Dortmund. Die „Nacht von Sevilla“ bei der WM 1982 auf der Bühne: Der Ex-Torwart, Schauspieler Peter Lohmeyer und Autor Neukirchner im Gespräch.

Es war mehr als nur ein Fußballspiel, es war der „Thriller von Sevilla“: Jenes legendäre WM-Halbfinale zwischen Deutschland und Frankreich bei der WM 1982, das mit dem deutschen 5:4-Sieg im Elfmeterschießen endete. In Kooperation mit den Ruhrfestspielen hat Manuel Neukirchner das Jahrhundertspiel als Doku-Theaterstück inszeniert (Premiere am 14. Mai in Recklinghausen): „Die Nacht von Sevilla. Ein Fußballdrama in fünf Akten“. Wir sprachen mit Darsteller Peter Lohmeyer, Ex-Torwart Harald „Toni“ Schumacher, der auf der Bühne selbst den Schlussdialog spricht, und dem Autor Manuel Neukirchner, Direktor des Deutschen Fußballmuseums in Dortmund.

Dieses dramatische Spiel vom 8. Juli 1982, das heiß diskutiert wurde und gar die deutsch-französische Freundschaft auf eine harte Probe stellte, hallt bis heute nach. Vor allem der berühmt-berüchtigte Zusammenprall zwischen Harald Schumacher und Patrick Battiston. Um das vorab zu klären: Foul oder nicht?

Lohmeyer: Ich denke: Foul. Aber nicht absichtlich.
Neukirchner: Battiston und Schumacher laufen frontal aufeinander zu, jeder fokussiert den Ball. Toni dreht sich in der Luft noch nach rechts, um nicht mit beiden Knien in Patrick reinzuspringen. Dann erwischt er ihn mit der Hüfte am Kopf. Nein, kein Foul! Ein unglücklicher Zusammenprall.
Schumacher: Ich habe das auch nie als Foul gesehen. Was ich heute anders machen würde: Ich würde mich mehr um ihn kümmern. Das habe ich ihm später auch selbst gesagt. Aber wenn der Ball heute wieder so kommen würde – dann wäre ich wieder so unterwegs.

Im Drama von Sevilla 1982 war er Held und Schurke in Personalunion: Der damalige Torwart Harald „Toni“ Schumacher.
Im Drama von Sevilla 1982 war er Held und Schurke in Personalunion: Der damalige Torwart Harald „Toni“ Schumacher. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Toni Schumacher zog sich nach der „Nacht von Sevilla“ zurück und lernte Autogenes Training

Kurz nach dem Turnier sind Sie bei Umfragen in Frankreich zum unbeliebtesten Deutschen gewählt worden noch vor Hitler. Puppen mit Ihrem Konterfei wurden aufgehängt. Es gab Drohungen, Ihre Kinder zu entführen. Hatten Sie Schuldgefühle?

Schumacher: Es hieß, ich sei aus demselben Holz geschnitzt wie die Wächter von Dachau und Auschwitz. Diese Leute haben Hunderttausende umgebracht. Wenn man damit verglichen wird: Das ist schon nicht einfach. Deshalb habe ich mich vorübergehend aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Und Autogenes Training gelernt.

Herr Neukirchner, Sie haben dieses Jahrhundertspiel wie eine klassische Tragödie inszeniert. Exposition, Steigerung und Wendepunkt bis zur Katastrophe, aus französischer Sicht die Niederlage im Elfmeterschießen. Welche Funktion hatte der fatale Zusammenprall?

Neukirchner: Die berühmte 57. Spielminute ist das Zentrum der Handlung, der Zusammenprall zieht sich als roter Faden durch den gesamten Dramentext. Die Emotionalität dieses Spiels hatte in dieser Szene ihren Ursprung, der ganze Wahnsinn dieses Spiels, der folgen sollte.

Harald Schumacher: „Man muss sich selbst Stärke einreden“

Harald Schumacher war dabei Held und Schurke zugleich. Der Unhold, der Battiston niedermähte – und dann noch die Frechheit besaß, zwei Elfmeter zu halten.

Schumacher: Ich habe mich nie als Schurke gefühlt. Ich wusste: Im Elfmeterschießen bin ich für zwei Gehaltene gut. Man muss sich selber Stärke einreden.

Im Stück kommen über 50 Personen zu Wort – Spieler, Betreuer, Journalisten, Politiker. Wieviel dichterische Freiheit ist im Spiel?

Neukirchner: Dokumentartheater basiert auf historischen oder aktuellen Ereignissen. Als Quellen dienen Memoiren, Reportagen, Berichte, Dokumente, Zeitzeugengespräche oder Interviews. Auch in meinem Stück sind die Monologe und Dialoge der Figuren nicht erfunden. Dennoch geht es bei meinem Text um die literarische Ästhetisierung, um die kunstvolle szenische Darstellung des Stoffs als literarische Ausdrucksform. Maßgeblich ist die künstlerische Komposition, immer aber in der Gewissheit, dass die historischen Fakten nicht verfälscht sind.

Herr Lohmeyer, Sie sprechen all diese Charaktere. Wie machen Sie sie unterscheidbar?

Lohmeyer: Durch Dialekte. Durch Sprachformen. Durch den Blick auf die emotionale Stufe, auf der der jeweilige Protagonist steht. Ich beschäftige mich mit der Wahrheit, die zwischen den Dialogen liegt, ich bringe, um es bildhaft zu sagen, Farbe in das Spiel. Und aus den Gegensätzen entsteht dann das Drama.

Vielseitiger Mime: Peter Lohmeyer verkörperte 2003 im Kino-Hit „Das Wunder von Bern“ den Bergmann Richard Lubanski und 2018 bei den Salzburger Festspielen auf der Bühne den Tod im „Jedermann“.
Vielseitiger Mime: Peter Lohmeyer verkörperte 2003 im Kino-Hit „Das Wunder von Bern“ den Bergmann Richard Lubanski und 2018 bei den Salzburger Festspielen auf der Bühne den Tod im „Jedermann“. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Peter Lohmeyer: „Dieses Schauspielern nach Fouls ist eine Beleidigung für meinen Berufsstand“

Wie bereiten Sie sich darauf vor?

Lohmeyer: Ich habe schon vor zwei Jahren einen Auszug im Fußballmuseum vorgetragen und mir im Vorfeld Radiointerviews angehört.

Werden Sie mit dem Publikum interagieren?

Lohmeyer: Gerade bei Lesungen mache ich erst einen Soundcheck und rede dann direkt mit dem Lichttechniker. Ich möchte etwas vom Publikum sehen.

Die „Nacht von Sevilla“ ist multimedial arrangiert. Können Sie das etwas genauer beschreiben?

Neukirchner: Wir wollen das Spiel mit dem reduzierten Einsatz von historischem Fotomaterial sichtbar machen und mit originalen Hintergrundgeräuschen eine Klangwelt von damals erschaffen – aber niemals darf das gesprochene Wort überlagert werden.

Toni Schumacher: „Ich hab‘ doch mein ganzes Leben Theater gehabt“

Stehen Sie das erste Mal auf einer Theaterbühne, Herr Schumacher?

Schumacher: Ich hab‘ doch mein ganzes Leben Theater gehabt. (lacht) Tatsächlich stand ich schon mit Willi Millowitsch auf der Bühne. Aber das war eine Komödie. Volkstheater. Das hier ist etwas ganz anderes.

Gibt es Parallelen zwischen Fußball und Theater? Ich denke an das Pathos, die Virtuosität, die Choreographie …

Lohmeyer: Jein. Beim Fußball weißt du halt nicht, wie es ausgeht. Theater muss aber wie Fußball sein, was das Zusammenspiel im Ensemble angeht. Sonst hast du keinen Spaß – und bist auch nicht erfolgreich.

Ist das theatralische Element im Fußball stärker geworden? Wenn man zum Beispiel sieht, wie Spieler ihren Jubel inszenieren …

Lohmeyer: Was mir auf den Keks geht, ist das Schauspielern, wenn man gefoult wurde. Das ist eine Beleidigung für meinen Berufsstand.

Glauben Sie, dass man durch ein Theaterstück Fußballfans ins Theater locken kann?

Autor des Doku-Dramas „Die Nacht von Sevilla. Ein Fußballdrama in fünf Akten“: Manuel Neukirchner.
Autor des Doku-Dramas „Die Nacht von Sevilla. Ein Fußballdrama in fünf Akten“: Manuel Neukirchner. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Schumacher: Ja. Aber man kann nicht jedes x-beliebige Spiel als Vorlage verwenden.
Neukirchner: Dass sich Fußball und Theater verheiraten an einem solchen Abend, das ist ein spannendes Experiment. Deswegen bin ich OIaf Kröck, dem Intendanten der Ruhrfestspiele, und den Intendanten der anderen Schauspielerhäuser, in denen wir gastieren, sehr dankbar, dass sie dieses ungewöhnliche Verbindung eingehen. Eine klassische Tragödie ist ja mit dem fünften Akt beendet. Darin unterscheiden wir uns: Unsere Tragödie lebt im Mythos weiter. Dass wir mehr als 40 Jahre immer noch davon sprechen, das macht den Fußball aus. Und dieses Jahrhundertspiel.

„Die Nacht von Sevilla“
14. Mai: Ruhrfestspiele Recklinghausen
15. Mai: Theater Dortmund
16. Mai: Musiktheater im Revier Gelsenkirchen
31. Mai: Theater an der Ruhr Mülheim
4. Juni: Gürzenich Köln