Bottrop. Als erste Bottroper Schule nimmt das Heinrich-Heine-Gymnasium am bundesweiten Programm von „Zweitzeugen e.V.“ teil. Kooperation für drei Jahre.
Die Zahl der Zeitzeugen geht zurück. In absehbarer Zeit wird es keine Menschen mehr geben, die über eines der dunkelsten Kapitel deutscher Geschichte, den Nationalsozialismus, direkt berichten können . Das Heinrich-Heine-Gymnasium (HHG) betritt gerade als erste Bottroper Schule neues Terrain und bildet Schülerinnen und Schüler zu Zweitzeugen aus. Die Idee dahinter: Wenn die Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, die heute noch über die Zeit während des Nationalsozialismus und die Verfolgung durch das damalige Regime berichten können, einmal nicht mehr da sind, sollen Jüngere in er Lage sein, diese Erinnerungen und Lebenserzählungen wach zu halten. Dafür macht sich seit einiger Zeit der Verein Zweitzeugen e.V. stark, der nun auch das Projekt am HHG mit mehreren Workshops flankiert.
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Angeregt hat diese Kooperation, die jetzt vom HHG und dem Zweitzeugenverein offiziell für die nächsten drei Jahre besiegelt wurde, übrigens das Bündnis Buntes Bottrop, das mit Mitteln der hiesigen Egon-Bremer-Stiftung und aus dem Topf der Landesbeauftragten für Antisemitismus, Gabriele Leutheusser-Schnarrenberger, finanziell gefördert wird.
Schule hat immer wieder Kontakt zu Zeitzeugen
Kontakt zu Zeitzeugen hat die Schule seit zwei Jahren, wie Geschichtslehrerin Julia Keller erzählt, die das Zweitzeugen-Projekt dort maßgeblich betreut. Damals sei der NS-Zeitzeuge Sally Perel aus Israel nach Deutschland gereist und hat trotz seines hohen Alters seine Geschichte im HHG erzählt. Er hat es geschafft, als jüdischer Junge mit Hilfe einer Hitler-Jugend-Uniform unentdeckt zu bleiben und so die Verfolgung zu überleben. Anfang diesen Jahres ließ er sich auch von der anhaltenden Pandemie nicht aufhalten und schaltete sich via Videoübertragung in die Klassenzimmer, um der Schulgemeinschaft erneut aus seinem Leben zu berichten und offiziell Schulpate des HHG zu werden.
Auch vier Schülerinnen der Jahrgangsstufe 10, in der künftig die Zweitzeugenausbildung stattfindet, haben Perels Erzählung erlebt, die sie bis heute beschäftigt. Laura Stadler ist durch die Schule und besonders dieses Projekt mit dieser Epoche deutscher Geschichte erstmals intensiver konfrontiert worden. „Es ist eigentlich unglaublich, dass so etwas vor gar nicht so langer Zeit passieren konnte und diese Schicksale, die die Menschen so offen mit uns teilen, müssen immer weiter erzählt werden“, so die Schülerin.
Blick auf die Schicksale zeigt auch, wie schützenswert Demokratie ist
In den Workshops erfahren die Jugendlichen anhand umfangreichen Materials vom Schicksal vieler jüdischer Überlebender der Verfolgung, zum Teil auch multimedial. Sie nehmen dann, wenn möglich, auch Kontakt zu den hochbetagten Männern und Frauen auf, die heute zum Teil sehr weit weg, oft im Ausland, leben. „Diese Menschen lassen uns an ihrer schlimmen Geschichte teilhaben, das gibt es sonst kaum“, sagt Jona Nhu-Lan Ho. Und Anne Schultz betont: „Ein Blick auf diese Zeit und diese Schicksale zeigt, wie man tatsächlich aus Geschichte lernen kann und wie schützenswert Demokratie ist.“
Ein auch geografisch naher Zeitzeuge, zu dem Schule Kontakt hat, sei auch Rolf Abrahamsohn. Der 96-jährige gebürtige Marler Jude sei, nach dem er mehrere Konzentrationslager überlebt habe, in seine Heimatstadt zurückgekehrt, wo er bis heute lebt, sagt Marisa Möller, eine von insgesamt sechs Lehrerinnen, die sich mit Julia Keller in dem Projekt engagieren. Er steht für die vielen, die heute nicht mehr unterwegs sein können, mit deren Geschichte sich die neuen Zweitzeugen aber intensiv auseinandersetzen.
Ob die Schülerinnen und Schüler nach den Workshops auch als aktive Zweitzeuginnen und Zweitzeugen nach außen, zum Beispiel zu ähnlichen Veranstaltungen, gehen und die Geschichte(n) vermitteln, mit denen sie wie sonst kaum Zweite vertraut sind, weiß Marisa Möller nicht. Aber es wäre theoretisch möglich.