Bochum. . Es ist ein Traum: Querschnittsgelähmte können wieder gehen. An der Hunscheidtstraße rückt diese Vision näher. Ein Jahr nach dem Start der Erprobungsphase macht sich ein neu gegründetes deutsch-japanisches Gemeinschaftsunternehmen daran, nervengesteuerte Robotersysteme in Europa von Bochum aus auf den Markt zu bringen.

Freundlich lächelnd, fast schüchtern: Yoshiyuki Sankai übte sich bei seinem Bochum-Besuch im Sommer 2012 in typisch asiatischer Bescheidenheit. Dabei gilt der Japaner als medizinischer Wunderknabe, als Hoffnungsträger für Hunderttausende, die ihr Leben im Rollstuhl verbringen müssen. Der Professor an der Universität von Tsukuba hat einen Roboteranzug entwickelt, der Impulse des Nervensystems auf der Haut erkennt und in Bewegung umsetzt.

Querschnittsgelähmte lernen Laufen

„Hybrid Assistive Limb“ (HAL) heißt die futuristisch anmutende Gehhilfe, die in Japan bereits in 160 Kliniken, Reha-Zentren und Altenheimen zum Einsatz kommt. Das regelmäßige Training baut längst erschlaffte Muskeln auf; auch das Gehirn wächst an den Herausforderungen. Querschnittsgelähmte erlernen dank der mechanisch-elektronischen Unterstützung ihrer Gliedmaßen das Laufen sukzessive wieder. Anfangs mit fremder Hilfe, im Gehstuhl und Rollator. Später möglichst selbstständig.

Vor einem Jahr fand Prof. Sankai mit seiner Erfindung den Weg nach Bochum. Der Gesundheitscampus, der in Querenburg entsteht, diente als Wegweiser. Mit Unterstützung der Landesregierung wurde besiegelt: Bochum wird die erste Stadt außerhalb Japans, in der die Roboteranzüge zur Anwendung kommen. Partner ist das Bergmannsheil. Die Klinik hat jahrzehntelange Erfahrung in der Behandlung und Therapie Querschnittsgelähmter.

Bergmannsheil ist Partner

Die Testläufe im klinikeigenen Zentrum für Bewegungstraining an der Hunscheidtstraße sind erfolgversprechend. Der TÜV Rheinland hat den Roboteranzug jetzt zertifiziert. Nun geht es neben der Forschung an die Vermarktung. Dazu wurde in diesen Tagen die Cyberdyne Care Robotics GmbH mit Sitz in Bochum gegründet. Gesellschafter ist neben der japanischen Mutterfirma die Berufsgenossenschaft Rohstoffe und Chemische Industrie (BGRCI). Das 15-köpfiges Team besteht aus Ärzten, Therapeuten und Technikern. Bis 2016 soll die Zahl der Beschäftigten auf 25 aufgestockt werden.

Als Einsatzgebiete sind zunächst Deutschland, Österreich und die Schweiz ausgeguckt. An allen neun deutschen Standorten von Berufsgenossenschaftlichen Kliniken sind Stützpunkte vorgesehen. Neben Querschnittsgelähmten soll die High-Tech-Rüstung auch Schlaganfallpatienten und Menschen mit Muskelerkrankungen (etwa Parkinson) zugute kommen.

Die Vorhersage von NRW-Wirtschaftsminister Garrelt Duin 2012 bleibt aktuell: „Die Zukunft wird in Bochum Realität.“

Bei Querschnittsgelähmten betragen die Kosten für ein ein- bis zweistündiges Training rund 500 Euro. Handelt es sich um einen Arbeits- oder Wegeunfall, zahle die gesetzliche Unfallversicherung, so die BGRCI.

Das NRW-Wirtschaftsministerium hat dem Bochumer Roboter-Projekt seine weitere, längerfristige Unterstützung zugesichert. Es sei „gelungen, eine Spitzenleistung moderner Medizintechnik für NRW zu erschließen“.