Bochum-Riemke. Reinhold Marsollek „borgt“ sich die Farbe und schafft daraus Neues. Info-Tafeln auf der Bochumer Landmarke sind wieder frei von Schmierereien.
Die Farbe „borgt“ er sich von Unbekannten, die sich mit Stiften und Spraydosen an den acht Stahlstelen auf dem Tippelsberg austobten. Den „Hinterlassenschaften“ entnimmt Reinhold Marsollek mit einem Lappen die farbige Basis, löst die Botschaft – falls vorhanden – mit Hilfsmitteln auf und kreiert aus den entstandenen Farbschlieren und -tupfern Neues.
Zyklus umfasst 21 Kunstwerke
Als „Entschöpfer“ bezeichnet sich der 65-Jährige Grummer. Netter Nebeneffekt: Die Info-Tafeln auf dem grünen Aussichtspunkt im Bochumer Norden sind wieder sauber. Im Juni, „um Mittsommer herum“, habe er angefangen. „Geplant hatte ich eigentlich, eine Stele bis zu meinem Urlaub zu schaffen.“ Geschafft hat er elf der insgesamt 16 Flächen: „Die Stelen waren beidseitig beschmiert.“
Aktuell sind alle sauber, seinen künstlerischen Zyklus erklärt Marsollek ebenfalls für abgeschlossen: „21 Werke sind entstanden, einige werde ich noch rahmen.“ Ist die Farbe erst einmal „entschöpft“, von einer Stele auf das Tuch gewandert und neu angeordnet, verbleibt der Stoff meist „ohne Namen“. Nur Datum und Ort hinterlässt der Künstler. „In dem Moment, in dem ich das Werk mit einem Namen besetze, ist es nicht mehr frei – ich auch nicht.“
Im Auge des Betrachters
Assoziationen sollen sich ergeben, auch bei den Betrachtern. Ob weitschweifend-abstrakt oder in aktuellen, griffigen Bezügen gedacht. Dennoch ergeben sich Überschneidungen bei den Interpretationen, wie es das Beispiel „Pandas im Bambuswald“ zeige. Für Marsollek besonders: „Die Idee hinter dieser Kunst ist es, dass ich nicht sagen kann, wer der Farblieferant ist.“ So sei er auch überrascht, wenn ihm Tippelsberg-Besucher für die „gute Tat“ danken würden: „Ich sage dann immer: Ich hab mir doch nur die Farbe geklaut.“
Kunstform „Komplem-end-graffity“
„Komplem-end-graffity“ lautet der von Marsollek erdachte Name für seine entschöpfende Kunstform. Das Wortspiel beschreibe das „Gegensätzliche“ der Technik, die durch das Ende der Graffitis – in den meisten Fällen handelt es sich eher um schmucklose Schmierereien, statt ansehnlicher Straßenkunst – das Neue erschaffe. Er selbst sagt über seinen Ansatz: „Man kann sich streiten. Ist das Kunst?“
Der Ursprung geht zurück auf das Schuljahr 2001/02, so der Waldorf-Lehrer. Da habe er erstmals Graffitis an der Rudolf-Steiner-Schule in Langendreer entfernt und dabei das Potenzial der entstehenden Strukturen bemerkt. Sechs seiner „Original-Werke“ hat er noch, die andere Hälfte eigenhändig „vernichtet“. Sein Favorit ist mit „Elfentanz“ schnell gefunden: „Den würde ich nicht für eine Millionen Euro abgeben. Das Werk ist unverkäuflich.“
Grummer säubert Tippelsberg weiterhin
Während der künstlerische Zyklus „Tippelsberg“ abgeschlossen ist, stellt Marsollek das Handeln nicht ein: „Ich werde weiter dafür sorgen, dass die Stelen sauber bleiben – das ist klar“, sagt er mit Nachdruck. „Dem Berg habe ich viel zu verdanken, bin schnell und in letzter Zeit kam nicht viel nach. Bei frischen Schmierereien ist außerdem alles schneller wieder weg, als das Auftragen dauert.“ Ob mit Ceranfeld-Schaber, Haarspray, Aceton oder Pinselreiniger und Lappen: der nimmermüde Marsollek und seine Hilfsmittel bleiben im Einsatz.