Bottrop. . Eine Studie zeigt: Die Flüchtlinge sind auf dem Arbeitsmarkt angekommen. Allerdings meist als Arbeitslose oder Empfänger von Hartz IV.
Für Sabine Depew, Direktorin der Caritas im Bistum Essen, sprechen die Zahlen des Arbeitslosenreports der Freien Wohlfahrtspflege in NRW eine deutliche Sprache: „Es muss strukturiert und engagiert in die Qualifizierung von jüngeren Arbeitslosen investiert werden. Sprachförderung, die Anerkennung von im Ausland erworbenen Berufsabschlüssen und Investitionen in berufliche Qualifizierung und Berufsausbildung sind wichtige Beiträge für eine nachhaltige Arbeitsmarktintegration“.
Bisher, so zeigt der Arbeitslosenreport NRW, werden für Geflüchtete hauptsächlich kurze Maßnahmen angeboten. Im März waren fast 70 Prozent aller arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen für Geflüchtete eher kurze Kurse der Aktivierung und beruflichen Eingliederung. „Diese leisten zu Beginn der Arbeitsmarktintegration lediglich einen Beitrag zur ersten Orientierung am deutschen Arbeitsmarkt“, so Depew.
Organisatorisch zu bewältigen
Integration bedeute aber weit mehr. „Um das bei doch vielen bestehende Defizit bei Qualifikation und beruflichen Vorkenntnissen zu beheben, sind erheblich mehr Anstrengungen notwendig.“ Leider, so Depew, habe die Öffentlichkeit offenbar das Interesse weitestgehend verloren. Die Zahl der ankommenden Menschen mit Fluchterfahrung sei überschaubar und organisatorisch zu bewältigen. „Dabei fängt die Arbeit jetzt erst wirklich an. Die Bewältigung der Traumata und die Integration in die Gesellschaft sind langwierige Prozesse. Das kostet Zeit, Geld und braucht Profis wie Caritas und andere, die ihren Job verstehen.“
Die Direktorin der Ruhr-Caritas fordert individuelle, bedarfsgerechte und kontinuierliche Begleitung von Geflüchteten und längerfristige, an pädagogischen Konzepten ausgerichtete Coaching-Angebote. Für eine dauerhafte Integration in den Arbeitsmarkt müssen Eingliederungsprozesse längerfristig geplant und begleitet werden. „Unsere Jobcenter brauchen dafür zusätzliche Finanzmittel aus Berlin, mit denen auch mehrjährige Fort- und Weiterbildungen für die Menschen finanziert werden können.“
Arbeitslosigkeit steigt an
Nach der starken Fluchtmigration im Jahr 2015 und der Beschleunigung der Asylverfahren werden geflüchtete Menschen inzwischen auch in der Arbeitsmarktstatistik sichtbar. Die Arbeitslosigkeit von Personen aus den zuzugsstärksten Asylherkunftsländern Afghanistan, Eritrea, Irak, Iran, Nigeria, Pakistan, Somalia und Syrien ist NRW-weit von 22 602 Personen im Juni 2015 auf 58 283 Personen im Juni 2017 gestiegen. Die gleiche Tendenz ist auch im Ruhrgebiet festzustellen: Lag die Zahl der Arbeitslosen aus den zuzugsstärksten Asylherkunftsländern hier im Juni 2015 noch bei 4722 Personen, stieg sie im Juni 2017 auf 13 078 Personen an. Doch der von der Wohlfahrtspflege in NRW herausgegebene Arbeitslosenreport NRW zeigt auch wirtschaftliche Chancen der Migration auf.
Es geht um schulische und berufliche Nachqualifikation
So sei auch die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten aus den Hauptherkunftsländern im Ruhrgebiet im Zeitraum von September 2015 bis September 2016 um 46,48 Prozent auf insgesamt 3098 Personen gestiegen.
Geflüchtete zu integrieren, bedeute verstärkte schulische und berufliche Nachqualifikation. Das gilt auch für Bottrop. Zwar bringen 22,6 Prozent einen überdurchschnittlich hohen schulischen Bildungslevel durch Abitur oder Hochschulreife mit. Aber mit 24,4 Prozent liegt der Anteil Geflüchteter ohne Hauptschulabschluss ebenfalls vergleichsweise hoch. Positiv sei, dass von einem hohen Bildungspotenzial auszugehen ist. Denn in NRW sind 62 Prozent der Geflüchteten jünger als 35 Jahre.
80 Prozent haben nur Helfer-Niveau
Der Arbeitslosenreport NRW gibt Anhaltspunkte darüber, für welche Berufe die Mitarbeiter der Jobcenter und Arbeitsagenturen die erwerbsfähig Geflüchteten aktuell als sofort vermittelbar einstufen. Dabei wird grob unterschieden nach Helfer, Fachkraft/Spezialist und Experte. Demnach kommen im Moment in Bottrop für vier von fünf Geflüchteten lediglich Jobs auf Helferniveau infrage. Nur 9,3 Prozent können Fachkraft- Niveau nachweisen. Eine ähnliche Tendenz zeigt sich im Ruhrgebiet. Hier kommen 68,51 Prozent als Helfer und nur 11,13 Prozent als Fachkraft oder Spezialist in Frage. Zu beachten in diesem Zusammenhang: Die Statistik der Bundesagentur für Arbeit weist Personen ohne berufspraktische Anerkennung nicht der Kategorie Fachkraft zu, sondern führt diese als „Helfer“, selbst wenn er oder sie im Herkunftsland Arzt oder Apothekerin war.
Regionale Analyse
Hintergrund: Die Wohlfahrtsverbände in NRW veröffentlichen mehrmals jährlich den „Arbeitslosenreport NRW“. Darin enthalten sind aktuelle Zahlen und Analysen; Basis sind Daten der offiziellen Arbeitsmarktstatistik der Bundesagentur für Arbeit. Jede Ausgabe widmet sich einem Schwerpunktthema. Hinzu kommen Kennzahlen zu Unterbeschäftigung, Langzeitarbeitslosigkeit und SBG II-Hilfequoten, um längerfristige Entwicklungen sichtbar zu machen. Ziel der regelmäßigen Veröffentlichung ist es, den öffentlichen Fokus auf das Thema Arbeitslosigkeit als wesentliche Ursache von Armut und sozialer Ausgrenzung zu lenken, die offizielle Arbeitsmarkt- Berichterstattung kritisch zu hinterfragen und dabei insbesondere die Situation in NRW zu beleuchten.
Im September geht Abdoulie als Elektriker in die Lehre
Abdoulie Sillah-Hallis strahlt: Im September kann er eine Ausbildung zum Elektriker bei der Firma Organista in Bottrop beginnen. „Mein Traumberuf“, sagt der 17-jährige Flüchtling aus Gambia. Erst im Juli vergangenen Jahres ist er nach Deutschland gekommen und im Oktober als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling ins Caritas Kinderdorf Am Köllnischen Wald. „Am 26. Oktober“, erinnert er sich in fehlerfreiem Deutsch genau. Vieles hat sich für ihn gut gefügt seither.
„Die Chemie hat sofort gestimmt“, erzählt Frank Grywna, Abdoulie Sillah-Hallis künftiger Chef und Inhaber von Elektro Organista. Zwar hatte er seine beiden Ausbildungsplätze bereits vergeben, war aber bereit, einen dritten Lehrling einzustellen. Bei einem Praktikum konnte Abdoulie auf Anhieb überzeugen. Jetzt hat er den Ausbildungvertrag in der Tasche und trägt sogar schon die eigene Arbeitskluft mit Namensschild auf der Brust. Ein kleines „Aber“ gibt es: Die Zustimmung des Ausländeramtes fehlt noch.
Wolfgang Gerrits hat den Jungen unter seine Fittiche genommen
Einer der nicht ganz unbeteiligt an Abdulies gutem Weg in Bottrop war, ist Wolfgang Gerrits, der Vorsitzende des Trägervereins „Kinderdorf Bottrop in Gambia“. Er hat den Jugendlichen nämlich unter seine Fittiche genommen. Der hatte bis dahin nicht einmal geahnt, dass es in seinem Heimatland ein „Kinderdorf Bottrop“ gibt.
Die gute Idee, Wolfgang Gerrits einzuschalten, hatte Devrim Huys, pädogische Mitarbeiter im Caritas Kinderdorf und sein Betreuer: „Abdoulie war sehr alleine, in Bottrop gibt es kaum Gambianer.“ Wolfgang Gerrits war tief erschüttert von der Geschichte und dem Leidensweg des jungen Gambianers, der mit 14 Jahren alleine geflohen ist.
Kontakt zur Mutter in Gambia
Er hat ihn mit zu seiner Familie genommen, ihm das Ruhrgebiet gezeigt und auch den Kontakt zu seiner Mutter in Gambia hergestellt. Eine Patin hat die Mutter sogar in ihrer Heimat besucht und sich davon überzeugt, dass es ihr gut geht. Eine große Beruhigung für den Sohn. Und dank seiner guten Kontakte konnte Wolfgang Gerrits auch Organista-Chef Frank Grywna gewinnen.
Dass es soweit gekommen ist, hat Abdoulie sich aber letztlich selber zu verdanken. „Er hat sich hingesetzt und gelernt, gelernt, gelernt“, erzählt sein Betreuer Devrim Huys. Als Abdoulie im Oktober ins Kinderdorf kam, konnte er kein Wort Deutsch, heute kann er sich mühelos verständigen und hat im Juli sogar seinen Hauptschulabschluss Klasse neun am Berufskolleg gemacht – Voraussetzung für die Lehrstelle.
Ist Abdoulie eine Ausnahmeerscheinung? „Nein“, sagt Devrim Huys: „Die meisten unserer Jugendlichen sind sehr wissbegierig und wollen lernen.“ Es sei natürlich wichtig, dass sie auch ein konkretes Ziel vor Augen hätten, wie eben eine Lehrstelle.
Von der hängt für Abdoulie einiges ab, nämlich eine „Duldung zum Zwecke der Ausbildung“. Mit der könnte er noch dreieinhalb Jahre sicher in Deutschland bleiben. Wenn er danach einen Arbeitsplatz bekommt und gut integriert ist, hätte er nach fünf Jahren vielleicht sogar die Chance, dauerhaft bleiben zu können. Ohne Lehrstelle müsste er womöglich zurück, wenn er in zwei Monaten 18 wird.
Abdoulie möchte in Deutschland bleiben, aber es gibt einen Plan B. Wolfgang Gerrits: „Wenn er zurück nach Gambia muss, kann er als Elektriker im Kinderdorf Bottrop arbeiten.“ Ute Hildebrand-Schute
Mit 14 allein auf der Flucht quer durch Afrika und über das Meer
Was bringt einen 14-Jährigen dazu, sein Elternhaus und seine Heimat zu verlassen und alleine auf die Flucht in eine ungewisse Zukunft zu gehen? „Ich bin mit meinem Stiefvater nicht klar gekommen“, sagt Abdoulie Sillah-Hallis lapidar. Von Gewalt und Drohungen des Stiefvaters ist die Rede. Sein leiblicher Vater ist tot, er war Auto-Mechaniker von Beruf.
Im November 2014 hat sich der heute 17-Jährige auf den Weg nach Deutschland gemacht. Er folgte damit seinem bereits geflohenen Cousin, der heute in Bochum lebt. Der 14-Jährige hat sich, oft zu Fuß, durch mehrere afrikanische Länder durchgeschlagen, hat in Libyen acht Monate auf der Straße gelebt und mit kleinen Jobs über Wasser gehalten.
Sieben Stunden dauerte die gefährliche Fahrt übers Meer nach Sardinien
Mit einem Flüchtlingsboot ist Abdoulie schließlich in einer siebenstündigen, gefährlichen Fahrt über das Meer nach Sardinien gekommen. Über Mailand, wo er eineinhalb Monate lang am Bahnhof campierte, ist er mit dem Zug nach Deutschland gekommen.
Er war zunächst in einem Aufnahmelager in Dortmund, dann in einer Flüchtlingsunterkunft in Bochum. Dort traf er seinen Cousin wieder und konnte mit seiner Hilfe mit seiner Mutter und den beiden Schwestern in Gambia telefonieren. Er war in großer Sorge um die Mutter, die an Diabetes erkrankt ist. Von Bochum aus kam der Minderjährige ins Caritas Kinderdorf Am Köllnischen Wald. „Das war ein Glücksfall für mich“, sagt er heute.
Abdoulie hatte es in der Schule leichter
„Wir haben nur am ersten Tag Englisch mit ihm gesprochen“, erinnert sich sein Betreuer Devrim Huys. Englisch ist Amtssprache in Gambia und wird in den Schulen unterrichtet. „Abdoulie musste nicht alphabetisiert werden wie viele andere Flüchtlinge. Er hatte es deshalb in der Schule leichter.“ Weiter erklärt der Pädagoge: „Wir haben hier ein integratives Konzept.“ In den Gruppen leben Regelkinder und minderjährige Flüchtlinge zusammen. „Haussprache“ ist Deutsch.
Im Kinderdorf wird als erstes ein Hilfeplan für die Minderjährigen erstellt, um Therapien, Deutschkurse, Schulbesuch, Ausbildung so schnell es geht in die Wege zu leiten.
Gerade haben 15 Jugendliche aus zwei Gruppen zusammen mit ihren Betreuern eine Woche Ferien in Kleve gemacht.