Bottrop. . In Nordrhein-Westfalen können am Sonntag zum ersten Mal Menschen wählen,die in allen Bereichen betreut werden. In Bottrop sind das 84 Personen.
- Menschen, die unter voller Betreuung stehen dürfen am Sonntag in NRW erstmals mitwählen
- Damit setzt das Land als eines der ersten die Forderung der UN-Behindertenkonvention um
- Das Wahlrecht für Betreute gilt als ein Schritt auf dem Weg in einen inklusive Gesellschaft
Die einen sprechen von einem wichtigen Schritt in Richtung einer inklusiven Gesellschaft, die anderen befürchten den Missbrauch: Am kommenden Sonntag dürfen in NRW erstmals Menschen mitwählen, die in allen Angelegenheiten betreut werden. In Bottrop wurde im Vorfeld der Landtagswahl an 84 Betroffene eine Wahlbenachrichtigung geschickt.
Das sind Menschen mit geistiger Behinderung, psychischen Erkrankungen, dementiellen Veränderungen, aber auch Patienten im Wachkoma – unterschieden werden kann da im einzelnen nicht. Das findet Klaus Wenger, der in Bottrop die Wahl organisiert, durchaus schwierig. Der Wahlberechtigte müsse auf jeden Fall eine deutlich erkennbare Willensäußerung abgeben, sagt er. Durchaus machbar in einem Wahllokal, kaum zu kontrollieren bei der Briefwahl.
NRW als Vorreiter
Über 80 000 Menschen mit Behinderung dürfen in Deutschland nicht wählen, weil sie in allen Angelegenheiten betreut werden – dazu gehören die Aufenthaltsbestimmung, Gesundheitsfürsorge und Vermögenssorge. Das widerspreche der UN-Behindertenkonvention, kritisiert die Lebenshilfe, kritisieren aber auch viele Politiker.
Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein sind vor einem Jahr zum Vorreiter geworden und haben das Wahlrecht eingeführt. „Es war ein gemeinsamer Antrag aller Fraktionen, den wir eingebracht haben“, erinnert sich die Bottroper Landtagsabgeordnete Anette Bunse (CDU). „Das ist ein Schritt zur inklusiven Gesellschaft. Und ich hoffe, dass er gut umzusetzen ist.“ In Schleswig-Holstein durften die Betroffenen am letzten Sonntag erstmals mitwählen.
Missbrauch hat es immer gegeben
Jutta Pfingsten, Ratsmitglied und Vorsitzende des Seniorenbeirats, befürwortet das Wahlrecht: „Menschen, die unter Betreuung stehen, können durchaus sagen, was sie wollen und ihre Rechte vertreten.“ Sie sieht aber auch die „schwierige Seite“ und meint: „Menschen, die Rechte missbrauchen, hat es immer gegeben und wird es immer geben.“ Dabei können sich Betreuer auch durchaus strafbar machen. „So etwas hat es ja auch früher schon gegeben“, erinnert sich Jutta Pfingsten an auffällige Wahlergebnisse in Heimen.
Um die Umsetzung des Wahlrechts dieser Menschen kümmert sich in Bottrop ein Stück weit das Diakonische Werk. „Die Betreuer der in den Heimen Lebenden wurden angeschrieben, dass die Wahlunterlagen bereit liegen“, berichtet Pressesprecher Michael Horst. Das Käthe-Braus-Altenheim ist Wahllokal, hier ist die persönliche Teilnahme an der Wahl also besonders einfach. Allerdings: „Vielleicht die Hälfte des Personenkreises ist noch in der Lage, zu wählen.“
Ähnlich sei es in der Behindertenhilfe, sagt Michael Horst. Viele Behinderte stünden unter Teilbetreuung, durften also auch bisher schon wählen. Wie wählen geht und welche Bedeutung eine Wahl hat, das ist immer auch Thema im Berufsbildungsbereich der Rheinbabenwerkstatt. Die informiert ihre Beschäftigten in leichter Sprache, mit einem Film oder Hör-Versionen.