Der mutmaßliche Amokfahrer von Bottrop bestreitet, aus fremdenfeindlichen Motiven gehandelt zu haben. Er beruft sich auf Erinnerungslücken.
Angst und Schrecken verbreitete er in der Silvesternacht in Bottrop und Essen, verletzte mit seinem Mercedes Kombi zahlreiche Menschen, nur weil sie Ausländer sind. Und jetzt steht der 50 Jahre alte Essener Andreas N. vor dem Schwurgericht seiner Heimatstadt und macht einen kleinlauten, biederen Eindruck. Zwölffachen versuchten Mord wirft die Staatsanwaltschaft dem hochgewachsenen, kräftigen Mann vor, aber das will zu seinem Auftreten am Freitag auf den ersten Blick nicht passen. Als rechtsradikal galt er anfangs, aber tatsächlich ist er wohl psychisch schwer erkrankt.
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An paranoider Schizophrenie leidet der Glasreiniger laut Gutachten des Psychiaters Norbert Leygraf. Deshalb ist der Essener auch schon mehrfach psychiatrisch behandelt worden, nahm Medikamente gegen seine Wahnvorstellungen ein. Auch in der Silvesternacht habe er unter Medikamenten-Einfluss gestanden, sagt der Mann aus.
Schon am Silvestertag Panikattacken
Auffällig, so erzählten Bekannte der Polizei, war er schon seit dem Morgen, klagte über Panikattacken. Auch seine Mutter soll ihm am Telefon gesagt haben, er solle in die Klinik gehen. Doch der Mann aus dem nördlich gelegenen Essener Stadtteil Borbeck setzte sich kurz vor Mitternacht hinter das Steuer seines Autos, das er erst Anfang Dezember für 850 Euro gekauft hatte.
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Den Polizisten erzählte er später, was ihn zu seiner Amokfahrt getrieben habe. Denn ab 23.30 Uhr hatte er im benachbarten Bottrop begonnen, gezielt auf Menschen mit Migrationshintergrund loszufahren. Er drückte sich anders aus, sprach von „zu vielen Schwarzfüßen und Kanacken“.
Vorurteile gegen Ausländer gemischt mit Wahnvorstellungen
Folgt man seinen Angaben bei der Polizei, war er aufgeladen mit üblen Vorurteilen, gemischt mit seinen speziellen Wahnvorstellungen. Er ärgere sich über Ausländer, soll er gesagt haben, die Sozialhilfe kassieren und in dicken Autos neben ihm an der Ampel stehen. Und er habe gefürchtet, dass die Ausländer selbst einen Anschlag planten, den er verhindern müsse. Er habe „reinigen“ wollen, soll er erzählt haben, und das habe „auslöschen“ bedeutet. Auch von einer Racheaktion für den Lkw-Anschlag auf dem Berliner Weihnachtsmarkt hörten die Beamten.
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Bis kurz nach Mitternacht steuerte er immer wieder gezielt auf Ausländergruppen in Bottrop zu. Laut Antragsschrift in neun Fällen. Viele sprangen zur Seite, aber er erwischte auch einige Menschen. Eine Frau erlitt eine lebensgefährliche Verletzung, weil er über ihr Bein gefahren war. Kurz danach verletzte er auf dem Berliner Platz in Bottrop zwei weitere Menschen, darunter ein vierjähriges Kind. Manchmal setzte er auch zurück, nahm neu Anlauf.
„Wie ein Staubsauger, der Menschen ansaugt“
Vor Gericht räumt er die Taten zwar ein, er könne sich aber an vieles nicht erinnern. Er sagt, er sei sich vorgekommen „wie ein Staubsauger, der die Menschen ansaugt“. Einmal sagt er, Mutter und Kind seien ihm vors Auto gelaufen. Um 0.14 Uhr tauchte er in Essen auf, verletzte bei drei neuen Anschlägen weitere vier Menschen, bevor die Polizei ihn in der Nähe seiner Wohnung stoppte.
Verteidiger: Kein rechtsradikales Gedankengut
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Schnell wurde klar, dass seine Wahnvorstellungen zu den Attacken geführt hatten. Seitdem sitzt Andreas N. nicht mehr im Gefängnis, sondern in der Forensik. Erst da, so sagt er am Freitag, sei ihm auch klar geworden, was er gemacht habe: „Etwas ganz Schreckliches.“ Sein Verteidiger Andreas Renschler wirft vor Prozessauftakt gegenüber den Medien der Polizei vor, die Äußerungen eines psychisch Kranken unkritisch wiedergegeben zu haben. Denn, so Renschler: „Mein Mandant hat kein rechtsradikales Gedankengut. Es waren nur markige Sprüche.“ Tatsächlich sei Andreas N. ein „ruhiger, nachdenklicher Mensch“. Er habe in seinem Wahn nur einen Anschlag durch Ausländer verhindern wollen.
Die Staatsanwaltschaft stuft den Beschuldigten vorläufig als schuldunfähig ein. Sie will aber wegen Wiederholungsgefahr seine zeitlich nicht absehbare Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik erreichen.
Amokfahrt in Bottrop – Bilder vom Tatort
Zahlreiche Opfer als Nebenkläger vertreten
Von den Opfern, ein Großteil stammt aus Syrien oder Afghanistan, haben sich 18 dem Verfahren als Nebenkläger angeschlossen. Zehn davon sitzen im Saal, insgesamt acht Opferanwälte nehmen an der Verhandlung teil.
Stark sind die Medien vertreten, aber das persönliche öffentliche Interesse ist gering. Nur zwei Zuhörer sitzen im Saal. Das Gericht hatte wohl Schlimmeres erwartet, denn sogar Polizisten sitzen vor dem Saal. Und, selten erlebt, laut sitzungspolizeilicher Verfügung der Vorsitzenden Jutta Wendrich-Rosch fehlen auf dem Sitzungszettel vor dem Saal die Namen der Schöffen. Offenbar fürchtet das Gericht aus irgendeiner Ecke Bedrohliches. Insgesamt zehn Tage hat das Gericht angesetzt, um zu klären, ob der Beschuldigte Andreas N. für die Allgemeinheit gefährlich ist – oder nicht.