Bochum. Für ihre Bachelor-Arbeit beschäftigte sich Restauratorin Anika Kosel mit einer weithin einmaligen Arbeit des Bochumer Gelehrten Carl Arnold Kortum. Der erschuf 1792 einen Klappatlas des menschlichen Körpers.
Der kräftige Mann kann ausgezogen werden. Die Kleidung lässt sich wegklappen, darunter kommt Haut zum Vorschein. Auch die lässt sich zur Seite klappen, Muskelstränge, Organe, das Innere des Menschen kann Schicht für Schicht erkundet werden. Der anatomische Aufklappatlas, der in den nächsten zwei Wochen im Stadtarchiv zu sehen sein wird, stammt von Carl Arnold Kortum. Der Bochumer Gelehrte hat in 1792 erfunden und „gebastelt“. Nun ist er aufwändig im Rahmen einer Bachelor-Arbeit von Anika Kosel an der Fachhochschule in Köln restauriert worden.
In seiner Autobiografie erwähnt der Aufklärer dieses handkolorierte Papierwerk, das in einem Rahmen aus Eichenholz montiert ist, einmal. Es „verdient, aufbewahrt zu werden“ notierte Kortum, der den Atlas vor allem seinem die Medizin studierenden Sohn zugedacht hatte.
Mikroskopissches „Sandstrahlen“
Anika Kosel, aus Recklinghausen stammend, hatte im Rahmen ihres Studiums 2010 fünf Monate als Praktikantin im Bochumer Stadtarchiv gearbeitet. Sie arbeitete nun geschätzte 80 bis 100 Stunden an dem ihr anvertrauten beschädigten Buchobjekt, das 44 cm hoch, 28 cm breit und 3,5 cm tief ist. Vor allem Schmutz hatte dem Objekt zugesetzt. Aber auch die Klappelemente, fragil, winzig klein, aus Papier, waren gerissen, geknickt, losgelöst. Weiteres Problem: die Farben erwiesen sich als wasser- und ethanollöslich. Als Lösung kam eine neue Methode zur Anwendung: weiches Feinstrahlen. Das meint so etwas Sandstrahlen im absoluten Mikroformat. Feinste Partikel werden mit 1,8 Bar Luftdruck aufgestrahlt und konnten selbst kleinste Schmutzpartikel aus dem Fasergeflecht des alten Papiers entfernen. Auch den geknickten Elementen konnte geholfen werden. Sie wurden mit Feuchtigkeit plan gelegt, dann mit Japan-Papier (6g pro Quadratmeter, zum Vergleich: Zigarettenblättchen: 22g) gefestigt. Der Erfolg der Maßnahmen ist durchschlagend.
Wer sich gerne einmal klappend den Weg in diesen Körper suchen will, muss aber enttäuscht werden. Der Kortum-Atlas ist nach wie vor viel zu fragil und wertvoll, als dass er in seinen Funktionen der Öffentlichkeit präsentiert werden könnte. Nach Forschungen von Kosel handelt es sich um ein Einzelstück, zu dem es laut Charité und Deutschen Medizinischen Museum in Ingolstadt keinen Vergleich gibt. Auch die berühmten Anatomen in Mailand oder Florenz arbeiteten zu Kortums Zeiten eher mit Wachsmodellen. Der Versicherungswert des Atlanten beträgt entsprechend 250 000 Euro. In zwei Wochen wird der Atlas fürs erste im Tresor verschwinden.