Bochum. Hinter Gittern: Sechs WAZ-Leser nahmen am Dienstag an einer exklusiven Führung durch die Bochumer Justizvollzugsanstalt Krümmede teil.

„Auf Wiedersehen“, sagt Uwe Nelle-Cornelsen zum Abschied. Die WAZ-Leser verharren. Nein, alsbald mag niemand zurückkehren. Zumindest nicht freiwillig. Hochinteressant, bewegend, hautnah und gerade deshalb so bedrückend sind die Eindrücke der vergangenen zweieinhalb Stunden – in der Krümmede, im größten Knast des Ruhrgebiets.

„Die WAZ öffnet Pforten“: In der Justizvollzugsanstalt Bochum sind es faustdicke Stahltore, die für unsere Leser aufgeschlossen werden. Helga Manthey, Günter Seck, Elisabeth Rouvel, Bernd und Ingrid Gründer und Kai-Hendrik Borbe haben die exklusive Krümmede-Führung im Rahmen der WAZ-Sommerserie gewonnen. Mit 697 Gefangenen finden sie sich am Dienstag hinter Gittern wieder.

Leibesvisitation und Metalldetektoren sind obligatorisch

Die Eingangskontrollen sind streng. Handy, Geldbörse, Schlüssel etc. müssen in einem Wertfach verstaut werden. Wie auf dem Flughafen gibt es Leibesvisitation und Metalldetektoren. Nur auf das Röntgen der Schuhe wird bei den WAZ-Lesern verzichtet. Das Durchleuchten der Treter ist sonst obligatorisch. „Sie glauben gar nicht, auf welchen Wegen hier versucht wird, Verbotenes einzuschmuggeln“, weiß Rolf Lensing (59), als Leiter des Allgemeinen Vollzugsdienstes Chef von 304 Aufpassern.

Neben Werl und Aachen sitzen in der JVA Bochum die meisten Schwerverbrecher in NRW ein. 37 Lebenslängliche und 77 Sexualstraftäter zählen aktuell dazu. „Manche Straftaten sind an Brutalität und Skrupellosigkeit kaum zu überbieten“, deutet Uwe Nelle-Cornelsen an. Die WAZ-Leser frösteln. Im Hafthaus 4, das gerade modernisiert wird, stehen sie in einer der 623 Einzelzellen. Neun Quadratmeter, Bett, Tisch, Schrank, Klo, Waschbecken, Gemeinschaftsduschen, kein Schloss von innen. Für fünf Minuten lässt der JVA-Chef die Tür verriegeln. Ein Experiment. Beklommenheit steigt hoch. Freiheit, für die meisten von uns selbstverständlich, erfährt plötzlich eine andere Wahrnehmung.

Alltag im Knast

Das große Schaudern folgt im JVA-Altbau. Der stammt aus dem Jahr 1897. Entscheidendes hat sich seither nicht verändert. Allein hier sind 500 Männer eingesperrt. Einige blicken auf den Fluren verschämt nach unten, als sich die Besuchergruppe nähert. Hier sieht es aus wie Knast, hier riecht es nach Knast – auch wenn sich „der Deo-Verbrauch drastisch erhöht hat, seitdem jeder fünfte Vollzugsbeamte weiblich ist“, grinst Rolf Lensing.

Um 5.30 Uhr, erfahren die WAZ-Leser, ist Wecken. Um 6 Uhr gibt’s Frühstück, das wie alle Mahlzeiten in der Zelle eingenommen wird (einen Speisesaal sucht man vergeblich). 500 Knackis kommen anschließend ihrer Arbeitspflicht nach. In den JVA-eigenen Werkstätten im Schatten der VfL-Flutlichtmasten fertigen sie Holzspielzeug, Schränke, Metallwaren für Firmen oder Behörden. Ein Teil des Lohns (täglich 10 bis 15 Euro) muss angespart werden. Bis zu 200 Euro im Monat dürfen für Lebens- und Genussmittel ausgegeben werden.

Test-Essen für die WAZ-Leser 

Nicht alle Häftlinge wollen auf ihre Entlassung warten. Staunend stehen die WAZ-Leser vor Pistolen-Attrappen aus Brotteig, Pappe, Stempelkissen und Zahnpastatuben, die in den Zellen konfisziert wurden. Sogar aus Seife wurden Knarren für den Ausbruch geschnitzt. „Gefangene sind alles, nur nicht dumm“, würdigt Lensing die handwerklichen Fertigkeiten mancher Straftäter. Schade, dass sie ihr Talent nicht sinnvoller eingesetzt haben. Durchaus kreativ sind auch Freunde und Angehörige. Scheinbar verschlossene Suppendosen, gleichfalls präparierte Deo-Sprays oder Feuerzeuge mit verborgener Klinge zeugen von den Versuchen, Waffen, Handys oder Drogen in die Zellen zu schmuggeln. Dieser Tage wurde ein sorgsam verklebtes Päckchen über die Mauer geworfen. Inhalt: zwei Telefone, Haschisch, Tabletten. Ein Schwamm diente als Seitenaufprallschutz.

Nach Kostproben aus dem Gefängnisalltag erwartet die WAZ-Leser ein Test-Essen. Auf den Tisch kommt, was heute Mittag auch die Gefangenen bekommen: Kartoffeln, Sauce, Rotkohl und „falsches Kotelett“; heißt: paniertes Bauchfleisch. Lecker. 25 Häftlinge sind in der Küche beschäftigt. Der Job ist gefragt, genießt in der Knast-Hierarchie höchstes Ansehen. Es gibt sogar eine eigene Diätassistentin. Die WAZ-Esser haben das Privileg, mit normalem Besteck zu speisen. Die Insassen kriegen Messer mit weicher, abgerundeter Klinge.

„Sie haben sich gut benommen. Wir können Sie wieder rauslassen“, sagt Uwe Nelle-Cornelsen. Die WAZ-Leser verlassen den Knast. Freiheit. Kostbare Freiheit.