Bochum. Vor 30 Jahren erschien Grönemeyers „4630 Bochum“. Der Eröffnungssong des Albums ist längst die inoffizielle Stadthyme. Ob im Stadion, in Clubs und Diskotheken oder daheim im Partykeller: „Bochum“ wird in Bochum zelebriert.
Licht aus. Feuerzeuge an. Wenn um 24 Uhr „Bochum“ erklingt, wird’s im Tauffenbach schummrig. Das Partyvolk hält für gefühlsschwangere 230 Sekunden inne. Inbrünstig stimmen die Gäste in die Hymne ein. Freitags. Samstags. Seit der Eröffnung vor 20 Jahren.
„Bochum“ um Mitternacht: Das ist im Tanztreff im Brückviertel ebenso selbstverständlich wie der reservierte Stammplatz von VfL-Reporter Günther Pohl hinten links am Tresen. „Is’ so. War so. Wird immer so sein“, bringt’s Simone (44) auf den Punkt. Und das Tauffenbach schallert nicht allein. Auch in anderen Clubs und Diskotheken wird Grönemeyers Liebeserklärung zelebriert. In geselliger privater Runde ist „Bochum“ gleichfalls Pflicht. „Keine Feier im Partykeller ohne das festliche Absingen unserer Hymne“, schildert WAZ-Leserin Petra Pokorny.
Desaster unter Herberts Augen
Der größte Chor formiert sich im rewirpower-Stadion. Kurz vor Anpfiff schmeißen die Stadiontechniker Knut Keymer und Onur Oeztorun Herbies Klassiker auf die Orgel. „Tief im Weeestöööhn-öööhn-öööhn-ööööhn“: Das Ritual im blau-weißen Schal- und Fahnenmeer setzt nach Michael Wursts Verlesung der Aufstellung ein.
VfL-Pressesprecher Jens Fricke hat recherchiert. Ergebnis: „Bochum“ lief das erste Mal 1992 beim Lokalderby gegen die SG Wattenscheid 09 im damaligen Ruhrstadion über die Lautsprecher.“ Die Premiere war nicht eben beifallumrauscht. 1:1 endete das innerstädtische Erstliga(!)-Duell. Frank Hartmann (Eigentor) und Frank Langbein (SG 09) schossen die Tore.
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Einmal, ein einziges Mal, hat Grönemeyer sein Werk live vor der pickepackevollen Ostkurve erlebt. Es war in der Saison 2006/07. Es war beim Heimspiel gegen Werder Bremen. Es war ein Desaster. Herbert traf keine Schuld. Bester Stimmung nahm er die VfL-Ehrenmitgliedschaft entgegen und streifte ein 4630-Trikot über den Leib. Gänsehaut pur, als der Edelfan den „Bochum“-Chor dirigierte. Blöderweise spielte die Mannschaft nicht mit. Der VfL verlor vor den Augen von Herbert Grönemeyer mit 0:6 – die höchste Heimklatsche aller Zeiten.
Dem Lied hat’s nicht geschadet. „Bochum“ gilt als Deutschlands bekannteste Stadt-Hymne. Von den Bürgern geliebt. Auch und gerade in schweren Zeiten. Frag nach bei Gerd Böhle (74). Mit seinem in Herford lebenden Bruder (84) pflegt er ein VfL-Ritual. Haben die Blau-Weißen gewonnen, ruft Gerd Böhle freudig erregt seinen Bruder an und hält kommentarlos den Hörer vor das Radiogerät, wo Radio Bochum den Sieg zuverlässig mit der Hymne feiert. Zuletzt blieb das Telefon im Kreis Herford oft stumm. „Was ist mit eurem Grönemeyer los?“, lästerte der Bruder. Gerd Böhle lieferte die typisch Bochumer Antwort. „Der ist im Stimmbruch.“
Heimspiel für Herbert Grönemeyer
"Bochum" ist auch im Schauspielhaus ein Renner
Auch das Schauspielhaus kommt an „Bochum“ nicht vorbei: Das gleichnamige Singspiel (Regie Barbara Hauck) hatte am 6. Oktober 2013 Premiere und ist seither eigentlich immer ausverkauft.
Der Clou: Es werden ausschließlich Grönemeyer-Songs geboten, in veränderter, auch ungewohnter Form. Aber immer packend und passend. Als Zugabe singt das Große Haus (800 Plätze) „Bochum, ich komm’ aus Dir!“ lauthals mit.
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Autor Lutz Hübner hat das Libretto geschrieben und Musiker Torsten Kindermann Songs wie „Alkohol“ und „Flugzeuge im Bauch“, „Vollmond“ oder „Halt mich“ für das Ensemble arrangiert. Das Stück spielt in einer Ruhrpott-Kneipe irgendwo in Bochum, die nach vielen Jahren schließen muss. Wirtin Lotte (Anke Zillich) spendiert Ralf, Peter und Roger, die hier schon 1984 ihr Abitur begossen haben, eine letzte Runde und stellt 30 Schnäpse auf die Theke. Für jedes Jahr einen. Der Alkohol löst die Zungen. Er beschwört Träume, Gespenster und gute Geister der zurückliegenden Jahre herauf. Und wenn Worte nicht mehr reichen, wird gesungen: Am Ende sind, wie gesagt, Musiker, Schauspieler und Publikum im gemeinsamen Singen von „Bochum“ vereint.
Als Herbert einst Hans Walitza traf
Es war im Mai 2007.“ Autor Ben Redelings („Fußball ist nicht das Wichtigste im Leben – es ist das Einzige“) gerät ins Schwärmen, wenn er sich an eine über sieben Jahre alte Episode in der Innenstadt erinnert.
Ben Redelings Frau führte seinerzeit den Fußball-Laden „Der Geist von Malente“ an der Oskar-Hoffmann-Straße. „Eines Samstagmorgens hatten wir hohen Besuch. Ex-VfL-Torjäger Hannes Walitza und Kabarettist Frank Goosen waren vor Ort.“ Gerade als die beiden mit Autogrammjägern über die alten Zeiten des VfL plauderten, tauchte plötzlich Herbert Grönemeyer auf der anderen Straßenseite auf. „Er kam gerade vom Bäcker an der Ecke, schaute kurz rüber und gesellte sich schließlich interessiert zur Runde“, schildert Ben Redelings.
Herbert habe kaum glauben können, dass da sein Kindheitsidol Hans Walitza vor ihm stand. Redelings hatte gerade den Film „Die 11 des VfL“ herausgebracht, in dem Grönemeyer auch mitspielte. Hans Walitza nutze prompt die Gelegenheit und bedankte sich glücklich bei Grönemeyer für die netten Worte, die er im Film über ihn gesagt hatte.
Langsam wurde die Menschentraube um das Trio immer größer. „Ein irres Erlebnis“, sagt Ben Redelings. Nachher waren sich alle einig: „So etwas gibt es mit solchen Typen nur hier im Ruhrgebiet!“