Bochum. Zeitzeugen erinnern sich an die Zeit vor 30 Jahren, als Herbert Grönemeyers „4630 Bochum“ in die Plattenläden kam. Bei ALRO in der Bochumer City stand die Langrille im Schaufenster und war ein echter Verkaufschlager. Erst wachsen musste die Liebe ausgerechnet zu dieser Platte bei DJ Mike Litt.
1984. Lange her. Ich weiß noch, wie damals an der Uni dauernd von George Orwell und seinem Roman „1984“ geredet wurde, und dass es jetzt also nun soweit sei mit dem darin beschriebenen Überwachungsstaat. Bedrohlich, irgendwie. Andererseits ging das Leben aber auch einfach weiter, morgens Seminare, abends Party… Auf einer, ich weiß es noch wie heute, brachte mein Freund Gregor eines Tages die „neue Grönemeyer“ mit. „Hier, hör’ Dir das mal an, Du bist doch aus Bochum!“, so sein Kommentar. Ich weiß noch, wie ich die Vinylscheibe auf den Plattenteller setzte, die Nadel nachlässig auf die Rillen krachen ließ, und wie es dann losging. 1. Stück, 1. Takt: „Tief im Wehesten…wo die Sonne verstaubt…!“ – Ich hörte diese Zeilen, diesen irren Song mit Charlie Marianos jubilierendem Saxofon-Solo in der Mitte, und war wie vom Donner gerührt.
Gleich ins Schaufenster
Ein paar Tage später habe ich die LP mit dem grauen Cover und der weißen Kreideschrift angeschafft. Die Postleitzahl der eigenen Stadt auf einem Rock-Cover! Irre, oder?
Einer, der vor 30 Jahren nicht nur ein Exemplar der LP zur Hand, sondern sie gleich im Dutzend hatte, ist Alfred Roth. Ihm gehörte der heute legendäre ALRO-Plattenladen auf der Kortumstraße, Obergeschoss Klassik, Jazz, Zubehör, die Treppe ‘runter Rock & Pop. „Ich habe die LP aber oben ausgestellt, die kam gleich ins Schaufenster“, erinnert sich Alfred. Die eigene Stadt auf einem Plattencover! – Der „Gag“ zog auf Anhieb. „Die haben wir gut verkauft“, sagt Alfred, „Grönemeyer lief in Bochum eigentlich immer schon, aber mit ,Bochum’ ging es richtig los.“ Wenn die Scheibe ausverkauft war, konnte ALRO von heute auf morgen neue Exem-plare ordern. „Da gingen täglich die Bestellungen raus.“
Wie „Bochum“ einst ins Stadion kam
Ein VfL-Heimspiel ohne Grönemeyer? Undenkbar. „Ich habe dafür gesorgt, dass ,Bochum’ erstmals im Ruhrstadion ertönte“, sagt WAZ-Leser Herbert Weitkämper.
1984 war Grönemeyers Album „4630 Bochum“ mit der späteren Stadthymne erschienen. „VfL-Stadionsprecher Erwin Steden hat das Lied aber nicht gespielt. Er setzte eher auf das Bochumer Jungenlied und Schlager. „Das hat mich geärgert“, schildert Herbert Weitkämper.
Mit seiner damaligen Freundin (und heutigen Frau) Barbara schrieb er einen Leserbrief an die WAZ. Unterschrieben hat ihn aber nur Barbara: „Als Spieler des Landesligisten Langendreer 04 fühlte ich mich befangen. Schließlich spielte man bei unseren Heimspielen am Hessenteich noch ältere Kamellen.“
Der Leserbrief erschien am 8. November 1984 in der WAZ. „Sportredakteur Heinz Formann unterstützte das Anliegen in der gleichen Ausgabe mit einem Hinweis in seinem Vorbericht zur Bundesligapartie gegen den KFC Uerdingen“, erinnert sich Herbert Weitkämper. „Als ich einen Tag später auf dem Weg zu diesem Spiel war, hörte ich das Lied schon, als ich an den Stadiontoren gerade meine Karte erwarb. Und nach der gewonnenen Partie legte Erwin Steden ,Bochum’ sogar zum zweiten Mal auf den Plattenteller. Die Kombination VfL und Grönemeyer passte“ – und tut es bis heute.
Ulli Engelbrecht, Publizist und Autor, war damals als freier Journalist für die WAZ am Start. Er kam auf besondere Art an seine „4630“-LP: Herbert Grönemeyer gab sie ihm persönlich, samt handschriftlicher Widmung. „Ich traf Herbert zum Interview im Kleinen Café in der Brüderstraße, er fuhr mit einem klapprigen Peugeot vor“, erinnert sich Ulli, der sich heute wundert, wie irgendwie selbstverständlich alles mit „Hebbert“ ging, als er noch kein Superstar war. „Er kam ins Café, wir saßen da ‘ne Stunde und plauderten, und keiner hat auf ihn geachtet.“ Thom Pokatzky, Flohmarktmacher, besaß auch ein signiertes Exemplar der „Bochum“-LP. Er hatte sie von Grönemeyers Eltern bekommen – und zwar für die von Pokatzky damals wie heute betreute Auktion zu Gunsten von Amnesty International. „Die Versteigerung war im Dezember 1984, da waren die Platte und der Sänger längst richtig berühmt geworden“, erinnert sich Thom. Logisch also, dass die LP mit dem Autogramm ruck-zuck unter den Hammer kam.
„Glückauf. Herbert Grönemeyer“ war darauf zu lesen
Erst wachsen musste die Liebe ausgerechnet zu dieser Platte bei Mike Litt. Der Bochumer DJ, der bei EinsLive an Heiligabend alle Jahre wieder als „einsamster DJ der Welt“ hinterm Mikro sitzt, konnte als damals 17-Jähriger mit Grönemeyer-Musik nicht viel anfangen. „Das hat sich inzwischen geändert, gerade die Platte ist eine ganz eigene Liga“, sagt Mike, „zumal in Bochum“. Bei seinen Radio-Sets muss sie stets mit dabei sein. „Immer wieder erstaunlich, wie viele Leute bei meiner Weihnachtssendung nach einem Titel gerade von ,4630 Bochum’ fragen.“
Als Grönemeyer berühmt wurde, waren Geier Sturzflug schon fast über den Höhepunkt ihrer Karriere hinaus. Uwe Kellerhoff war der Schlagzeuger der Bochumer Band, die mit „Bruttosozialprodukt“ die Neue Deutsche Welle aufmischte. „Wenn wir unterwegs waren, etwa zu Fernsehaufnahmen, war Grönemeyer plötzlich überall präsent“, erinnert sich Uwe an die Zeit nach 1984. So habe er sich immer gewundert, dass bei Aufnahmen für die seinerzeit höchst populäre Video-Clip-Show „Formel 1“ in jeder Künstlergarderobe Sticker klebten, die offenbar niemand anders als „Grönie“ selbst hinterlassen haben konnte. Warum? „Glückauf. Herbert Grönemeyer“ war darauf zu lesen.
Die unglaubliche Geschichte eines WAZ-Lesers in Tonga
„Bochum“ und die Bochumer: Das ist eine Liebesbeziehung der besonderen Art, wie die Zuschriften für unsere Themenwoche dokumentieren. Das unglaubliche Erlebnis von Frank Jahn aus Hordel ist uns eine eigene Geschichte wert. Warum? Lesen Sie selbst...
„Man wird im Leben nur einmal 50. Deshalb erfüllte ich mir einen lange gehegten Wunsch: Einen Segeltörn in der Südsee! Mit meinem Bruder und seiner Frau charterten wir eine Segeljacht im Königreich Tonga im Südpazifik, ziemlich genau auf der gegenüberliegenden Seite der Weltkugel.
Nach 44 Stunden waren wir froh, unser Ziel erreicht zu haben: die weitab aller Touristenströme gelegene Inselgruppe Vava‘u. Ein Taxi brachte uns in das verschlafene Örtchen Neiafu. Nachdem wir unser Schiff übernommen hatten, wollten wir erst einmal etwas trinken und essen. Schnell fanden wir ein kleines Restaurant direkt am Wasser. Es bestand nur aus einigen Tischen inmitten eines gepflegten Gartens. Wir saßen schattig unter Palmen, Gummibäumen, Riesenfarnen und einer Vielzahl anderer Pflanzen, die man sonst nur im Botanischen Garten findet. Wir hatten einen großartigen Blick auf die Bucht und die vorgelagerten Inseln. Die Sonne näherte sich langsam dem Horizont und tauchte alles in ein schon fast kitschig anmutendes rot-goldenes Licht.
,Bochum – ich komm‘ aus dir!’
Kaum hatten wir uns gesetzt, erschien eine Südseeschönheit mit langen, schwarzen Haaren und einer Orchideenblüte hinter dem Ohr. Sie fragte nach unseren Wünschen und ob wir gerne etwas Musik hören würden. Das nahmen wir dankbar an, denn ein paar einheimische Klänge fehlten gerade noch, um das Ambiente vollends perfekt zu machen.
Als dann die ersten Töne aus dem Lautsprecher kamen, schauten wir uns mit offenem Mund an, um anschließend in schallendes Gelächter ausbrechen. Denn statt der erwarteten Hula-Weisen schmetterte der gute alte Herbert Grönemeyer: ,Bochum – ich komm‘ aus dir!’
Unser Heiterkeitsausbruch rief das Serviermädchen auf den Plan. Als wir ihr erklärten, dass wir aus dem über 19 000 Kilometer entfernten Deutschland kommen und es sich bei dem für sie so fremd klingenden Wort ,Bochum’ um unsere Heimatstadt handelt, wollte sie uns nicht glauben. Erst als ich meinen Reisepass hervorholte und dort ebenso ,Bochum’ zu lesen war, stimmte sie in unser Gelächter ein.
Die Aufklärung: Der Eigentümer des Lokals war Schweizer und vor einigen Jahren nach Tonga ausgewandert. Unter einigen aus der Heimat mitgebrachten deutschsprachigen CDs war auch Grönemeyers ,4630 Bochum’. Und die lag an dem Tag per Zufall gerade ganz oben auf dem Plattenstapel.“