Bochum. . In einigen Jahren wird in der Justiz der elektronische Rechtsverkehr eingeführt. Die Umstellung wird eine „Mammut-Aufgabe“ sein, sagte der Präsident des Bochumer Landgerichts, Hartwig Kemner, in einem Gespräch mit der WAZ.

Der Justizbetrieb steht vor einer der größten Veränderungen seiner Geschichte. In wenigen Jahren - so will es ein Gesetz - wird der Rechtsverkehr in allen Zivilverfahren elektronisch ablaufen. Dann wird auch die Papierakte ausgedient haben. Hartwig Kemner (59), Präsident des Bochumer Landgerichts, sprach auf WAZ-Anfrage von einer „Mammutaufgabe“ und einem „riesigen Paradigmenwechsel“.

Bereits ab 2018 wird jeder Bürger die Möglichkeit haben, Schriftsätze in Zivilverfahren auf elektronischem Wege einzureichen; die Justiz wird dafür die Zugangsmöglichkeiten schaffen. Voraussetzung ist eine elektronische Signatur, die Authentizität und Integrität des übermittelten elektronischen Dokuments sicherstellt. Ab spätestens 2022 folgt ein weiterer Schritt: Dann ist der elektronische Rechtsverkehr für Rechtsanwälte verpflichtend.

Die Arbeit für das Personal in allen Bereichen wird sich grundlegend ändern

Am Bochumer Landgericht (226 Mitarbeiter, zurzeit rund 3500 anhängige Verfahren) wurden im Vorjahr fast zwei Millionen Din-A4-Blätter Druck- und Kopierpapier verbraucht. Ab spätestens 2022 wird sich das ändern. Im Zusammenhang mit dem obligatorischen Rechtsverkehr wird die Justiz in Zivilsachen die voll elektronische Gerichtsakte einführen. So ist jedenfalls das feste Ziel.

Die Arbeit für Richter und in allen anderen Bereichen wird sich dadurch grundlegend ändern. Wo früher Aktenwagen auf dem Flur polterten oder in den Dienstzimmern volle Aktenböcke standen, wird dann ein Computerprogramm in aller Stille die Eingänge den elektronischen Akten zuordnen und den zuständigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern - egal welcher Dienstzweige - anzeigen, dass diese Akten bearbeitet werden müssen.

Die Akte wird eine Datei sein

Die einst dicke oder dünne Akte, in der man blätterte oder mit Zettelchen Stellen markierte, wird dann nur noch eine Datei im Computer sein. „Das elektronisch zu bearbeiten, ist eine riesige Herausforderung“, sagt Kemner. Denn viele Fragen müssen geklärt werden, zum Beispiel: Wie praktikabel sind die E-Akten zu lesen, nicht nur im Büro, sondern auch in der Gerichtsverhandlung am Bildschirm? Wie steht es um die Leitungskapazitäten? Wie sicher sind die Daten vor Diebstahl und anderem Missbrauch? Wie sind sie auch in der bundesweiten Justiz integrierbar? Kemner weiß: „Es wird ein langer Weg sein.“

Nicht zu unterschätzen ist das psychologische Moment: Die Mitarbeiter müssen, sagt Kemner, bei der Umstellung „mitgenommen werden“.

„Was wir an Porto ausgeben, ist irre“

Kemner glaubt aber nicht, dass es in der Justiz künftig gar kein Papier mehr geben wird. Er denkt zum Beispiel an bestimmte Urkunden und Dokumente. Außerdem: Dem nicht-juristischen Bürger wird die Justiz auch nach 2022 wie bisher auf Papier mitteilen, wenn sie etwas von ihm will. Die Anzahl der Briefe aber wird drastisch sinken.

Und das wird auch Kosten in allen 280 Justizbehörden in NRW sparen: „Was wir an Porto ausgeben, ist irre“, sagte Ministeriumssprecher Peter Marchlewski der WAZ. Außerdem: Papierpost hat in der Regel mindestens einen Tag Laufzeit, bei der E-Post sind es nur Sekunden.