Bottrop-Kirchhellen. Ein Dorf wächst rund um eine Kirche. Das war auch in Kirchhellen so. Aber was passiert, wenn die Kirche plötzlich ganz woanders steht?

Die Gründungslegende von Kirchhellen geht so: „Ein sächsischer Edeling errichtet im achten Jahrhundert in einer Senke am Hellen einen Gräftenhof. Entsprechend der damaligen Gepflogenheit nennt er sich Hillen oder Hyllen.“

So beschreibt der Bürgerverein Hof Jünger die Entstehung des Dorfes, und so oder ähnlich mag es gewesen sein. Fest steht: Rund um die spätere Wasserburg und die 1250 erbaute Kirche auf dem alten Kirchplatz entstand das Dorf – mit dem Gesicht zur Kirche. Zentrale Straße in Dorf war die Bogenstraße, heute Senheimer Straße.

Bottrop-Kirchellen: Dem Kirchplatz den Rücken gedreht

Auch der Pastor war Landwirt, und der Wirt erst  recht: Die Zeichnung des Kirchhelleners Theodor Kleppe aus dem Buch.“Kirchhellen in der guten alten Zeit“ zeigt die spätere Gaststätte Dickmann-Kessler noch mit einem Scheunentor. Für Heimatforscher Hans Büning ein gutes Beispiel für ein „Ackerbürgerhaus im Dorfdrubbel“.
Auch der Pastor war Landwirt, und der Wirt erst recht: Die Zeichnung des Kirchhelleners Theodor Kleppe aus dem Buch.“Kirchhellen in der guten alten Zeit“ zeigt die spätere Gaststätte Dickmann-Kessler noch mit einem Scheunentor. Für Heimatforscher Hans Büning ein gutes Beispiel für ein „Ackerbürgerhaus im Dorfdrubbel“. © FUNKE Foto Services | Franz Naskrent

Warum aber haben heute die Häuser dem Kirchplatz den Rücken gedreht, warum zeigen die Schaufenster heute zur Hauptstraße? Das lässt sich festmachen an zwei Ereignissen, die dafür gesorgt haben, dass die Dorfmitte ein neues Zentrum bekam. Sie geschehen 1910 und 1917.

300 Jahre lang, bis um das Jahr 1500, war die Burg Sitz der wichtigen Vermögensverwaltung des Herzogtums Westfalen, Kurfürst war der Erzbischof von Köln. Ab 1585 ging es bergab mit der Burg. In den „Truchsessichen Wirren“, die tatsächlich ein Krieg waren, schleiften Martin von Nideggen und seine Söldner die Burg, deren Besitzer die katholische Partei des Erzbischofs Ernst von Bayern unterstützt. Danach verfällt der Bau, wird halbherzig wieder aufgebaut, wird 1809 Schnapsbrennerei – und brennt 1884 ab. 1910 macht die Familie Jünger sie im Wortsinn dem Erdboden gleich: Sie wird Ackerland.

Zwei Bezugspunkte verschwanden

Damit hatte der „Dorfdrubbel“, wie die Kirchhellener ihren Ortskern nannten, den ersten von zwei Bezugspunkten verloren. Der zweite verschwand 1917: mit dem Brand der alten Kirche. Die Geschichte der Dorfkirche soll uns eine eigene Serienfolge wert sein. Heute nur soviel: 1925 wurde die Kirche neu gebaut an St. Johannes und damit im Rücken des alten Dorfkerns.

Wer immer in den folgenden Jahrzehnten um- oder neu gebaut hat rund um den alten Dorfkern, hat seinen Bau ausgerichtet auf die neue Dorfmitte, also Richtung Hauptstraße. Na ja, fast jeder. Peter Pawliczek, Vorsitzender des Heimatvereins, erzählt bei seinen historischen Spaziergängen durch den Dorfkern gern die Geschichte von Bauer Jösken. Die geht so:

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„Da die Häuser früher alle zum alten Dorfkern ausgerichtet waren, befanden sich an der Hauptstraße die Gebäuderückseiten mit Gärten und Ställen. Bauer Jösken hatte hier also seinen Schweinestall und wo heute die Geschäfte an der Hauptstraße sind, befand sich bis in die 60er Jahre der letzte Misthaufen im Dorf. Im Haus nebenan konnten die Bewohner oft wegen des Gestanks nicht ihre Wohnungen lüften.“

Dorfapotheke ist ein gutes Beispiel

Und wieder verschwand ein Stück des alten Ortskerns: der Abriss der Gaststätte Dickmann-Keßler im Sommer 2018.
Und wieder verschwand ein Stück des alten Ortskerns: der Abriss der Gaststätte Dickmann-Keßler im Sommer 2018. © FUNKE Foto Services | Michael Korte

Ein gutes Beispiel für die 180-Grad-Wende in der Ortsmitte ist das Gebäude der Dorfapotheke. Der Neubau von 2007 ist natürlich zur Hauptstraße ausgerichtet. Aber hinten hat Apothekengründer Hans Reers liebevoll das alte Fachwerkhaus von 1822 restauriert. Das Haus ist eines der letzten Überbleibsel des historischen Dorfkerns.

Pawliczek berichtet zur Geschichte des Hauses: „Es gehörte ursprünglich Hans Söller, der hier als Elektriker auch ein kleines Elektrogeschäft betrieb, bevor er das Haus an Egon Schmitz verkaufte, der den Neubau an der Hauptstraße errichtete und dort eine Drogerie eröffnete.“ Der folgte dann die Dorfapotheke.

Bis heute birgt das Gebäude eine weitere Erinnerung an den historischen „Drubbel“, und inzwischen hat Hans Reers sie sogar ausgeschildert: Die Straßenschilder „Ekeler Kirchweg“ erinnern an den langen und mühsamen Weg der Bauern aus Ekel und Hardinghausen zur Kirche am alten Kirchplatz und zurück. Zweimal hat der Kirchbauverein Ekel in der Vergangenheit versucht, Geld für eine eigene Kirche zu sammeln, berichtet Heimatforscher Hans Büning. 1923 kam die Inflation dazwischen, 1939 der zweite Weltkrieg. Den Kirchbauverein gibt es übrigens immer noch. Heute betreut er den Kindergarten Ekel.