Bottrop. Wildpflanzen wucherten auf dem Acker der Marie-Curie-Schule. Jetzt aber säen die Schüler wieder Gemüse aus. Darum geht es dabei um etwas Großes.

Der Garten der Marie-Curie-Realschule bot länger wirklich keinen schönen Anblick. Denn in den letzten Monaten wuchsen darin vor allem Wildpflanzen. Da redet Projektleiter Jan-Frederik Wissink gar nicht erst um den heißen Brei herum. Gerade erst mähten die professionellen Schulgärtner die wuchernden Brennnesseln wieder ab. Ganz so wild sieht der Garten nun nicht mehr aus. Schließlich ist er auch etwas Besonderes. „Wir sind Teil des Gemüse-Ackerdemie-Projektes, bei dem versucht wird, den Schülerinnen und Schülern die Natur und das Gemüse wieder näher zu bringen“, erklärt der Realschullehrer.

Neulich hat Biologie-Lehrer Jan-Frederik Wissink mit einigen Schülerinnen und Schülern auf dem kleinen Beet mitten in der eingezäunten Wiese auch wieder winterhartes Gemüse ausgesät. Kartoffeln, Radieschen, und Möhren sollen in dem Garten wachsen. Den Samen hat der Lehrer für den Neuanfang erst einmal einfach im nächsten Baumarkt gekauft. Das will er in Zukunft aber nicht mehr tun. „Wir versuchen jetzt, hier unser eigenes Saatgut heranzuzüchten und werden die Samen aufsammeln“, erklärt er.

Konventionelles Saatgut muss jedes Mal neu gekauft werden

Dieses Engagement in Sachen Ökologie erfreut auch Vertreter der Zukunftsstiftung Landwirtschaft, die vor gut 25 Jahren ihren gemeinnützigen Saatgutfonds gegründet hatte. Ziel ist es, samenfeste Gemüsesorten zu erhalten und weiterzuentwickeln. „Zudem fördert die Zukunftsstiftung Landwirtschaft Bildungsprojekte des Acker e.V. wie die Gemüse-Ackerdemie an der Marie-Curie Realschule, um Kindern Erfahrungen in der nachhaltigen und ökologischen Landwirtschaft zu ermöglichen“, erklärt Sprecher Sven Focken-Kremer. Auch Schulgartenleiter Jan-Frederik Wissink will die Kontakte zu der Stiftung daher demnächst wieder auffrischen.

Ran an die Arbeit: Lehrer Jan-Frederik Wissink (rechts) bespricht im Schulgarten der Marie-Curie-Realschule an der Friedrich-Ebert-Straße 120 in Bottrop mit seinen Schülerinnen und Schülern die anstehenden Arbeiten.
Ran an die Arbeit: Lehrer Jan-Frederik Wissink (rechts) bespricht im Schulgarten der Marie-Curie-Realschule an der Friedrich-Ebert-Straße 120 in Bottrop mit seinen Schülerinnen und Schülern die anstehenden Arbeiten. © FUNKE Foto Services | Lutz von Staegmann

Der Saatgutfonds jedenfalls hat ganze Arbeit geleistet: Inzwischen werden Tausende Hektare mit ökologisch gezüchtetem Getreide angebaut, und etliche Produkte des Naturkosthandels stammen aus Biozüchtungen. Bei der Gründung des Saatgutfonds vor 25 Jahren gab es dagegen kaum samenfeste Gemüsesorten. Heute seien es mehr als 50 biologische Getreidesorten und noch mehr nachbaubare Gemüsesorten; und das, obwohl bis zur Marktreife einer neuen Gemüsesorte eine Jahre lange Züchtungsforschung nötig ist. Gut zwölf Jahre lang dauert das.

Lehrer begeisterte sich für Schulgarten an Bottroper Realschule

Wie wichtig diese Anstrengungen seien, machen die Saatgutfonds-Vertreter mit dem Hinweis auf die gerade einmal drei industriellen Anbieter deutlich, die sich weltweit 60 Prozent des kommerziellen Saatgutmarktes aufteilten. Für dieses Oligopol sei der Verkauf von Saatgut deshalb ein so gutes Geschäft, weil durch komplizierte Züchtungen hergestelltes „hybrides Saatgut“ für erneute Aussaaten so gut wie unbrauchbar gemacht wurde und jedes Jahr teuer neu eingekauft werden müsse.

Das alte Schulwissen, dass die Samen aus Pflanzen im nächsten Jahr wieder ausgesät werden können, sei so nicht mehr ganz richtig. Gerade für ökologische Bauernhöfe sei das problematisch, da sie auf ein natürliches und widerstandsfähiges Saatgut angewiesen seien. Doch auch auf diesem Feld trug die Hilfe durch den Saatgutfonds Früchte, zieht die Zukunftsstiftung Bilanz: Aus deutschlandweit 20 ökologischen Pflanzenzüchtern seien mittlerweile mehr als 100 kleine und große Betriebe geworden.

Wegen Corona-Pausen lag Schulacker mehr als ein Jahr lang brach

„Die große Kraft der kleinen Samen ist die Grundlage unserer Ernährung. Und öko-gezüchtete Sorten sind eine wesentliche Grundlage für gesunde Böden, sauberes Grundwasser und eine nachhaltige Artenvielfalt für zukünftige Generationen“, sagt Oliver Willing, der Geschäftsführer der Zukunftsstiftung Landwirtschaft. Auch Realschullehrer Jan-Frederik Wissink konnte sich daher für das Ackerdemie-Projekt begeistern, als er vor zwei Jahren an die Marie-Curie-Realschule kam.

Stiftungsrätin Karin Wagner und Geschäftsführer Oliver Willing pflanzen zum 25. Jubiläum des Saatgutfonds im Innenhof der GLS Bank in Bochum einen ökologisch wertvollen Apfelbaum.
Stiftungsrätin Karin Wagner und Geschäftsführer Oliver Willing pflanzen zum 25. Jubiläum des Saatgutfonds im Innenhof der GLS Bank in Bochum einen ökologisch wertvollen Apfelbaum. © Tanja Münnich

„Die meisten Kinder und leider auch viele Erwachsene haben keinen Bezug mehr zu frischem Gemüse, wie dieses wächst und wie vielfältig dieses sein kann“, meint der Lehrer. „Durch die Gemüse-Ackerdemie versuchen wir die Wertschätzung und den Spaß an der Natur zu steigern“, erklärt er. Eine ehemalige Kollegin habe das Projekt vor einigen Jahren an der Schule aufgebaut. Nach deren Abschied führe er es mit Schülerinnen und Schülern weiter.

Zukunftsstiftung Landwirtschaft wirbt um junge Gemüsezüchter

Wegen der Zwangspausen durch die Corona-Pandemie lag der Acker der Marie-Curie-Realschule allerdings gut 18 Monate lang brach. „Seit August versuche ich mit einer Gruppe von Schülerinnen und Schülern der Klasse 5 und 10 nach und nach, die Ackerflächen wieder nutzbar zu machen“, berichtet Jan-Frederik Wissink. Die jungen Gärtnerinnen und Gärtner rodeten inzwischen auch eine Ackerfläche und säten darauf Samen von winterhartem Gemüse aus. Ihr Lehrer plant im kommenden Winter, nur diese eine Ackerfläche zu bewirtschaften und bis zum Frühling Setzlinge zu ziehen.

Seine Schülerinnen und Schüler sind begeistert bei der Sache. „Das macht Spaß“, sagt zum Beispiel Miria Heilmann, und die Schülerin aus dem fünften Realschuljahrgang hofft, dass das Gemüse aus dem eigenen Schulgarten gut heranwächst. „Es schmeckt ja auch viel besser“, ist sich die Zehnjährige sicher, und ihr Lehrer überlegt sich schon, ob die jungen Gärtnerinnen und Gärtner das gesunde Gemüse nicht für einen guten Zweck auf dem Schulhof verkaufen könnten.

Saatgutfonds-Team wirbt um mehr ökologische Zuchtgärten

Nachhaltige Landwirtschaft

Die Zukunftsstiftung Landwirtschaft ist eine unselbstständige Stiftung, deren Geschäftsführung die GLS Treuhand in Bochum übernommen hat. Die Stiftung wurde im Jahr 2000 gegründet und verfügt über eine Vermögen von rund 1,5 Millionen Euro, das ausgeschüttet und regelmäßig durch neue Spenden wieder aufgefüllt wird.

Über den Saatgutfonds fördert die Stiftung die Erforschung der Züchtung von Gemüse, Getreide und Obst für den ökologischen Anbau. Sie setzt sich außerdem für die Gentechnikfreiheit von biologischem und konventionellem Saatgut ein und fördert Schulbauernhöfe sowie andere Projekte, um Kindern und Jugendlichen die Landwirtschaft näherzubringen.

„2020 wurde erstmals das Saatgutangebot eines der größten biologischen Anbieter leergekauft. Das ist ein großartiger Erfolg und eine Bestätigung unserer 25-jährigen Arbeit“, meint Stella Bünger vom Saatgutfonds. Blenden lässt sie sich davon jedoch nicht. Gemessen an den weltweit konventionelles Saatgut verkaufenden Unternehmen sei der gemeinnützige Saatgutfonds schließlich ein Zwerg. Daran ändere auch das allein im vorigen Jahr bis auf 1,7 Millionen Euro angewachsene Spendenaufkommen nichts, und die zukünftigen Aufgaben seien enorm.

„In Anbetracht der vielen Anforderungen aus der Klima- und Biodiversitätskrise läuft uns auch die Zeit davon. Weltweit müssen mehr ökologische, gentechnikfreie und vermehrungsfähige Sorten erhalten und weiterentwickelt werden“, erklärt die Saatgutfonds-Mitarbeiterin. Deshalb sei der Fonds dringend auf weitere Spenden angewiesen. Stella Bünger: „Wir brauchen mehr ökologische Zuchtgärten und junge Züchter*innen, um eine noch größere Vielfalt widerstandsfähiger, wohlschmeckender, fruchtbarer Sorten zu entwickeln. Für einen Ökolandbau mit 100 Prozent Ökosorten“.