Bottrop. Der Stahlkonzern Arcelor Mittal kippt ein 100-Millionen Euro-Projekt an der Kokerei. Das geplante Kombi-Kraftwerk wird nicht gebaut.
Als Folge der Stahlkrise kippt der Stahlkonzern Arcelor Mittal seinen Plan, gemeinsam mit dem Essener Energieunternehmen Steag an der Kokerei 100 Millionen Euro in die Hand zu nehmen für ein Gemeinschaftskraftwerk.
„Das mit der Steag geplante Gemeinschaftskraftwerk in Bottrop wird nicht weiterverfolgt“, teilte der Konzern am Nachmittag mit. Statt dessen werde „mit Hochdruck an alternativen Strategien gearbeitet, um die Gasverwertung langfristig zu sichern“. Arcelor Mittal erneuerte seine Forderung nach Unterstützung durch die Politik: „Es gibt bis heute keine wirksamen Handelsschutzmaßnahmen gegen Stahleinfuhren aus Ländern außerhalb der EU. Arcelor Mittal fordert eine Klimaschutzabgabe auf Importe, um einen fairen Wettbewerb zu gewährleisten.“
OB: Kein gutes Signal
Oberbürgermeister Bernd Tischler nennt die Entscheidung „kein gutes Signal für unsere Stadt als Industriestandort“, verweist aber auch auf die Kritik an der Kokerei wegen der erhöhten Staub- und Schadstoffbelastung (siehe Info). „Auf der einen Seite bedauere ich den Beschluss, das ursprünglich geplante Gaskraftwerk nun doch nicht zu realisieren. Auf der anderen Seite ist, vor allem für die Anwohner der Kokerei, die Situation aufgrund der erhöhten Staub- und Schadstoffbelastungen nur schwer tragbar. Die Stadtverwaltung Bottrop hat immer wieder die Einhaltung der entsprechenden Zielwerte angemahnt und auf technische Lösungen gegen die vorhandenen Probleme gedrängt. Gleichwohl müssen wir uns auch immer vor Augen halten, dass die Kokerei die Existenzgrundlage für insgesamt 600 Arbeitnehmer in und um Bottrop darstellt. Wir können nur abwarten, wie sich die Lage jetzt weiterentwickelt. In jedem Fall möchte ich betonen, dass wir als Stadt nach wie vor auf der Einhaltung der Immissionsgrenzwerte bestehen und zu dieser Forderung auch zukünftig weiter stehen werden.“
Projektgesellschaft war schon gegründet
Für das neue Kraftwerk in Bottrop hatten die beiden Konzerne bereits die Projektgesellschaft „Gemeinschaftskraftwerk Bottrop“ gegründet. Sie sollte bis Mitte 2023 ein Kraftwerk auf der Fläche der Zentralwerkstatt der ehemaligen Zeche Prosper-Haniel planen und bauen. Nach dem Prinzip der Kraft-Wärme-Kopplung sollte das Kraftwerk aus den Kokereigasen effizient und klimafreundlich Strom, Wärme und Dampf erzeugen.
„Wichtiger Beitrag zur Energiewende“
Der Strom sollte ins öffentliche Netz eingespeist werden; die Steag hatte vorgerechnet, die Leistung von rund 110 Megawatt decke den jährlichen Strombedarf von mehr als 200.000 Haushalten. Gleichzeitig sollte das Kraftwerk bis zu 60 Megawatt ins Bottroper Fernwärme-Verteilnetz einspeisen. Der Dampf schließlich sollte in der Kokerei genutzt werden; Arcelor hätte so seine alten Dampferzeuger auf dem Kokereigelände abschalten können. Das passgenau für die Kokerei produzierte Kraftwerk werde „ein wichtiger Beitrag zur Energiewende in Deutschland“, bewerteten die beiden Konzerne das Projekt bei der Vorstellung.
Dazu wird es jetzt nicht kommen, denn der weltgrößte Stahlkonzern hat schwer zu kämpfen mit der Stahlkrise. In den letzten Wochen hatten sich die Negativschlagzeilen gehäuft: Am Standort Bremen hat Arcelor Mittal bereits einen Hochofen heruntergefahren und „bis auf weiteres aus der Produktion genommen“. Folge: Kurzarbeit für einen Großteil der 3500 Mitarbeiter in Bremen.
Kokerei fährt Produktion zurück
Auch in der Bottroper Kokerei werde die Produktion zurückgefahren, kündigte der Konzern an. Bisher produzieren die 146 Öfen in Bottrop 1,8 Millionen Tonnen Koks für die Stahlproduktion Für Anfang nächsten Jahres hat der Konzern zunächst für drei Monate Kurzarbeit in Bottrop angekündigt.
Gleichzeitig brachen bei Arcelor Mittal die Erlöse ein. In der letzten Woche hat Arcelor Mittal Zahlen für dritte Quartal vorgelegt. Vor einem Jahr hatte der Konzern noch 899 Millionen Dollar Gewinn ausgewiesen; jetzt meldet er einen Verlust von 539 Millionen Dollar. Auch die Prognosen klingen nach Krisenmodus: In den USA schwächelt die Autoindustrie, in Europa wird ein deutliches weiteres Abfallen der Stahlnachfrage befürchtet.
Rückzug aus Italien
Vermutlich vor diesem Hintergrund will der Stahlkonzern aus der vereinbarten Übernahme des italienischen Stahlwerkes Ilva in Tarent aussteigen. Arcelor Mittal kündigt an, eine Ausstiegsklausel zu ziehen, weil es Änderungen in der italienischen Umweltgesetzgebung gegeben habe. Die Ankündigung hatte spontane Streiks der Stahlwerker ausgelöst. Der italienische Regierungschef Giuseppe Conte hatte den Streikenden am Freitag verkündet: „Wenn sich Arcelor Mittal zurück zieht, wird es zu einem rechtlichen Kampf kommen - und wir werden sehr hart sein.“