Bottrop. Von Inklusion bis Umweltschutz: Eine WG der Diakonie diskutiert politische Themen. Das ist ein Baustein zur Vorbereitung auf die Bundestagswahl.
Wie bereiten Sie sich eigentlich auf die Wahl zum Bundestag vor? Wälzen Sie die Programme verschiedenster Parteien? Machen Sie sich bewusst, für welche Ziele Sie selbst stehen - und wie wichtig Ihre einzelne Stimme ist, damit diese umgesetzt werden? So gründlich nähern sich nämlich die sieben Bewohnerinnen und Bewohner der Außenwohngruppe vom Ernst-Wilm-Haus der Diakonie dem 26. September.
In der WG in der Stadtmitte ist das zentrale Thema nicht zu übersehen, das die Menschen mit Lern-, geistiger und teils auch psychischer Behinderung oder Beeinträchtigung gerade beschäftigt: Von einer Stellwand schauen die Spitzenkandidaten der größeren Parteien zum Esstisch rüber, ihre Fotos sind jeweils verbunden mit den Parteifarben. Das im Wortsinn vor Augen zu haben ist eine Hilfe, findet nicht nur Justin (25).
Bottroper Wohngruppe: Wenn man ein Wahlrecht hat, soll man es auch wahrnehmen
Motiviert setzen er und seine Mitstreiter sich mit Themen und Parteien auseinander. Unterstützt werden sie dabei von Wohngruppenkoordinatorin Bernadette Walochnik (58). Die bemerkt generell: „Viele Leute in unserem Bereich nehmen ihre Rechte nicht wahr. Uns ist aber wichtig rüberzubringen: Wenn man ein Wahlrecht hat, dann soll man es auch wahrnehmen.“ Sandra (41) nennt den Grund: „Weil man sich sonst nicht beschweren kann.“ Justin ergänzt, dass man ja als Nichtwähler möglicherweise gerade den Parteien von Nutzen sei, die man eigentlich gar nicht unterstützen möchte.
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Aber welche Partei vertritt die jeweiligen Ansichten nun am besten? Dazu haben die Gruppenmitglieder sich zunächst einmal überlegt, was ihnen wichtig ist - und eigene Wahlplakate gestaltet. Für Anika (28) ist es die Inklusion, „dass alle gleichberechtigt sind“. Sie selbst erlebt das zwar als Mitarbeiterin im integrativen Cap-Markt so, aber es gebe ja viele andere Arbeitsstellen, an denen noch Vorurteile über Menschen mit Behinderungen vorherrschten. Zudem beobachtet sie in öffentlichen Verkehrsmitteln, dass Jugendliche Menschen mit Handicap oft mobben.
Bottroperin beklagt: Menschen mit Behinderung werden nicht ernst genommen
Das bestätigt Sandra (41): „Man wird nicht ernst genommen. Im Bus wird geschubst. Schüler sind zu Rollstuhlfahrern frech und machen keinen Platz für sie“, beklagt Sandra. Sie wünscht sich vor allem, „dass Frieden ist“ - auf allen Ebenen. Und dass es mehr Therapieplätze sowie Begegnungsorte gibt.
„Unsere Erde ist kein Mülleimer“, steht auf dem Plakat von Patrick (26). Das Thema Vermüllung bewegt auch Justin: „Einmal in der Woche machen wir eine Müllrunde am Movie Park“, erzählt der 25-Jährige, der auf dem Rotthoffs Hof arbeitet. Es ärgert ihn, wie viel Abfall dort rumliegt - trotz vorhandener Mülleimer. „Wir haben nur die eine Erde zum Leben. Deswegen müssen wir den Planeten sorgfältig behandeln“, fordert er.
Bottroper fordern Nachrichten auch in leichter Sprache
Auf dem Vorbereitungsprogramm der Gruppe steht außerdem die Auseinandersetzung mit den Wahlprogrammen zumindest der größeren Parteien in leichter Sprache. Und immer mal wieder eine Runde des informativen Brettspiels „Wahlkampfrallye“. Dort gilt es, Aufgaben zu lösen (etwa ein eigenes Wahlkampfthema vorstellen) und Fragen zu beantworten (zum Beispiel nach den Aufgaben des Bundestags). Festgestellt haben Justin, Anika und Co. außerdem: „Wir brauchen leichte Sprache auch in den Nachrichten.“ Auch die seien schließlich wichtig zur politischen Willensbildung.
Die meisten von ihnen haben sich für die Briefwahl entschieden; für viele ist es auch nicht die erste Wahl, an der sie teilnehmen. Larissa (29) will aber zum Beispiel zusammen mit ihren Eltern in ein Wahllokal gehen. Im Rahmen des inklusiven Wahlrechts, das für alle Menschen in Deutschland gilt, ist eine Wahlassistenz für Menschen mit Behinderung erlaubt. Diese darf aber nur Hilfestellung beim Verstehen der Wahlunterlagen leisten. Wenn etwa jemand nicht lesen kann, erklärt Bernadette Walochnik. Die Entscheidung, wo das Kreuz gesetzt wird, liegt aber beim Wahlberechtigten ganz allein.
Weitere Infos dazu liefert der Lebenshilfe e.V.: www.lebenshilfe.de/informieren/familie/wahlrecht
Ziel: eine eigene Wohnung
Die Außenwohngruppe verfolgt das Ziel, den Bewohnerinnen und Bewohnern ein selbstbestimmtes Wohnen zu ermöglichen. Aufgaben wie Putzen, Blumen gießen, Kaffee kochen werden nach einem Plan untereinander aufgeteilt. Drei Wohngruppenkoordinatoren der Diakonie begleiten die WG.Alle gehen einer Arbeit nach, sei es nun in der Rheinbabenwerkstatt, im integrativen Cap-Markt in Grafenwald oder auf Rotthoffs Hof in Kirchhellen. Und fast alle nutzen die Außenwohngruppe als Training, um künftig in eine eigene Wohnung ziehen zu können.