „Herrn Ratzinger“, wie Elstner ihn nennt, erfüllt den Bottroper mit Misstrauen: „Was bezwecken die damit?“, fragt er sich.

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„Es muss einen Grund haben, dass ihm das wieder einfällt. Wollen die das Bild der Kirche gerade rücken?“, so Elstner weiter. „Für mich steckt etwas dahinter. Vielleicht wollen die versuchen, ihre letzten Schäfchen in der Herde zu halten.“

Bottroper kämpft seit Jahren um Aufklärung kirchlicher Missbrauchsfälle

Seit Jahren kämpft Markus Elstner um die Aufklärung kirchlicher Missbrauchsfälle, um die Anerkennung des Leids der Opfer, um angemessene Entschädigung und auch die Abschaffung von Verjährungsfristen bei sexuellem Missbrauch. 2014 hat er seine Geschichte zum ersten Mal öffentlich gemacht und WAZ-Redakteurin Birgitta Stauber-Klein erzählt. Heute ist er gefragter Interviewpartner für die Medien der Republik. Mit Veröffentlichung des Missbrauchsgutachtens geriet zunächst er selbst auf eine „Achterbahnfahrt der Gefühle“ inklusive Gänsehaut und Tränen – und dann brach der Medienrummel über hin herein.

„Das Telefon stand nicht mehr still.“ Jeder Sender habe der erste sein wollen, der ihn vor die Kamera bekommt, selbst Live-Schalten waren dabei. Trotz aller Nervosität stellt Elstner sich den Fragen: „Das war der Zeitpunkt, zu dem man etwas zu der Sache sagen konnte.“ Diese Chance wollte, ja musste er nutzen.

Demonstranten und Ruhrbischof Ruhrbischof Franz Overbeck gedachten am Freitag auf dem Domplatz in Essen der Opfer des Missbrauchsskandals in der katholischen Kirche. Markus Elstner hat die Aktion initiiert.
Demonstranten und Ruhrbischof Ruhrbischof Franz Overbeck gedachten am Freitag auf dem Domplatz in Essen der Opfer des Missbrauchsskandals in der katholischen Kirche. Markus Elstner hat die Aktion initiiert. © FUNKE Foto Services | André Hirtz

„Die Veröffentlichung des Gutachtens hat eingeschlagen wie eine Bombe“, resümiert Elstner. Sein Gefühl dazu: „Endlich ist es raus – ich vermute seit 2013 schon, dass die Oberen mit drin hängen.“ Vier, fünf Mal sei ihm am Donnerstag gesagt worden: „Respekt, Markus, du hast Kirchengeschichte geschrieben.“ Aber, so betont der Bottroper, er sei nur eines von vielen Zahnrädern gewesen, die etwas in Bewegung gebracht hätten: „Das war nicht nur ich alleine, sondern auch die anderen Betroffenen und die tiefgründigen Recherchen von Correctiv, die mich jetzt seit vier Jahren begleiten.“

Markus Elstner: „Ich bin mir sicher, da steckt noch mehr dahinter“

Außerdem ist der Kampf für Elstner ja längst nicht vorbei. Noch sei kein Ende der Aufklärung erreicht, „ich bin mir sicher, da steckt noch mehr dahinter“. Speziell gebe es einen Weihbischof, dessen Rolle seiner Auffassung nach nicht nicht ganz aufgeklärt sei. Kardinal Reinhard Marx habe das Gutachten in Auftrag gegeben, „ich bin mir nicht sicher, dass die alles rausgerückt haben“. Deshalb sei es wichtig, dass die Politik sich einschalte und bei der schonungslosen Aufdeckung helfe.

Bei den Entschädigungszahlungen für die Missbrauchsopfer sei noch „Luft nach oben“, hat Ruhrbischof Franz Overbeck gesagt. Das klingt für Markus Elstner, der bislang wie andere Opfer 5000 Euro bekommen hat und gerade eine zweite Zahlung erwartet, ein bisschen dünn. „Ich habe es nie wirklich weit gebracht.“ Aufgrund seiner Geschichte nie weit bringen können. Er kämpfe deshalb für sich und andere Opfer für eine Zahlung, „so dass man den Rest des Lebens vernünftig verbringen kann“. Sein Anwalt hat gegenüber dem Stern gesagt, dass er für seine Mandanten jeweils eine Million Euro Entschädigung fordert. Außerdem wolle er den emeritierten Papst Benedikt XVI. strafrechtlich zur Verantwortung ziehen.

Das lässt Elstner mit Blick auf die von ihm initiierte Protest- und Solidaritätsveranstaltung für Missbrauchsopfer vor dem Essener Dom letzten Freitag, bei der im Zusammenhang mit dem anwesenden Ruhrbischof – „es war gut, dass er da war und Gesicht gezeigt hat“ – ein paar Dinge inklusive Gebet vorgefallen seien, die er sich anders vorgestellt hätte, bemerken: „Ich gönne Herrn Overbeck sein Vaterunser - und hoffe, dass eines auch für all die Verbrechen ausreicht. . .“

„Die Taten begannen in Bottrop“

Als nächstes plant Markus Elstner analog einer Idee der kirchenkritischen Initiative Maria 2.0, sich zur Sonntagsmesse mit einem Plakat vor St. Cyriakus zu stellen: „Ich will darauf hinweisen, dass die Taten hier in Bottrop begannen.“

Weiterhin setzt er sich ein für Präventionsarbeit in Kitas und Schulen, einen jährlichen Gedenktag für Opfer sexualisierter Gewalt und eine unabhängige Anlaufstelle für Betroffene. Zudem ist er Mitglied des Betroffenenbeirats im Ruhrbistum.