Bottrop. Ohne Notbremse ist Bottrop Ostern wieder bei einer Inzidenz von 200, sagt OB Bernd Tischler. Reaktionen auf den Bottroper Sonderweg.
Der Corona-Krisenstab hat nach langer Diskussion entschieden, diese Woche keine Allgemeinverfügung vom Land absegnen zu lassen, die die „Notbremsenregelung“ umgeht. Beschlossen wurde außerdem, sich nach Ostern in der nächsten Krisenstabssitzung wiederum mit der Thematik zu befassen.
Wesentliche Entscheidungsgrundlage für den Stab war dabei die stürmische Zunahme des Inzidenzwertes in Bottrop in den vergangenen Tagen, der Montag bei über 131 lag und damit erstmals wieder über dem Landesdurchschnitt. Zudem bestätigte Krisenstabssprecher Andreas Pläsken, dass nach der britischen Mutante des Virus jetzt in mindestens sieben Fällen auch die südafrikanische Mutation in Bottrop aufgetaucht ist. Erste Studien lassen die Befürchtung zu, dass der Impfstoff von Astrazeneca gegenüber dieser Mutation weniger Impfschutz bietet.
Zwei Lockerungsstufen zurück für den Handel
Für den Handel bedeutet die Entscheidung des Krisenstabes: ab Dienstag zwei Lockerungsstufen zurück zur „Click und Collect“-Regelung, das „Click und Meet“-Modell ist verboten. Die wirtschaftlichen Belange wurden in der Entscheidungsfindung intensiv gewürdigt, nach unbestätigten Angaben gab es ein knappes Abstimmungsergebnis. Doch bei aller Würdigung der prekären Situation im Handel wurde mehrheitlich ein Votum für die gesundheitlichen Belange der Bevölkerung getroffen, da die noch bis vor einer Woche durchaus „geringen“ Werte bei den Infiziertenzahlen in den vergangenen Woche sprunghaft angestiegen sind.
„Entscheidung zur Erhaltung der Gesundheit“
Auch als Wirtschaftsförderungsdezernent bedauert Oberbürgermeister Bernd Tischler, dass die Infizierten-Lage in Bottrop den Boden für die Krisenstabsentscheidung gelegt habe. „Es ist eine Entscheidung zur Erhaltung der Gesundheit der Bottroperinnen und Bottroper“, betont Bernd Tischler. Denn ohne die „Notbremse“ seien zu Ostern wieder Inzidenzzahlen von an die 200 zu erwarten. Da würden auch keine Teststrategien kurzfristig helfen, die Bottrop mit inzwischen 30 öffentlichen Testzentren durchaus habe, die mit mehreren großen und kleineren Angeboten noch in dieser Woche weiter ergänzt würden.
Zur Zeit helfe nur die Devise „Zuhause bleiben, nur das Nötigste einkaufen, das gute Wetter zu Aktivitäten an der frischen Luft nutzen, ohne an größeren Treffen teilzunehmen“, verdeutlicht der Oberbürgermeister, wohl wissend, dass viele Bürgerinnen und Bürger genervt seien. „Doch dem Virus ist das egal, es wartet mit seinen Mutationen auf Chancen, die wir ihm nicht geben sollten!“, bekräftigt Tischler.
Bottroper Einzelhändler üben Kritik an dem Sonderweg
Den Einzelhändlern tut dieser Bottroper Sonderweg weh. Wettbewerbsrechtlich sei die Entscheidung des Bottroper Krisenstabs nicht nachvollziehbar, sagt Klaus-Wilhelm Beyhoff. Der Geschäftsführer des gleichnamigen Bottroper Möbelhauses kann nicht verstehen, warum es in Bottrop nicht möglich sein soll, was in allen umliegenden Städten praktiziert wird – einkaufen nach negativem Test. „Es gibt doch genügend Testzentren in der Stadt.“
„Click und Meet“ habe bei ihm im Möbelhaus ohne Schwierigkeiten funktioniert. Es seien maximal acht Kunden auf 6000 Quadratmetern gewesen. „Mitarbeiter in vielen Branchen und Betrieben fürchten um ihre Existenz und die Entscheider in Bund, Land und Stadt tragen dafür die Verantwortung“, warnt Beyhoff. So könne es nicht weitergehen, man könne sich doch nicht von Lockdown zu Lockdown hangeln. Dass die Inzidenz in Bottrop ansteigt führt er auf die vermehrten Schnelltests zurück. Die habe man ja eingeführt, um verdeckte Infektionen aufzuspüren. „Das das jetzt dazu führt, dass der Handel wieder dicht machen muss, kann doch nicht sein.“
Amazon wird am Ende der Gewinner sein, so die Befürchtung
Beyhoff erinnert daran, dass der Krisenstab, als Bottrops Inzidenz noch unter 100 lag, und ein Öffnen der Geschäfte möglich gewesen wäre, mit Blick auf die Solidarität im Ruhrgebiet nicht geöffnet habe. Nun schere man aus und sucht einen Sonderweg. Er fürchtet, dass die Bottroper dann in die Nachbarstädte fahren. Auch mit Blick auf mögliche Neuansiedlungen von Händlern hält er die Krisenstabsentscheidung für fatal.
„Es ist frustrierend“ sagt auch Elektronikhändler Norbert Formella. Mit Blick auf die Zahlen sei es vielleicht richtig und nachvollziehbar, dass nun aber jede Stadt eigene Entscheidungen trifft, das verunsichere die Kunden am Ende noch mehr. „Dieses Hin und Her ist doch nicht mehr nachvollziehbar“, sagt er. Er glaubt, dass gar nicht so viele Kunden die Möglichkeit nutzen würden, sich für eine Shoppingtour freizutesten. Das will er nun in den umliegenden Städten beobachten. Er selbst könne sich als kleiner lokaler Händler nur an die geltenden Regeln halten. „Der Gewinner am Ende heißt Amazon.“
Sinn-Chef plant eigene Testzentren in den Modehäusern
Sinn-Chef Friedrich Göbel schüttelt nur noch den Kopf: „Als Bürger habe ich inzwischen das Vertrauen in eine kompetente Handlungsweise der Politik komplett verloren“, so der Unternehmer, der vor wenigen Tagen erst die Filialen der Modekette Sinn in den früheren Mensing-Häusern eröffnet hat - übrigens mit allen früheren Mitarbeitern. Auch die einsame Bottroper Entscheidung kann er nicht nachvollziehen. Er verweist auf Städte wie Hannover, in denen alle Läden schon geschlossen waren und die Inzidenz dennoch in die Höhe geschnellt sei.
In den Sinn-Häusern plant er gerade, auf Basis der jetzigen Lage eigene zertifizierte Schnelltestzentren einzurichten. Wenn alles klappt, könnten die dann in wenigen Tagen an den Start gehen. Nächste Sinn-Häuser im Bottroper Umkreis wären dann Essen oder Dorsten.
Geschäfte des täglichen Bedarfs aber auch Friseure sind von der Notbremse nicht betroffen.