Bochum. Noch Vieles erinnert im Umfeld der Lothringer Straße in Gerthe an die ehemalige Zeche Lothringen. Es ist neues Leben, vor allem Kultur aber auch Einzelhandel eingezogen. Die Menschen in Gerthe haben selbst mit angepackt, um ihren Stadtteil nach vorne zu bringen.
Etwas trist startet sie schon, trotz hübschem Kopfsteinpflaster und einer Anzahl an Geschäften, die sich sehen lassen kann für einen Stadtteil, außerhalb der City. Und dennoch: So richtig viel los ist zu Beginn der Lothringer Straße nicht (1). „Sie war mal die Hauptschlagader von Gerthe. Wenn man sich diese Straße heute anschaut, ist sie nur noch ein Schatten ihrer selbst“, so der Pastor Johannes Romann. Höchstpersönlich engagiert er sich für mehr Leben vor Ort. Bekannt wie ein bunter Hund, seine „Schäfchen“ kennen ihn alle, wie rasch unbemerkt bleibt, bei einem Gang mit ihm durch sein Revier.
Seit 1981 ist er Pfarrer in Gerthe, wirklich belebt, das weiß er auch nur von Erzählungen, war die Straße damals, als die Zeche Lothringen noch in Betrieb war. Dennoch entpuppt sich die Lothringer Straße noch heute als echtes Juwel. Vorbei am grünen Zaun einer privaten Kindertagesstätte „Lütjeland“, entlang der Imbissbuden, Friseurgeschäfte und einem Spielwarenladen, fällt der Blick auf einen alten Kiosk, heute beheimatet das Häuschen eine Mathenachhilfe. Eine Rückschau in die Vergangenheit sei an dieser Stelle erlaubt, weiß Pastor Romann zu erzählen, dass an dieser Trinkhalle so manches Bier über die Theke ging. Jedenfalls bis zur Stilllegung der Zeche im Jahr 1967. „Die Jungs hatten doch Durst.“ Adolf Justen führte einst das florierende Büdchen, leider musste Pastor Romann auch ihn längst beerdigen. „Ganz so, wie es eben mein Los ist als Pastor.“
Pastor ließ chinesisches Teehaus errichten
Zurück zur Gegenwart, hin zum zentralen Mittelpunkt der Straße (2), „der Schokoladenseite der Lothringer Straße“: die Christuskirche, 101 Jahre alt, genannt „der Schatz von Gerthe.“ An der Haltestelle „Bethanienstraße“ hält direkt vor dem Gotteshaus die Buslinie 364. Dort auszusteigen, sollte für alle ein Muss sein. Zum einen stehen neben der Kirche zwei herrliche Villen. „Das Haus mit der Nummer 27 war früher das Direktorenhaus. Heute ist es ein feudales drei-Familien-Haus, gelegen im Grünen, wie man erst auf dem zweiten Blick erkennt. Wunderschön seien die Wohnungen hier, verspricht der Pastor. Vermietet werden sie unter dem Motto: „Dem Himmel ein Stückchen näher.“ Warum? „Ja weil sie der Kirche gehören.“ Das macht natürlich Sinn. Daneben steht das heutige Gemeindehaus“, so Pastor Romann.
Der absolute Höhepunkt aber ist zu finden direkt hinter Pfarrhaus und Kirche: Ein gepflegter malerischer Park mit einem Teehaus. Der Pastor selbst ließ dieses idyllische Kleinod errichten, im Jahr 1999. „Damals war ich mit meiner Frau im Park 'Sans Soucis' in Potsdam und sah dort das chinesische Teehaus. Da habe ich sofort gesagt. So eines möchte ich in Gerthe haben.“ Die Idee, anfangs belächelt, wurde von der Gemeinde in die Tat umgesetzt. Tatsächlich steht nun hinter der Kirche ein Nachbau, möglich gemacht dank vieler Ehrenamtler: fast alle ehemalige Bergleute aus Gerthe. „In diesem Projekt stecken über 10.000 Arbeitsstunden“, weiß Romann, noch heute dankbar für die Mithilfe der Malocher. Geführt wird das Teehaus von Ehrenamtlern, auch einige ehemalige Bergleute sind dabei.
Jede Menge Kultur
Die hatten einst ihren zentralen Punkt auf der anderen Straßenseite der Kirche: dem Zechengelände. Glücklicherweise liebevoll restauriert und heute ein wichtiger kultureller Punkt. Das ehemalige Maschinenhaus beheimatet nun das Kulturwerk Lothringen mit Atelier, Künstlern und Eventmanagern. In der damaligen Steigerstube bohrt heute ein Zahnarzt, und im früheren Magazin sitzt der Bochumer Kulturrat. Darüber hinaus gibt es den „Zauberkasten“, ein Theater für Zauberei und Kleinkunst sowie ein Kindertheater. Über die Entwicklung in seinem Stadtteil ist Pastor Romann sehr zufrieden. „Heute fördert man zum Glück die Industriekultur. Früher wollten die Leute nichts davon wissen.“ Damals, das weiß der Pastor aus zahlreichen Gesprächen, hieß es immer: „Wir wollen nichts von dem behalten, was uns kaputt gemacht hat.“
Unglück Zeche Lothringen
Wie Strukturwandel in Perfektion funktioniert, das zeigt die Lothringer Straße wie kaum eine andere. Auch wenn es am Ende der Straße wieder etwas ruhiger wird (3). Ein ambulanter Pflegedienst und Wohnblocks säumen den Weg. Am Ende ein Industriegebiet. Es kann ja nicht nur Höhepunkte geben.
Bekanntschaften über Knappenverein
Vor 50 Jahren zog Rosemarie Stahn (71) der Liebe wegen aus Altenessen nach Gerthe, in die Lothringer Straße. „Mir gefällt es hier, früher fuhr ja noch die Straßenbahn hierher, die kam direkt von der Castroper Hellweg in die Lothringer Straße gebogen. Das war schon sehr laut, aber es war immer etwas los.“ Seit 1980 ist es dann leiser geworden. Was sie besonders gerne mag? „Dass ich vor Ort alles bekomme, was ich brauche: Wir haben Supermärkte, einen Schuster, eine Drogerie, Fotografen, Apotheken, einen Blumenladen.“ Alle Geschäfte kann sie fußläufig erreichen.
„Früher, da gab es in der Lothringer Straße noch viel mehr Geschäfte, viele Läden sind leider schon weg. Heute muss ich ausnahmsweise mal in den Ruhrpark, weil ich ein Buch brauche.“ Sonst aber fehle ihr an nichts. Dank des Knappenvereins, in dem sie Mitglied ist, kennt sie in Gerthe sehr viele Menschen, die auch an dieser Straße leben. Zeit und Lust für ein Pläuschchen ist somit immer drin.