Dortmund. Das Revier hat besonders unter den Folgen des Klimawandels zu leiden. Auf dem Weg zu einer nachhaltigen Region fordert Klima-Experte mehr Tempo.

Hitzestress, Trockenheit, Luftverschmutzung, Starkregen, Lärm und Verkehr – Ballungsräume wie das Ruhrgebiet stehen im Klimawandel vor ganz besonderen Herausforderungen. Wie bereitet sich die Region darauf vor? Kommen die nötigen Anpassungsschritte schnell genug? Kann ein solcher Ballungsraum überhaupt nach den Prinzipien der Nachhaltigkeit organisiert werden? Christopher Onkelbach sprach mitMark Fleischhauer, Experte für Klimawandel und Raumplanung sowie nachhaltige Regional- und Stadtentwicklung an der TU Dortmund.

Der Begriff der Nachhaltigkeit besagt, dass man nur so viel Ressourcen verbrauchen soll, wie sich von selbst wieder erneuern. Kann das Ruhrgebiet nach dieser Maxime funktionieren?

Mark Fleischhauer: So wie man das Prinzip der Nachhaltigkeit aus der Forstwirtschaft kennt, ist es sicher nicht eins zu eins auf die Region zu übertragen. Aber es gilt grundsätzlich auch und gerade für diese Region. Wir haben hier in den letzten 200 Jahren deutlich mehr Ressourcen verbraucht als es Mensch und Umwelt gutgetan hat, wenn man es nicht nur unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten betrachtet.

Wie kann sich das Revier dem Ideal annähern?

In den letzten Jahren ist in dieser Beziehung schon viel passiert. Etwa beim Thema Flächenrecycling oder Renaturierung, ich denke etwa an den Emscher-Umbau. Handlungsfelder sind die Versiegelung von Freiflächen, die möglichst gering bleiben sollte. Zudem hat die Industrie riesige Brachen hinterlassen, die sich für Renaturierung oder Wohnbebauung eignen. In Siedlungsräumen gibt es große Einsparpotenziale im Verkehrsbereich oder bei der Gebäudesanierung. Ein weiteres Thema ist die Energie.

Was meinen Sie damit?

In Ballungsräumen bietet sich die Versorgung mit Fernwärme an. Auch das Potenzial der Photovoltaik ist noch lange nicht ausgeschöpft, ebenso bei der Windenergie. Das Ruhrgebiet kann zur Speerspitze einer nachhaltigen Energieversorgung werden.

Mit welchen Problemen hat das Ruhrgebiet besonders zu kämpfen?

Das Revier hat beim Thema Klimawandel und Nachhaltigkeit die Probleme, die viele großen Ballungsräume haben: hohes Verkehrsaufkommen, schlechte Luftqualität, Lärm, Flächenverbrauch, Hitze. Vieles davon wurde in den letzten Jahren besonders sichtbar, etwa die Hitzebelastung in den Kerngebieten. Auch die Folgen von Starkregenereignissen belasten die Städte stärker. In Zukunft werden solche Probleme noch zunehmen. Auch Trockenheit und Dürre wird in der Region zu zusätzlichen Problemen führen. Grünflächen, Wälder und Stadtbäume leiden immer mehr unter Trockenstress.

Dabei sollen die Städte doch grüner werden?

Ja, aber wie bekomme ich das Wasser in die Städte? Die Trinkwasserversorgung wird sich sicherlich auch in Trockenzeiten organisieren lassen. Aber in Industriezweigen mit einem hohen Wasserbedarf könnte es zu Engpässen kommen, die dazu zwingen könnten, die Produktion zeitweise zu drosseln.

Geht das Ruhrgebiet die Probleme des Klimawandels schnell genug an?

Die Region hat das Problem erkannt, doch es geht zu langsam. In den letzten zehn bis zwanzig Jahren wurde viel angepackt. Die Städte haben zahlreiche Projekte gestartet, das Land und der Regionalverband Ruhr unterstützen sie, zudem gibt es in den Rathäusern eine neue Generation von Planern. Das Bewusstsein für die Notwendigkeit des Wandels ist grundsätzlich vorhanden, doch es gibt Hindernisse.

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Was bremst die Entwicklung?

Nehmen wir zum Beispiel die Einrichtung von Grünflächen oder stadtübergreifenden Grünzügen. Städte mit hohen Immobilienpreisen wie Düsseldorf, Köln oder Münster stehen unter immensem Druck von Investoren, freie Flächen für Gewerbe oder Wohnungen auszuweisen. Die Umweltämter dieser Städte kämpfen oft gegen die Stadtpolitik oder die Wirtschaftsförderung.

Dafür haben die ärmeren Städte im Ruhrgebiet zum Teil noch große Industrieflächen…

Ja, dort gibt es noch Flächen ehemaliger Industriebetriebe. Doch viele Städte können es sich nicht leisten, die Altlasten zu entfernen und die Gebiete zu entwickeln. Es ist schwer und teuer, altindustrielle Flächen in hochwertige Grünflächen umzuwandeln. Ich würde mir wünschen, dass die Kommunen hier stärker zusammenarbeiten und sich nicht durch Investoren gegenseitig ausspielen lassen nach dem Motto: Wenn ich hier nicht bauen kann, gehe ich in die Nachbarstadt.

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Haben Ballungsräume nicht auch eine Vorbildfunktion? Immerhin sind sie für einen Großteil der Treibhausgas-Emissionen verantwortlich.

Ballungsräume müssen beim Wandel vorangehen, hier sind Menschen, Industrie und Verkehr auf engem Raum konzentriert. Aber hier liegen auch die größten Potenziale für Veränderungen. Die Städte müssten beispielhaft zeigen, wie es gehen könnte. Es gibt Metropolen, die mutig vorangehen. In Madrid und Brüssel gilt Tempo 30. Paris verbannt aus manchen Bezirken den Verkehr. Kopenhagen setzt mit seinem Regenwasserkonzept das Prinzip der Schwammstadt um und bringt mehr Natur in die City – und das sind Weltstädte.

Denken wir im Ruhrgebiet zu klein? Fehlt der Mut für solche innovativen Ideen?

Zu oft werden ideologische Grundsatzdebatten geführt. Die Gegenposition argumentiert, Umweltschutz sei teuer, unwirtschaftlich und unsozial. Ich würde mir wünschen, dass wir pragmatischer vorgehen und gemeinsame Positionen suchen.

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Wie könnte ein nachhaltiges Ruhrgebiet aussehen?

Ich kann mir gut vorstellen, dass wir in den kommenden 20 bis 30 Jahren eine dezentrale Energieversorgung haben werden, die auf erneuerbaren Energiequellen und Speichermedien beruht. Der innerstädtische Verkehr wird dann über E-Mobilität organisiert sein, der Radverkehr verläuft über vernetzte Routen. Es wird städteübergreifende Grünzüge geben, die Frischluftschneisen schaffen, die Luftqualität verbessern und Innenstädte kühlen. Wir werden die Wasserbewirtschaftung anpassen und Regenwasser besser nutzen.

Ist das eine erreichbare und realistische Vision?

Ich bin zuversichtlich, dass die Region das schaffen kann. Das Ruhrgebiet ist wandlungsfähig. Manche Ideen kommen uns vielleicht heute utopisch vor, doch bereits jetzt ist vieles umgesetzt, was in der Vergangenheit unmöglich schien. Die Zeit wird kommen, wo alternative und innovative Konzepte gefördert werden. Die Industrie, die Landwirtschaft, die Forstwirtschaft, die Politik, die Stadtplaner – viele Akteure haben die Probleme längst erkannt. Die Lösungen müssen nur mutiger verfolgt und umgesetzt werden.