Bottrop. Viermal ist der Mörder Alfred Lecki aus dem Knast entkommen, galt als „Ausbrecherkönig“. Die Strafe für seinen Mord in Bottrop hat er abgesessen.

Zahllose Legenden ranken sich um die kriminelle Karriere des Räubers Alfred Lecki, der am frühen Morgen des 14. Juli 1969 auf einem Parkstreifen an der Scharnhölzstraße den 51-jährigen Bottroper Polizisten Theodor Klein erschossen hatte. Viermal entkam er unter zum Teil spektakulären Umständen aus dem Gefängnis, damit hat er sich den Titel des Ausbrecherkönigs wohl verdient. Den des kaltblütigen Killers wohl eher nicht - jedenfalls nicht für den Mord in Bottrop.

Die erste Verhaftung: Diese Bilder des späteren Polizistenmörders Alfred Lecki entstanden bei der Polizei in Berlin 1967.
Die erste Verhaftung: Diese Bilder des späteren Polizistenmörders Alfred Lecki entstanden bei der Polizei in Berlin 1967. © Gerhard Koschnitzke

Schon die erste Legende vom Sohn eines vermögenden Berliner Geschäftsmann stimmt so nicht. Edmund Stanislaus Alfred Lecki ist der jüngste Sohn eines Berliner Schmiedemeister und gerät schon als Jugendlicher auf die schiefe Bahn. Erstmals verurteil wird er mit 17 Jahren wegen Unterschlagung, Fahrens ohne Führerschein und Verkehrsgefährdung. Da geht die Geschichte los mit Lecki und den Autos.

Hier ist es passiert: Rekonstruktion des Tathergangs auf dem Parkstreifen an der Scharnhölzstraße.
Hier ist es passiert: Rekonstruktion des Tathergangs auf dem Parkstreifen an der Scharnhölzstraße. © WAZ

Wegen derselben Delikte steht er elf Jahre später in Berlin wieder vor Gericht. Diesmal gibt es keine Bewährung mehr: Zwei Jahre Haft, dazu lebenslänglicher Führerscheinentzug. Die Legende heißt: Mit einer selbstgebastelten Leiter sei er vor den Augen eines Wachpostens über die Mauer der JVA Tegel geklettert. Die Wahrheit ist vergleichsweise banal: Statt die Strafe anzutreten, flüchtet Lecki mit falschen Papieren und, natürlich, im Auto nach Italien und Jugoslawien. Von jetzt an ist er entweder auf der Flucht oder in Knast, 30 Jahre insgesamt.

Serie von Banküberfällen im Ruhrgebiet

Nach einer Serie von Banküberfällen unter anderem in Dortmund verbringt Lecki den Winter 1968/9 mit seiner Berliner Verlobten in Spanien. Im Mai kommt er zurück, überfällt weitere Banken. 53.000 Mark soll er erbeutet haben, wird später in der Anklage stehen. Und dann kommt die Nacht zum 14. Juli 1969 in Bottrop.

Bottroper Serie: Spektakuläre Kriminalfälle

Lecki hat im Auto übernachtet

Die Polizisten Manfred Danielowski und Theodor Klein kontrollieren in jener Nacht Alfred Lecki, der in seinem Wagen auf dem Parkstreifen an der Scharnhölzstraße Höhe Danziger Straße schläft. Den Abend zuvor, diese Legende stimmt, hat er mit zwei Frauen in Essen beim „Ball der einsamen Herzen“ verbracht. Lecki weist sich mit einem gestohlenen Pass als Horst Jungnickel aus und sagt, er sei „gerade erst“ aus Berlin gekommen. Das kann nicht stimmen, sehen die Beamten: Der Ausweis ist seit Monaten abgelaufen, mit dem wäre der Mann nie durch die Grenzkontrollen gekommen.

Die nächste Legende stimmt nicht. Bei der Aufforderung, zur Wache mitzukommen, habe Lecki die Pistole gezogen, „sofort losgeballert“, den Polizeiobermeister Theodor Klein „rücksichtslos niedergestreckt und ausgelöscht“. Das schildert Augenzeuge Danielowski im Prozess ganz anders. Lecki sei plötzlich weggelaufen. „Unwillkürlich lief ich hinterher. Da drehte er sich um, griff unter die Jacke und schoss im nächsten Moment. Ich ging sofort in Deckung und warf mich hin. Dann sah ich, dass mein Kollege Klein zu Boden stürzte.“

„Ich kann mich nicht erinnern“

Lecki selbst will sich im Prozess an diesen Moment nicht mehr erinnern: „Ich hatte ein Vakuum im Kopf. Ich kann mich nicht erinnern, wie die Waffe in meine Hand gekommen ist. Da ist mir eine Sicherung durchgebrannt. Ich habe die Nerven verloren.“ In der Untersuchungshaft hat er eine Theorie entwickelt, die auf verminderte Schuldfähigkeit abzielt: Durch das ständige Leben im Auto habe er eine chronische Abgasvergiftung erlitten.

Blödsinn, sagen Gutachter. Psychologe Knabel sagt zu dem Auslöser der Schüsse: „Die Angst, die ihn durch Europa getrieben hat, hat ihn handeln lassen. Er hat geschossen, um seine Angst zu überwinden. Die Tötung war nicht geplant und nicht gewollt. Jedoch ist er für diese Tat voll verantwortlich.“

Ein Projektil konnten die Kripobeamten aus dem zerschossenen Reifen des Streifenwagens schneiden. Der Plattfuß verhinderte die sofortige Verfolgung des Mörders.
Ein Projektil konnten die Kripobeamten aus dem zerschossenen Reifen des Streifenwagens schneiden. Der Plattfuß verhinderte die sofortige Verfolgung des Mörders. © Gerhard Koschnitzke

Platten bremst Polizeiwagen

Zurück nach Bottrop am Morgen des 14. Juli. Beide Beamten liegen am Boden, Klein tödlich verwundet, Danielowski mit einem Streifschuss leicht verletzt. Lecki rennt zu seinem Auto und gibt Gas, Danielowski springt in den Polizeiwagen und nimmt die Verfolgung auf. Die ist nach wenigen Metern zu Ende: Eine Kugel hat einen Reifen plattgemacht.

Festnahme im Rotlichtmilieu

Nach einem Polizistenmord darf der Begriff Großfahndung wörtlich genommen werden. Eine Belohnung (8000 Mark) wird für Hinweise ausgesetzt, im ganzen Ruhrgebiet wollen Zeugen Lecki gesehen haben. Im August wird er aber ganz woanders festgenommen: In Braunschweig haben zwei Ganoven, auch diese Legende stimmt, nach einem Streit im Bordellmilieu Zivilfahndern einen Tipp gegeben.

Leckis Verhaftung ist im Ruhrgebiet den Medien Extrablätter wert. In der Untersuchungshaft in Essen „singt“ der Räuber, gesteht den Polizistenmord und etliche Banküberfälle. „Irgendwie muss man sich eine Grundlage schaffen, wird er mit Verständnis heischendem Lächeln später vor Gericht sagen.

Flucht am ersten Weihnachtstag

Und dann kommt das Bild, an dem keine Beschreibung von Leckis Karriere vorbeikommt: Leckis Flucht aus der Essener Untersuchungshaft am ersten Weihnachtstag 1969. In ihrem Nachruf auf Lecki wird die Berliner „BZ“ es so beschreiben. „Zu Weihnachten schenken sich Lecki und zwei Kumpane selbst gefeilte Nachschlüssel. Die Häftlinge singen ,Macht hoch die Tür’, Lecki verduftet.“ Nun ist „Macht hoch die Tür“ eher ein Advents- als ein Weihnachtslied… aber irgendwer wird in der Haftanstalt schon irgendwas gesungen haben.

Mit Handschellen wird Alfred Lecki, der Polizistenmörder, von Oberkommissar Alfred Schramm (47) am 3. August 1969 aus dem Hintereingang des Amtsgerichts geführt.
Mit Handschellen wird Alfred Lecki, der Polizistenmörder, von Oberkommissar Alfred Schramm (47) am 3. August 1969 aus dem Hintereingang des Amtsgerichts geführt. © WAZ-Archiv

Jetzt ist Lecki endgültig der „gefährlichste Verbrecher Westdeutschlands“, Hans-Dietrich Genscher, damals Innenminister und später Mitvollender der Deutschen Einheit, nennt ihn so. Lecki überfällt erneut Banken, setzt sich mit einer Millionenbeute und seinen Kumpanen nach Spanien ab und wird dort in der Nähe von Malaga im Juli 1970 verhaftet. „Leckis letzte Sommerfrische“, titelt die WAZ, nicht ahnend, dass der „Ausbrecherkönig“ auch 1983 und 1986 nochmals spektakuläre Fluchten hinlegen wird.

Das Urteil: Lebenslänglich plus 16 Jahre

Am 19. April 1972 beginnt am Landgericht Essen der Prozess gegen Lecki. Angeklagt sind der Mord an Theodor Klein und sechs Raubüberfälle. Das Urteil: lebenslänglich wegen Mordes, weitere 15 Jahre wegen versuchten Mordes, räuberischer Erpressung (Bankraub) und Raubes. Lecki sei „für alle seine Taten voll verantwortlich“ gewesen. Danach wird in Frankfurt gegen ihn weiter verhandelt: Dort hatte er „das Millionending von Offenbach“ gedreht.

Die letzten Jahre des Ausbrecherkönigs

1983 entkommt Lecki bei einem Einkaufsbummel in der Bonner Innenstadt seinen Bewachern. während seiner Haft in der JVA Rheinbach. Ein ehemaliger Mithäftling erkennt ihn ein Jahr später in einem Kölner Kino und gibt der Polizei einen Tipp.

1986 gelingt ihm erneut eine Flucht. Im September 2000, nach 30 Jahren in Haft, wird er entlassen. Wenige Tage später finden ihn Kinder tot auf einer Parkbank in Berlin.