Bottrop. Die lokalen Betriebe profitieren vom Tönnies-Skandal und hoffen auf ein Umdenken in der Gesellschaft. Es gibt Gründe, warum sie skeptisch sind.

Das Fleischimperium „Tönnies“ in Rheda-Wiedenbrück ist seit Wochen das schwarze Schaf in der Lebensmittelindustrie. Die Fleischer in Bottrop, wo noch Handwerk getätigt wird, profitieren dagegen von dem Skandal. Immer mehr Kunden denken nachhaltig und fragen nach, woher die Produkte stammen.

Die heimischen Fleischer freuen sich über das steigende Interesse und die Neukunden, aber eine gewisse Skepsis bleibt bestehen. Denn fast jedesmal, wenn in den letzten Jahrzehnten eine Sau medial durchs Dorf getrieben wurde, folgte oft die Ernüchterung an der Fleischtheke. „Das Thema ist doch nicht neu“, meint Hans-Hermann Hemmers. Sein gleichnamiges Geschäft ist eine echte Bottroper Traditionsfleischerei, und seit 108 Jahren an der Gladbecker Straße beheimatet. „Ich bin gespannt, wie lange das Umdenken andauert“, sagt Hemmers. Der Mann weiß, wovon er spricht. Er ist seit 51 Jahren Fleischermeister und hat viel erlebt. Immer wenn ein Skandal (Rinderwahnsinn, Schweinepest) in der Fleischproduktion in der Öffentlichkeit diskutiert wird, steigt das Interesse nach hochwertiger Qualität. Erst steigt die Nachfrage an, und dann nimmt sie mindestens genauso schnell wieder ab.

Getreu dem Motto: Hauptsache Fleisch, Hauptsache billig

Die Geiz-ist-geil-Mentalität bekommen Hemmers und seine Fleischer-Kollegen in einer skandalfreien Zeit zu spüren. Viele Verbraucher kaufen nach der Devise ein: Hauptsache Fleisch, Hauptsache billig. „Ich verkaufe den Kunden nur das, was ich selbst gerne esse“, sagt der Fleischermeister aus Überzeugung. Und dafür sind seine treuen und neuen Kunden gerne bereit, ein bisschen mehr zu zahlen. Zusätzlich betreibt er einen Party- und Catering-Service, der aufgrund von Corona-Lockerungen wieder anläuft. Nach dem Ausbruch der Pandemie im März hat er durch Gespräche mit Kunden erfahren, dass viele von ihnen sich wieder an den heimischen Herd stellen und selber kochen. Die Wiedergeburt der heimischen Kochkunst spiegelte sich ebenfalls erfolgreich in seiner Kasse wieder.

„Zur Zeit läuft der Fleischverkauf sehr gut“, sagt Direktvermarkter Burkhard Sagel. Er bietet regelmäßig auf seinem Hof am Dahlberg Fleisch und Wurst aus tierfreundlicher Landwirtschaft an und meldet für das kommende Verkaufswochenende: Alle Fleischpakete sind ausverkauft, aber es gibt noch Einzelware.„Corona und Tönnies wirken sich für uns positiv aus. Viele Menschen fangen an nachzudenken und einige handeln auch und ändern ihr Einkaufsverhalten.“

Der Preis regiert die Welt

Auch Martina Engberding, Obermeisterin der Fleischerinnung Bottrop/ Gladbeck, hofft auf ein Umdenken in der Gesellschaft. Sie prophezeit, dass das „ein langwieriger Prozess“ wird. Dafür bedarf es noch reichlich Überzeugungsarbeit. „Wenn die Kunden im Laden sind, versuchen wir alles zu geben“, sagt Engberding. Ihre Aussage steht stellvertretend für die Handwerkskollegen. Es gibt jedoch ein großes Problem. Denn: „Der Preis regiert die Welt.“ Daher ihr Appell: Es muss nicht jeden Tag Fleisch sein. Aber wenn Fleisch auf den Tisch kommt, dann sollten die Kunden lieber etwas mehr Geld für eine vernünftige Qualität ausgeben.

Eine Haltung, die die Biometzgerei Scharun seit Jahrzehnten konsequent vertritt. Der Tönnies-Skandal sei nur „die Spitze des Eisbergs“, meint Ulrich Scharun, der mit Bruder Burkhard den Betrieb leitet. Die Corona-Krise wirkt zurzeit wie ein Brennglas auf die Probleme der Massenproduktion in der Industrie: schlechte Bezahlung, überfüllte Unterkünfte und mangelnde Hygiene. „Jetzt werden die Missstände wahrgenommen“, sagt Scharun. Er hofft, dass das Thema, auch aufgrund der anhaltenden Corona-Pandemie, diesmal nicht so schnell von der medialen Bildfläche verschwindet.

Sechs Betriebe in der Fleischerinnung

Sechs Betriebe in Bottrop gehören der Fleischerinnung Bottrop/ Gladbeck an. Obermeisterin ist Martina Engberding. Sie hat ihr Geschäft (Fleischerei Engberding) in Gladbeck (Friedenstraße 1).

In Bottrop und Kirchhellen sind ansässig: Urbann (Horster Straße 371), Hemmers (Gladbecker Straße 216), Jaeger (Pferdemarkt 6), Scharun (Poststraße 10, Hauptstraße 47a, Kirchhellen), Riesener (Hauptstraße 35, Kirchhellen) und Overgünne (Lippweg 10, Kirchhellen).