Bottrop. Mit einem Stadtführer im Taschenbuchformat führen die Naturfreunde zu geschichtlich bedeutsamen Orten rund um die Innenstadt von Bottrop.

Einen „Bottroper Stadtgang gegen das Vergessen“ haben die Naturfreunde Bottrop entworfen. Einen Stadtführer im Taschenbuchformat, der zu geschichtlich bedeutsamen Orten rund um die Innenstadt führt und Aufklärungsarbeit leisten möchte über Antisemitismus und die Zeit des Nationalsozialismus.

Naturfreunde verstehen sich als gesellschaftspolitisch aktiver Freizeitverband

„Es sind die Orte, an denen wir leben. Diese Orte haben Geschichte, und die zu sehen ist auch unter den aktuellen Entwicklungen wichtig“, sagt Naturfreunde-Mitglied Dagmar Kaplan, die viel für das Büchlein recherchierte, das auch an Bottroper Naturfreunde-Persönlichkeiten wie den Boxer Dieter Renz oder Museumsleiter Arno Heinrich erinnert. „Ohne Dagmar“, sagt die Vorsitzende Ute Herbst, „hätten wir das nicht hingekriegt.“ Aber das Projekt, zu dem der stellvertretende Vorsitzende Wilhelm Schluckebier die Idee lieferte, war ihnen allen wichtig. Denn die Naturfreunde, vor 125 Jahren in Wien gegründet, verstehen sich nicht nur als ökologisch orientiert, sondern auch als ein gesellschaftspolitisch aktiver Freizeitverband.

Die Naturfreunde Wilhelm Schluckebier, Ute Herbst und Dagmar Kaplan (v. li.) ermuntern Interessierte dazu, sich auf eigene Faust mit dem „Stadtgang gegen das Vergessen“ auf Tour durch Bottrop zu begeben.
Die Naturfreunde Wilhelm Schluckebier, Ute Herbst und Dagmar Kaplan (v. li.) ermuntern Interessierte dazu, sich auf eigene Faust mit dem „Stadtgang gegen das Vergessen“ auf Tour durch Bottrop zu begeben. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde

Impulse für diesen „Stadtgang gegen das Vergessen“ habe es gleich mehrere gegeben: das Bedürfnis, Zeitzeugen zu Wort kommen zu lassen, so lange es noch welche gibt; das Gefühl des Erstarkens rechtsextremer Kräfte; die Besinnung der Naturfreunde auf ihre Wurzeln. Kaplan: „Wir als Naturfreunde stammen aus der Arbeiterbewegung, sind auch eine soziale Bewegung und haben uns mit dem Thema Demokratiebildung beschäftigt.“

Eine Station ist den ersten Bottroper Naturfreunden gewidmet

Den ersten Naturfreunden in Bottrop, die sich vor knapp 90 Jahren 1931 in der Gaststätte Haus Ketteler an der Prosperstraße 235 gründeten (und 1933 von den Nazis verboten wurden), ist in der Broschüre eine eigene Station gewidmet. Sie liegt aber etwas abseits des eigentlichen Stadtrundgangs, der im Kern den Pferdemarkt zum Start- und Zielpunkt hat.

Los geht es nämlich eigentlich am Pferdemarkt 4, wo sich die Stolpersteine für die jüdische Familie Reder befinden. Weitere dieser Gedenksteine im Straßenpflaster und Erläuterungen zu den Opfern der Nazizeit, an die damit erinnert wird, sind auch im Verlauf des Stadtgangs immer wieder Thema.

Liste der jüdischen Geschäfte an der Hochstraße

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Aber zum Beispiel auch das ehemalige Jungengymnasium (heutiges Kulturzentrum) an der Blumenstraße, das einst der berühmte Stadtsohn August Everding besuchte, die Stele zum Gedenken an den einstigen jüdischen Betsaal an der Tourneaustraße, das Rathaus, die Turnhalle der ehemaligen Mittelschule an der Paßstraße, in der Zwangsarbeiter untergebracht waren, oder die ehemalige Polizeikaserne des „Grausamkeitsbataillon 316“ an der Prosperstraße werden unter anderem angesteuert. Und per Broschüre mit historischen Erläuterungen versehen. Eindrucksvoll ist zum Beispiel die Liste der jüdischen Geschäfte, die einst an der Hochstraße existierten.

Durch die Schirmherrschaft von Oberbürgermeister Bernd Tischler, selbst ein Mitglied der Naturfreunde, und die Stärkenberatung der Naturfreunde NRW wurde das Projekt unterstützt, und das nicht nur ideell. Die Broschüre befähigt jeden Interessierten, den Stadtgang allein oder in (coronabedingt nur kleiner) Gesellschaft zu erkunden. Sobald die Pandemie-Lage das wieder zulässt, wollen die Naturfreunde auch regelmäßig geführte Stadtgänge anbieten, für unterschiedliche Gruppen.

Das Taschenbuch hat 46 Seiten, eine Karte wird eingelegt, QR-Codes zeigen ansonsten die jeweiligen Anlaufpunkte online an. Eine komplette Stadtgang-Runde dauert zwei bis drei Stunden.

Gedenktag 9. November

Eingewebt in die Broschüre sind auch Zeitzeugenberichte von Inge Minier, sie wurde 1927 geboren und wuchs in Bottrop auf. Seit 1966 ist sie Mitglied der Naturfreunde. Eine ihrer Erinnerungen spiegelt die Ereignisse der Pogromnacht am 9. November 1938 in Bottrop. Zehn Jahre alt war sie damals, als sie die Zerstörung jüdischer Geschäfte mitbekam.

Den Gedenktag 9. November hatten sich die Naturfreunde eigentlich ausgeguckt, um ihren „Stadtgang gegen das Vergessen“ der Öffentlichkeit vorzustellen. Das muss coronabedingt ausfallen. Wer an einem Exemplar interessiert ist, kann es kostenlos unter info@naturfreunde-bottrop.de anfordern.