Bottrop. Auf der vierten und letzte Sommertour von WAZ und Vestsicher ging es zu den schönsten Ausflugsorten Bottrops: dem Bernepark und der Halde Haniel.
Die letzte war gefühlt auch die längste der diesjährigen Sommertouren, die WAZ und Vestische seit einigen Jahren ihren Kunden kostenlos anbieten. Jetzt hatte Stadtführer Holger Kröcher ein regelrechtes Panorama vorbereitet, das sich von einem der geografisch gesehen tiefsten Punkte der Stadt, dem Bernepark in der Ebel, bis auf 156 Meter Höhe auf die Halde Haniel erstreckte. Und wieder zeigte sich: Wer durch Bottrop tourt, kommt an Bergbau, Industrie und deren Auswirkungen nicht vorbei.
Denn ohne die Emscher und deren Flusssystem mit Berne und Co gäbe es den heutigen Bernepark nicht. Und ohne die Industrie wäre die einst fischreiche, wilde Emscher nicht vor gut 100 Jahren zur Industriekloake bestimmt worden, die dafür zu sorgen hatte, dass die Region - für damalige Verhältnisse - „sauber“ bleib. Holger Kröcher schwärmt vom Bernepark und seinen umgenutzten Klärbecken, die seit den 50er Jahren dafür sorgten, dass die Qualität der in die Emscher geleiteten Abwässer ein wenig besser wurde. „Kein Vergleich mit den heutigen Ambitionen“, sagt Kröcher im Brustton lokalpatriotischer Überzeugung. Denn wenn der Emscherumbau abgeschlossen ist, habe die Region nicht nur einen saubereren Fluss, der in Teilen dem mäandernden Gewässer von einst gleicht, sondern von Quelle bis zur Mündung in den Rhein auch einen Kulturpfad, der sich sehen lassen. Denn spätestens seit dem Projekt „Emscherkunst“ beteiligen sich hochkarätige Künstler an dieser großen Freiluftausstellung, die die Flussregion markant bespielt.
Ursel Klein, gebürtige Bottroperin und langjährige WAZ-Abonnentin, freut sich auf diese Tour. „Alle anderen habe ich schon einmal mitgemacht, diese hat mit noch gefehlt.“ Zu dem Zeitpunkt, als sie lächelnd auf die Röhrenhotels im Bernepark blickt und das vom Niederländer Piet Oudolf zum Garten gestaltete zweite Klärbecken betrachtet, ahnt sie noch nicht, dass es tatsächlich auch die längste dieser Fahrten werden sollte. Vorbei an einigen Landmarken der Südstadt, darunter Katsuo Katases „Lichtfossil“ kurz vor dem Südringcenter oder der großen Seilscheibe von Prosper I an der Friedrich-Ebert-Straße, geht es durch die Innenstadt, vorbei an den Stuckhäusern des Altmarkts oder der bürgerlichen Wohnkultur des ausgehenden 19. Jahrhunderts der Osterfelder Straße in Richtung Fuhlenbrock. St. Ludgerus, eine der vier erhaltenen wichtigen Kirchen, die Josef Franke für Bottrop schuf, darf man einfach nicht „links liegen lassen“. „Meine Schwiegereltern haben dort geheiratet und mein Mann und ich später auch“, sagt Manuela Dahmen. Sie wollte mehr über die Geschichte erfahren, muss aber leider in ihrem Vorort schon aussteigen. „Sonst schaffe ich es nicht mehr rechtzeitig zur Arbeit.“ Denn die Tour hatte durch ein anfängliches Missverständnis und einen dicken Baustellenstau erst verzögert begonnen.
Erinnerung an ein schlimmes Verbrechen
Auf dem Weg Richtung Fuhlenbrock-Mitte wird es auf einmal still im Bus. Der passiert das Kreuz, dass an ein bis heute unfassbares Verbrechen im Jahr 1989 erinnert. Damals hatte ein Jugendlicher, der gegen den Rat eines Fachgutachters aus der Verwahrung entlassen worden war, einen zwölfjährigen Jungen ermordet. „Ich erinnere mich noch gut daran, die armen Eltern, ganz Bottrop war damals erschüttert“, sagt Ursel Klein.
Dann geht es zügig weiter, vorbei am Fuhlenbrocker Markt, der Bonifatiuskirche, einer von vielen gefährdeten Kirchen in Bottrop, Richtung Fernewaldstraße. Die Auffahrt zum Gipfel der Halde Haniel soll der Höhepunkt dieser letzten Tour in diesem Sommer sein. „Darauf freuen wir uns schon die ganze Zeit“, sagen Werner und Ingrid Lazar. Das Ehepaar nimmt zum ersten Mal an den WAZ-Sommertouren teil - wie auch Busfahrerin Ida Pause. Sie kurvt die Lazars und die 24 übrigen Leserinnen und Leser entspannt durch deren Heimatstadt. Flott gleitet der Bus über die Zufahrt zur Halde. Dann passiert es. Schranke runter, Tor zu! Obwohl tags zuvor noch einmal alles mit der RAG abgesprochen war. Rasant fährt ein Wagen auf den Bus zu. Man sieht der Mine von RAG-Mitarbeiter Uwe Hölting an, dass etwas nicht stimmt. Das Schloss am Tor wurde ausgetauscht. Das Bergwerk ist ja nicht mehr Eigentümer der Halde, sondern die RAG Montan Immobilien. Bei der Zeche -noch arbeiten etwa 600 Leute dort - ist nirgends ein Zweitschlüssel hinterlegt. Der RAG-Mann hat zu dem Zeitpunkt schon mehr als 30 Minuten lang herumtelefoniert. Alle steigen aus dem Bus. Uwe Hölting hat spannende Infos vorbereitet, sogar mit Skizzen und Faktenmerkblatt. Der Ex-Bergmann arbeitet nicht umsonst in der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit. Er spricht von der Wasserhaltung, den Ewigkeitskosten, um die zu stemmen ja die RAG-Stiftung gegründet worden sei. Man spürt, dass es dem einstigen Kumpel auch heute noch an die Nieren geht, wenn davon erzählt, wie der Förderberg in Bottrop funktionierte und die die modernste Bandanlage Europas inzwischen komplett ausgebaut wurde.
Kohleausstieg - immer noch ein kontroverses Diskussionsthema
„Das war sauber, preisgünstig und heute wird alles weggeworfen“, sagt auch Holger Kröcher. Der Stadtführer erinnert auch daran, dass Deutschland noch „lange nicht ohne Kohle können wird“. 50 bis 70 Millionen Tonnen würden pro Jahr noch gebraucht, allein, um die Stromversorgung zu sichern. Wenn man bedenkt, dass allein China heute rund vier Milliarden Tonnen Kohle fördert, dazu kommt die Ausbeutung der Vorkommen - und der dortigen Bergleute - in Südamerika, Südafrika, Russland: Wie will man denn da die Erderwärmung in den Griff bekommen? „Durch E-Autos und Zechenschließungen in Deutschland oder Europa wohl kaum“, wirft ein Tourteilnehmer ein.
Nach einer Stunde naht Erlösung. Jemand von der RAG-Immobilien bringt den richtigen Schlüssel und auch die Schranke, die gerade repariert wird, bleibt oben. So eine lange unfreiwillige Pause hatte auch Ida Pause während der schicht noch nie. Über Kalauer in Bezug auf ihren Namen lacht sie: „Das kenn’ ich.“ Dann rauscht sie die kurvenreiche Strecke noch oben. Unten liegt das alte Revier, die Türme von Bottrop, die Schalke-Arena aber auch Oberhausens Gasometer, die letzten Industrieanlagen im westlichen Ruhrgebiet sind zu erkennen und: „Soo viel Grün!“ Ingrid Gruban kam 1966 nach Bottrop und hat die qualmende Stadt noch erlebt. Mechthild Schmitt kannt das alles aus Essen-Altenessen. Vor zwei Jahren ist sie nach Bottrop gezogen. „Und das war gut so.“ Gerade kommt Ingrid Lazar hinzu. Man fotografiert sich gegenseitig - zu Füßen das Emschertal und das grüne Bottrop. Nur Ursel Klein vermisst die Ibarrola-Stelen. „Ganz nach oben, das hätte ich mir gewünscht!“ Nicht zu machen, sagt Holger Kröcher. Der Untergrund sei feucht, etwas rutschig. Der Bus ohne Allradantrieb hätte in Schwierigkeiten kommen können. Hoffentlich ist die Tour nächstes Jahr noch möglich. Keiner weiß, wem die Halde dann gehört.