Bottrop/Oberhausen. 2015 stand das Abi-Motto-Kostüm von Vivian Hagedorn in Flammen. Sie weiß, wie wichtig eine gute medizinische Versorgung ist. Das gibt sie weiter.

Für Vivian Hagedorn (23) hat sich ein Kreis geschlossen. Vor sechs Jahren erlitt sie bei einer Abi-Motto-Party in Bottrop schwerste Verbrennungen, konnte in dieser Tragödie aber zumindest auf eine medizinische Therapie zählen, die sie privilegiert nennt. Heute arbeitet sie im Friedensdorf Oberhausen, wo Kinder aus medizinisch unterversorgten Kriegs- und Krisengebieten behandelt werden, viele von ihnen auch mit Verbrennungen. „Es ist schön, Menschen zu helfen, die nicht das Glück haben, in Deutschland geboren zu sein. Und dann auch noch Kindern, die gar nichts für ihr Schicksal können.“

Junges Brandopfer aus Bottrop erhielt viel Anteilnahme

Vivian ist eine starke, positive junge Frau mit Idealen. Die Verbrennungen an den Händen, im Hals- und Gesichtsbereich hinterließen Narben, die gut verheilten, aber am Ende für immer bleiben. Wut? Verbitterung? Vielleicht ganz am Anfang. Aber ganz schnell habe sie keinen Sinn darin gesehen, sauer zu sein. Grund dazu hätte sie ganz sicher.

Das Drama, das Vivian durchlitt, erregte auch durch TV-Auftritte bundesweit Aufsehen. Beim Rathaussturm in der Mottowoche der angehenden Abiturienten von 2015 geriet die damals 17-jährige Schülerin des Josef-Albers-Gymnasiums in Brand. „Ich war als Zuckerwatte verkleidet“, erzählt sie. Watte dominierte ihr Kostüm. „Ein Mitschüler hinter mir hat mit einem Feuerzeug rumgekokelt.“ Dummheit attestiert sie ihm heute, keine Bosheit. In kürzester Zeit stand Vivian in Flammen.

Vivian Hagedorn verspürt nicht etwa Verbitterung, sondern Mut und Tatkraft.
Vivian Hagedorn verspürt nicht etwa Verbitterung, sondern Mut und Tatkraft. © FUNKE Foto Services | Oliver Müller

Schwer verletzt wurde sie per Hubschrauber ins Bergmannsheil nach Bochum gebracht, lag drei Wochen auf der Intensiv- und weitere vier auf einer normalen Station. Im Krankenhaus schon sei sie mit einem Friedensdorf-Kind aus Afghanistan auf dem Zimmer gewesen.

Bottroper Brandopfer: „Dankbar, dass meine Funktionen alle da waren“

„Am Anfang guckt man in den Spiegel und ist baff“, sagt Vivian verblüffend schlicht. Was der jungen Frau aber half: „Ich habe mich von Anfang an erkannt, weil meine Augen nicht betroffen waren.“ Im Unfallkrankenhaus damals seien ihr viele andere Verletzte begegnet, die viel eingeschränkter in ihrem Leben waren. Bei ihr war es „nur“ die Haut, und für ein paar Wochen blieb die Stimme weg. „Ich war dankbar, dass meine Funktionen alle da waren.“

Zwei Jahre trug sie Kompressionshandschuhe und eine Kompressionsmaske, „24 Stunden am Tag“, damit auch nach Transplantationen alles gut verheilt. „Ich wusste, die Leute gucken eh, deshalb habe ich immer knallige Farben für die Maske gewählt.“

Vivian Hagedorn hat von damals kein Trauma davon getragen

Vivian ist froh, kein Trauma davon getragen zu haben. „Ich konnte immer in Menschenmengen gehen. Und vor Feuer habe ich immer schon großen Respekt gehabt, das hat sich nicht geändert.“

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So stürzte sie sich schnell wieder ins pralle Leben. Im März 2015 schwerst verletzt, brach sie schon im August zu einem bereits vorher organisierten Jugendaustausch mit der Multi (Oberhausen) nach Chile auf. Mit 18 Jahren zog sie wie geplant aus, in eine WG nach Düsseldorf. Dort studierte der Eishockeyfan auch Sozialwissenschaften.

Schon vor dem Abi war Vivian nämlich klar: Die Ungerechtigkeiten in der Welt will sie nicht einfach so hinnehmen; eine Arbeit bei einer Nicht-Regierungsorganisation schwebte ihr immer vor. Aus einem Praktikum im Friedensdorf ergab sich dann eine Festanstellung im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit. „Ich mache das jetzt zwei Jahre hauptamtlich“, erzählt Vivian. Zum Job gehören auch die Begleitung von Spendenaktionen und das Verfassen politischer Statements.

Brandopfer aus Afghanistan bekam Wodka als Schmerzmittel

Und natürlich mag sie besonders den Kontakt zu den Kindern. „Vor allem die Kinder mit Narben haben mich immer anders gesehen als andere.“ Und ihr viele Fragen gestellt. „Ein Kind hat mich gefragt: Hast du auch Wodka bekommen? Das heißt, es hat als einziges Schmerzmittel Wodka erhalten!“ bringt Vivian die Unterschiede in der medizinischen Behandlung in Deutschland und Afghanistan auf den Punkt. Daran etwas zu ändern, dafür möchte die Veganerin sich weiter engagieren.

Auf ihren Bachelor möchte Vivian berufsbegleitend nun noch den Master aufsetzen, im Studiengang Empowerment Studies in Düsseldorf, wo sie mit ihrem Partner wohnt. Den kannte sie schon vor ihrem schweren Unfall – „in so einer Situation zeigt sich, wer die wahren Freunde sind und wer einem gut tut“.