Bottrop. Corona zwingt Schulen zur Digitalisierung in großen Schritten. Ein Besuch einer Video-Lehrstunde am Josef-Albers-Gymnasium in Bottrop.
Montag, kurz vor halb zehn. Chemie steht auf dem Stundenplan der 9b am Josef-Albers-Gymnasium (JAG). Experimente im Labor? Gibt's heute nicht. Sondern, natürlich coronabedingt, eine Unterrichtsstunde per Videokonferenz. Nach und nach erscheinen die Gesichter der Schüler auf dem Bildschirm, maximal neun sind gleichzeitig zu sehen. Manche Neuntklässler tragen Kopfhörer, einer nimmt noch schnell einen Schluck aus der Wasserflasche. "Einen wunderschönen guten Morgen zusammen, schön, dass Ihr so zahlreich und pünktlich erschienen seid", sagt Lehrer Manuel Weiß in Kamera und Mikro seines Tablet-PCs.
Wer nun denkt, Videounterricht sei gleich Frontalunterricht, täuscht sich. In der 9b geht es heute um die Benennung von Alkanen, und über die Funktion der Gruppenchats bearbeiten die Schüler in kleineren Runden ein Arbeitsblatt vor, bevor die Ergebnisse dann wiederum in der großen Konferenz diskutiert werden. Digital können per Symbol auch Handzeichen gegeben werden; Tafelbilder werden durch Schaubilder, die Weiß auf den Bildschirm holt, ersetzt. Dazu kommt noch ein kleiner Erklärfilm.
Erfahrungen in der Tablet-Klasse gesammelt
Das JAG - ein Vorreiter beim digitalen Heimunterricht? "Ich glaube schon, dass wir einiges weiter sind als andere Schulen", sagt Florian Wältring, Klassenlehrer der 9b und Mint-Koordinator. Was nicht zuletzt daran liege, dass seit zwei Jahren in einer Tablet-Klasse (der heutigen 9b) als Pilotprojekt schon einiges ausprobiert wurde. "Wir konnten zielgerichtet andere Kollegen schulen und hatten auch schon Best-Practice-Beispiele." Und mit Microsoft Teams, zur Verfügung gestellt vom Schulträger, ein Programm gefunden, das den Ansprüchen der Schule bestens entspricht.
Digital kann auch ein Kursheft angelegt werden, das etwa Arbeitsblätter, Filme oder Aufgaben enthält und über das Lösungen vorgezeigt werden können. Je nach Ausrüstung daheim können Schüler die Dokumente digital bearbeiten. Oder etwa Handschriftliches abfotografieren.
Mit dem Ausrollen der Softwarenutzung gerade auch im Bereich der Oberstufe und dem Start vier neuer Tablet-Klassen in der Jahrgangsstufe fünf hätte die Schule die Digitalisierung im kommenden Schuljahr sowieso weiter voran bringen wollen. Dank Corona und Schul(teil)schließungen ist die Schulgemeinde jetzt laut Wältring "in Siebenmeilenstiefeln" unterwegs. Überrollen lassen sich die Pädagogen von der Entwicklung aber nicht - sie haben ein Konzept entwickelt, um einheitliche Bedingungen zu erreichen. Zu den drei Säulen zählen ein Administratoren-Team, das technische Unterstützung anbietet; ein Hauptfachlehrer-Team, das Best-Practice-Beispiele für den Unterricht entwickelt und Lerninhalte abspricht; die Sorge dafür, dass niemand abgehängt wird - so könnten Schüler bei Bedarf z.T. mit Schulgeräten versorgt werden.
Und so hätten mittlerweile in allen Lerngruppen ergänzende Videokonferenzen stattgefunden, um das Fehlen kooperativer Bestandteile des Unterrichts und des sozialen Miteinanders beim Lernen auf Distanz auszugleichen. Was zunächst und gerade bei den Jüngeren dem Austausch diente, wird längst auch mit Unterrichtsstoff gefüllt.
Und was halten die Schüler davon? Eine Neuntklässlerin sagt: "Dass wir mit den Ipads vorher bereits viel zu tun hatten, das hilft schon." Und: "Das alles ähnelt dem normalen Unterricht sehr." Eine Mitschülerin ergänzt: "Ich kenne Freunde, die das mit der Schule alles über E-Mails machen. Das ist viel komplizierter." Ein Mitschüler findet, dass die Videokonferenzen Spaß machen, dennoch: "Nach einer Zeit hofft man schon darauf, dass man seine Freunde wieder sieht."
Abhängig auch von den Präsenztagen an der Schule, findet solches Lernen per Videokonferenz in den Hauptfächern jeweils etwa einmal in der Woche statt, in den Nebenfächern einmal alle 14 Tage. Die Erfahrungen, die die JAG-Lehrer bislang mit der Software sammeln konnten, geben sie auch gerne weiter. So hätten andere Schulen bereits danach gefragt, berichtet Schulleiter Ingo Scherbaum.
Denn eines scheint klar, auch für die Zeit nach den Sommerferien: "Man wird weiterhin eine Kombination aus Präsenzunterricht und Heimarbeit haben", so Florian Wältring.