Bottrop. Drei Frauen blicken zurück auf ihre lange Zeit im Bottroper Rat und erklären, warum Politik vor Ort aus ihre Sicht oft auch fremdbestimmt ist.
73 Jahre politische Erfahrung im Rat sitzen um einen Tisch. Renate Palberg (80, SPD) ist seit 1989 Mitglied im Bottroper Rat. Jutta Pfingsten (67, SPD) und Lore Jakobi (75, CDU)C sind jeweils seit 1999 dabei. Mit der Wahl am Sonntag endet für alle drei eine lange Ära politischer Arbeit, denn alle drei haben für sich entschieden, den Weg freizumachen für andere.
Alle drei Politikerinnen haben Zeiten miterlebt, in denen die Themen Soziales oder Familien auch belächelt wurden und wo Frauen im Rat eine noch größere Ausnahme waren als jetzt. Renate Palberg erinnert sich noch an Etat-Beratungen als es um die Einrichtung eines Frauenhauses ging. Da habe man dann zu hören bekommen. „Wenn Du ein Frauenhaus willst, dann will ich ein Männerhaus.“ Heute habe sich das zum Glück verändert.
An Sitzungstagen hat der Ehemann die Kinder ins Bett gebracht
Jutta Pfingsten hat ihre ersten politischen Erfahrungen in Essen gesammelt, war dort Bezirksvertreterin. „Ich hatte damals zwei kleine Kinder. Wenn Sitzungen waren, hat mein Mann sie ins Bett gebracht. Der wurde dafür ausgelacht.“ Ohne diesen Rückhalt aber hätte sie sich überhaupt nicht politisch engagieren können. Und das sei auch heute noch ein Problem vieler Frauen, dass sich Familie und Beruf nur selten mit lokalpolitischem Engagement vereinbaren ließen.
Jutta Pfingsten war Vorsitzende des Seniorenbeirats, Renate Palberg Vorsitzende im Sozialausschuss und Lore Jakobi war für ihre Partei Sprecherin im Betriebsausschuss des Sport- und Bäderbetriebs. „Mir war aber auch wichtig, dass ich meinen Platz im Planungsausschuss hatte, weil da auch wegweisende Entscheidungen getroffen wurden“, betont Jutta Pfingsten.
Vieles wird von Bund und Land vorgegeben und kostet die Kommunen Geld
Sie ist es auch, die einen Finger in die Wunde legt. Vielfach, so ihre Einschätzung, sei der Rat fremdbestimmt, „bestimmt zu 90 bis 95 Prozent“. Es gebe oft Vorgaben von Bund und Land, die müssten umgesetzt werden und dann müssten die Kommunen draufzahlen – Geld, das für eigene Projekte fehlt.
Daraus ergebe sich eine starke Abhängigkeit von Fördermitteln, hat Renate Palberg beobachtet. Die fließen zwar, sind aber an Bedingungen geknüpft. „Dann sind sie in der Regel auch noch befristet, so dass man gute Projekte, die vor Ort ankommen, oftmals nicht weiterführen kann“, bedauert Palberg. Ein Beispiel dafür sei die Quartiersarbeit. Die fortzusetzen, dafür fehlt der Stadt das Geld.
Freude über Sportförderung und Quartiersarbeit in Bottrop
Und auch bei der Flüchtlingsarbeit leite das Land nicht die Gelder weiter, die die Städte eigentlich bräuchten. „Das ist unabhängig davon, ob es nun eine CDU- oder SPD Landesregierung ist“, stellt Renate Palberg klar. Letztlich helfe nur eine große Gemeindefinanzreform, sagt Jutta Pfingsten. „Ich würde mir wünschen, dass man den Kommunalpolitikern das Geld zur Verfügung stellt und ihnen vertraut, dass sie das Richtige damit tun, weil sie die Gegebenheiten in ihrer Stadt kennen.“
Trotz der Zwänge können alle drei Frauen zurückschauen und Projekte benennen, die sie mit vorangetrieben haben und auf die sie stolz sind. Etwa die Förderung talentierter Bottroper Sportler, die auf die CDU zurückgeht. Dazu die Quartiersarbeit, auf die die SPD-Frauen verweisen.
Der einhellige Rat an junge Menschen, sich politisch zu engagieren
Doch würden sie jungen Menschen heute empfehlen, sich zu engagieren, politische Ämter anzustreben? Hier sind sich die Drei einig. „Auf jeden Fall.“ Es sei sogar besonders wichtig, dass sich mehr junge Menschen einbrächten, sagt Lore Jakobi und hofft auf positive Effekte durch das Jugendparlament.
In Zeiten wo vielfach Respektlosigkeiten und Verrohungen beklagt werden, können Jutta Pfingsten, Renate Palberg und Lore Jakobi aber sagen, dass sie Beschimpfungen oder gar Anfeindungen nicht erlebt, hätten. Allerdings: Vielfach haben sie Unwissen ausgemacht, manchmal wüssten Menschen gar nicht, was wirklich vor Ort entschieden wird. Jutta Pfingsten: „Die Menschen kommen zu uns und beschweren sich über Lehrermangel. Denen müssen wir dann erklären, dass wir zwar für das Gebäude zuständig sind, was aber drinnen geschieht, anderswo entschieden wird.“
Kommunalpolitik sollte auch in Schulen mehr Aufmerksamkeit erhalten
Renate Palberg wünscht sich, dass die Politik vor Ort im Unterricht viel mehr Aufmerksamkeit erhalten. So würden manche Missverständnisse und Vorurteile – etwa was die Aufwandsentschädigungen der Kommunalpolitiker angeht – gar nicht erst entstehen, glaubt sie.
Auch sie ziehen einen Schlussstrich im Rat
Meike Schöps (SPD), die Vorsitzende des Schulausschusses, wird dem neuen Rat ebenfalls nicht mehr angehören. Die Tochter von Jutta Pfingsten hat ebenfalls auf eine erneute Kandidatur für den Stadtrat verzichtet.
Johannes Bombeck (ÖDP) ist ebenfalls eine langjähriges Ratsmitglied, dessen Zeit im Stadtrat nun endet. Auch der ÖDP-Fraktionsvorsitzende und früher OB-Kandidat der Partei hat sich für die jetzt anstehende Kommunalwahl nicht erneut aufstellen lassen.
Gabriele Schmeer (FDP) hat dem Rat zwar nur eine Ratsperiode lang angehört. Doch als eine der Anführerinnen des Protests für den Erhalt des Stenkhoffbads – damals noch parteilos – gehört sie zweifelsohne auch zu den bekannten politischen Köpfen in der Stadt. Nach dem Erfolg der Ratsbürgerentscheids war sie zunächst für die Piratenpartei in den Rat eingezogen. Dort gründeten FDP und Piraten gemeinsam eine Ratsgruppe, später trat Gabriele Schmeer auch in die FDP ein.