Bochum. Dreiundsiebzigste in Stuttgart. Erhaben erhebt sich Willibald vom Holzschemel und schreitet auf die Keramik. Achtzigste in Stuttgart. Willibald ist zurück am Tresen. Pils. Schnäpsken. Marlboro. Noch immer einsnull. „Da geht noch wat.“ Sekunden später der Todesstoß im Ländle. Um ihn herum ein kollektives Stöhnen. „Dat war’s wohl.“ Ein tiefer Schluck. Ein tiefer Zug. Der VfL ist raus. Willibald ruht in sich.
Willibald, das ist eine Institution, hier in der Weiher Stube, die am Mittwochabend blau-weiß geflaggt hat. Pokal-Viertelfinale, der VfL in Stuttgart, Live-Übertragung exklusiv im Bezahlfernsehen, da können sich Peter und Martin wie die anderen 62 „Sky Sportsbar“-Wirte in Bochum über eine volle Hütte freuen. Im Ehrenfeld ist es Ehrensache: Der VfL wird in der Stammkneipe geguckt.
Die besten Plätze sind weit vor 19 Uhr besetzt. Jung und Älter zwischen Bierchen mit Verstärker und Mettbrötchen mit Zwiebeln: Das hat Tradition in der Fußballpinte. Rentner Willibald hat an der Theke beste Sicht auf eine der beiden Leinwände. Ein Logenplatz. Um ihn herum ist es eng. Dabei ist die Hälfte der Belegschaft vor Ort. Heißt: in Stuttgart. Keine Ahnung, wie die noch alle ‘reingepasst hätten.
Die Weiher Stube wird zum Hexenkessel
Anpfiff. „Pedder, mamma ne Rutsche fettich!“ Jedes Überschreiten der Mittellinie ist ein Fest; jeder Fehlpass bereitet körperliche Pein. „Ich krieg Blutdruck“, packt sich ein Ur-Vfler an die blau gewandete Brust. Die Abwehr steht. Der Angriff lahmt. Das Pils läuft. Szenenapplaus für Luthe. Das 0:1, ein Schock. Willibald steckt sich ‘ne neue Kippe an. Gelassen. Souverän. Wie ein Fels in der Brandung hält er Stellung. Mein Gott, der Mann hat schon Schlimmeres gesehen.
VfL Bochum Saison 2012/13
Zweite Halbdzeit. Die Weiher Stube mutiert zur Ostkurve, der Schiri malt sein eigenes Feindbild. Unsere Jungs erspielen sich endlich handfeste Chancen. „Mach rein die Kirsche!“, brüllt die Brünette am Nachbartisch und kippt vor Aufregung ein Bier um. Über 100 fiebrige Augenpaare kleben an den Leinwänden. Nur Willibald verzieht kaum ein Miene. Pils. Schnäpsken. Marlboro. „Is’ noch nich’ verloren“, lautet seine klug-präzise Analyse, die den geschwätzigen TV-Reporter aber mal ganz locker aussticht.
Beim 2:0 auf dem Örtchen
Dreiundsiebzigste in Stuttgart. Niemand außer den Reporter scheint es zu wundern, dass Willibald ausgerechnet in der spannendsten Phase des Spiels die Örtlichkeiten aufsucht. Warum auch? Passiert ja nichts. Das 2:0 fällt tatsächlich erst, als Willibald gerade wieder Platz genommen hat. Jetzt, erst jetzt ist auch ihm so etwas wie Enttäuschung anzumerken. Egal. Gekämpft und toll mitgehalten hat der VfL allemal.
Samstagmittag sieht man sich wieder. Pils. Schnäpsken. Marlboro. Es geht gegen Kaiserslautern.