Bottrop. Zwei Menschen, die Ausgrenzung und Armut erleben, berichten aus ihrem Leben. Was der Paritätische sagt und warum Betroffene helfen können.
Die Armut in Deutschland muss endlich ein Ende haben. Das fordert der Paritätische Wohlfahrtsverband. Bei dem dreitätigen bundesweiten Aktionskongress „Armut“, der noch bis diesen Samstag digital stattfindet, ist auch die Paritätische aus Bottrop mit von der Partie. Man bietet Betroffenen die Möglichkeit, sich einzubringen und auszutauschen.
Eine von ihnen ist Hella Witt. Als Lesepatin liest sie Jungen und Mädchen ehrenamtlich in Kitas und Kindergärten vor. Doch aufgrund der Corona-Pandemie ist dies nicht mehr möglich. Sie lebt von der Grundsicherung und kann wegen einer Erkrankung nicht erwerbstätig sein. Aber sie möchte dennoch helfen und „etwas zurückgeben“. „Das Vorlesen hat mir sehr gefehlt und fehlt mir immer noch“, sagt sie und kämpft mit den Tränen. Sie vermisst den Austausch und die sozialen Kontakte, die sie durch das Ehrenamt erhalten hat. Mittlerweile ist sie geimpft und will wieder anfangen.
Daniel, der seinen richtigen Namen nicht nennen möchte, versucht sein Berufsleben in die Hand zu nehmen. Viele Jahre war er arbeitslos. Er hat Schubladendenken auf Ämtern erlebt, diese abfälligen Blicke bemerkt und gehört wie Menschen über ihn reden. Für sich sieht er eher schlechte Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Deshalb möchte er ein Start-up gründen und sich selbstständig machen. Sein Wunsch? „Eine bedingungslose Grundsicherung“, das würde ihm im Leben helfen.
Viele scheuen den Gang zum Amt
Burkhard Glebe war bis Ende letzten Jahres für das Arbeitslosenzentrum in Bottrop zuständig. „Der menschliche Umgang muss sich ändern“, sagt er. Der Gang zum Jobcenter kostet für die meisten von ihnen sehr viel Überwindung. „Derjenige, der dorthin geht, macht einen großen Schritt“, sagt Glebe. „Es gibt auch viele, die keinen Antrag stellen, obwohl sie ein Recht darauf hätten.“
Den Beteiligten beim Aktionskongress geht’s darum, konkrete Lösungen zu finden. Ein Umdenken muss stattfinden. Denn: Die Zeit des Redens ist vorbei. „Es ist alles gesagt worden. Jetzt muss sich etwas ändern“, meint Andrea Multmeier, Kreisgruppengeschäftsführerin des Paritätischen. Der erste Armutsbericht der Bundesregierung erschien 2001. „Argumente sind genug ausgetauscht worden.“ Trotzdem hat sich aus ihrer Sicht nichts verbessert. Im Gegenteil: „Die Armut ist gestiegen“, sagt Multmeier. Schon vor Corona hatte sie ein Rekordniveau erreicht. Mit der Krise nahm die Ungleichheit weiter zu. „Wir wollen, dass niemand in Deutschland in Armut lebt“, findet Multmeier. Bei dem Aktionskongress tauschen sich deshalb Sozialarbeiter und Betroffene aus.
Sozialschwache engagieren sich für das Ehrenamt
Teilnehmer sitzen in ganz Deutschland coronakonform teilweise in kleinen Gruppen vor dem Bildschirm. Eine Reichweite, die man womöglich als Präsenzveranstaltung gar nicht erreichen konnte. „Es gibt Geschichten, von denen man sehr berührt ist“, sagt Stefanie Schweiger vom Bottroper Verein „Die Perspektive“. Als „hochspannend“, bezeichnet Multmeier manche Beiträge. Sie spricht ganz bewusst von Aktivisten und nicht von Betroffenen. „Wir nennen sie Aktivisten, weil sie aktiv gebraucht werden und sich einbringen können.“
Sandra Urban von der Bottroper Ehrenamtagentur dazu: „Es gibt viele Menschen, die von Armut und Ausgrenzung betroffen sind, die sich aber ehrenamtlich engagieren möchten.“ Gerade diese Menschen muss man „ins Boot holen“, sagt sie. Ehrenamt sei ein so großer Baustein, der immer noch nicht genügend wertgeschätzt werde.
Aktive Teilnahme von drei Trägern
Ein Ziel des Aktionskongresses war die zivilgesellschaftliche Vernetzung im Kampf gegen Armut. Dazu wurde in Vorträgen, Debatten und Workshops diskutiert, wie öffentlicher Druck zu gesellschaftlichem Wandel beitragen kann.Aus Bottrop waren als Initiativen vertreten: Die Arbeitsgemeinschaft Sozialer Brennpunkte (ASGB) mit dem Stadtteilbüro Batenbrock. Dazu „Die Perspektive e. V. (Ehrenamtagentur/ Arbeitslosenzentrum sowie ambulante Hilfen für psychische Gesundheit) und Intego gGmbH (Begleitung von psychisch Erkrankten, ambulante Hilfen für psychische Gesundheit).