Bottrop. Nähkurse, finanziert aus Bottrop, sollen Frauen in Brasilien aus der Armut holen. Die Geschichte einer vierfachen Mutter, die es geschafft hat.

Die Geschichte von Valdinéia da Silva dos Anjos klingt wie ein modernes Märchen. Die 48-jährige Brasilianerin ist in schwierigen Verhältnissen aufgewachsen, hat Elend gesehen und Armut erlebt, nie eine Schule besucht und ist allein erziehende Mutter von vier Kindern.

Kaum vorzustellen, welchen Weg ihr Leben und ihre Familie eingeschlagen hätte, wenn sie bei „Aldeia da Crianca Alegre“, dem Partnerverein von Kinder in Rio e.V. aus Oberhausen, nicht eine Perspektive gefunden hätte. Seit 2019 werden in Nova Friburgo, knapp zwei Autostunden von Rio de Janeiro entfernt, Näh- und Schneiderkurse angeboten. Valdinéia ist eine der Teilnehmerinnen gewesen.

Rotary Club Bottrop-Wittringen hilft mit Spenden

Der Rotary Club Bottrop-Wittringen unterstützt dieses soziale Projekt mit 50.000 Euro. In diesem Jahr sind weitere 13.000 Euro gesammelt worden. Philipp Pawlowski vom Rotary Club lernte im Jahr 2016 die Arbeit vor Ort hautnah kennen. „Mit vielen Gedanken kehrte ich nach Deutschland zurück“, erinnert er sich. Die Gedanken kreisten darum, wie man den Menschen und dem Partnerverein helfen kann. Daraus entstand folgende Idee: Junge Frauen und Mädchen sollen im Nähhandwerk ausgebildet werden.

Der Rotary Club Bottrop-Wittringen sammelt für das Näh- und Schneider-Projekt in Brasilien finanzielle Spenden. Von links: Alexander Gries (Foundation-Beauftragter), Christian Schulte-Bockum (Präsident) und Philipp Pawlowski (Projektkoordinator).
Der Rotary Club Bottrop-Wittringen sammelt für das Näh- und Schneider-Projekt in Brasilien finanzielle Spenden. Von links: Alexander Gries (Foundation-Beauftragter), Christian Schulte-Bockum (Präsident) und Philipp Pawlowski (Projektkoordinator). © Rotary Club Bottrop-Wittringen

Nova Friburgo, im Jahr 1818 von Auswanderern aus der Schweiz gegründet, gilt als Brasiliens Hauptstadt der Unterwäsche. „Es gibt viele Nähereien vor Ort“, weiß Sonja Kienzle vom Verein Kinder in Rio. Jedoch haben die meisten Teilnehmerinnen nicht die nötige Schulbildung, um eine Anstellung zu bekommen. Die Zielgruppe des Kurses sind Mädchen und Frauen aus der ländlichen Region und aus der Peripherie von Nova Friburgo. In diesen Gegenden dominiert die Landwirtschaft, wo die Mädchen und Frauen keine schulische oder berufliche Alternative haben.

Kinder bekommen Kinder

Offizielle Kurse in Nova Friburgo setzen eine bestimmte Schulbildung voraus. Wie Sonja Kienzle erklärt, haben jedoch rund 80 Prozent der Frauen des Sozialprojekts ein Bildungsniveau, das vergleichbar ist mit dem Besuch einer Grundschule in Deutschland. Hinzu kommt ein weiteres Problem: Eine gesundheitliche Aufklärung oder Verhütungsmittel spielen im Leben auf der Straße zwischen Armut und Elend kaum eine Rolle. Minderjährige werden schwanger. Kinder bekommen Kinder. „Es gibt Teilnehmerinnen, die mit 13, 14 Jahren Mutter geworden sind“, erklärt Kienzle. Der Beginn eines Teufelskreises.

Die Teilnehmerinnen erlernen das Handwerk von der Pike auf. Außerdem haben sie Unterricht in Portugiesisch, Mathematik und Informatik.
Die Teilnehmerinnen erlernen das Handwerk von der Pike auf. Außerdem haben sie Unterricht in Portugiesisch, Mathematik und Informatik. © Aldeia da Criança

Im Kurs sollen die Teilnehmerinnen, die in der Regel zwischen 13 und 24 Jahre alt sind, nicht nur das Handwerk von der Pike auf erlernen. Zusätzlich erhalten sie Unterricht in Portugiesisch, Mathematik und Informatik. Die Mädchen und Frauen werden geschult im kleinen Einmaleins des Unternehmertums. Produzieren, anbieten auf Basars oder im Internet und verkaufen, sodass sie mit den genähten Kleidungsstücken, Decken, Kissen und Taschen ihr Lebenseinkommen und letztlich ihre private Situation verbessern können. Ein Kurs mit ungefähr 14 Teilnehmerinnen dauert rund vier Monate und findet dreimal in der Woche statt.

Teilnehmerinnen bekommen Hilfe zur Selbsthilfe

Nicht alle schließen den Kurs ab. Die Gründe sind unterschiedlich. Wenn Erntezeit ist, wird ihre Hilfe auf den Feldern benötigt. Oder der Ehemann verbietet seiner Frau den weiteren Besuch, weil der Matheunterricht von einem Mann geleitet wird, wie Sonja Kienzle berichtet. Diejenigen, die den Kurs absolvieren, dürfen bestenfalls auf eine Anstellung in Nova Friburgo hoffen oder sie setzen eigenständig ihre Näharbeiten von Zuhause fort.

Valdinéia (48) hat den Kurs in der Näh- und Schneiderschule, den der Rotary Club Bottrop-Wittringen finanziell unterstützt, in Nova Friburgo (Brasilien) erfolgreich bestanden.
Valdinéia (48) hat den Kurs in der Näh- und Schneiderschule, den der Rotary Club Bottrop-Wittringen finanziell unterstützt, in Nova Friburgo (Brasilien) erfolgreich bestanden. © Aldeia da Criança

Valdinéia hat ihren Kurs erfolgreich abgeschlossen. „Ich habe sehr viel gelernt“, sagt sie überglücklich. Inzwischen hat sie sich von dem Verkauf einiger ihrer Produkte eine eigene Nähmaschine leisten können. Sie ist stolz, dass sie selbst mitwirken und helfen kann, indem sie in einem Nähkurs ihre Kenntnisse an andere Teilnehmerinnen weitergibt. Eine Tochter von ihr arbeitet in Nova Friburgo, sie hat es geschafft, durch eine entsprechende Schulbildung und den Kursbesuch eine Anstellung zu finden. „Bis jetzt sind 69 Frauen ausgebildet worden“, sagt Fernanda Milanez, Geschäftsführerin des brasilianischen Partnervereins „Aldeia da Crianca Alegre“. Im zweiten Halbjahr werden zusätzliche Kurse anlaufen.

Präsident Bolsonaro verharmlost Corona

Milanez hofft, dass die Corona-Pandemie diese Planungen nicht durchkreuzen wird. Die aktuelle Situation sei sehr schwierig, wie sie sagt. Sie nennt den Namen des umstrittenen brasilianischen Präsidenten Bolsonaro nicht, weil sie keine Schimpfwörter in den Mund nehmen möchte. Die Lage ist dramatisch. In den örtlichen Krankenhäusern sind die Intensivplätze zu 100 Prozent ausgelastet. Was in Brasilien passiert, nennt sie „eine Auslöschung der armen Bevölkerung Brasiliens“. Es gibt kaum eine Familie, in der nicht ein Opfer zu beklagen sei. Laut neuesten Zahlen beklagt das Land mehr als eine halbe Million Corona-Tote.

Noch immer würde es aus Sicht von Milanez ganz viele Menschen geben, die nicht daran glauben, dass es Corona tatsächlich gibt. Und zwar deshalb, weil das Virus von der Regierung um Bolsonaro klein geredet werde. Im Nähkurs gilt die Maskenpflicht. Einen positiven Coronafall hat es bisher nicht gegeben.

Infos zum Rotary Club Bottrop-Wittringen

Der Rotary Club Bottrop-Wittringen zählt zurzeit 54 Mitglieder. Der Club unterstützt und fördert zahlreiche Hilfsprojekte. Wie Alexander Gries mitteilt, handelt es sich dabei unter anderem um den Kinderschutzbund und die Kinder- und Jugendeinrichtung „Arche Noah“ in Bottrop sowie die Musikschulen in Bottrop und in Gladbeck.

International gibt es zudem Projekte in Ruanda und Kambodscha. Mehr Informationen zu den Projekten unter https://bottrop-wittringen.rotary.de