Bochum. . Sami A. war einst der Bodyguard von Osama bin Laden. Nun lebt A. in Bochum. Hier muss er sich täglich einmal bei der Polizei melden. Hier ist er in der islamischen Gemeinde unerwünscht. Und von hier aus soll er terroristischen Nachwuchs rekrutieren.

Ein ehemaliger Leibwächter Osama Bin Ladens, der seit acht Jahren in Bochum lebt, rekrutiert nach WAZ-Recherchen junge Muslime für den Heiligen Krieg. Der Salafist Sami A. gilt als maßgeblich mitverantwortlich für die Radikalisierung von zwei Mitgliedern der mutmaßlichen Düsseldorfer El-Kaida-Zelle: Der 21-jährige Amid C. aus Bochum und der 28-jährige Halil S. aus ­Gelsenkirchen sollen bei ihm das ideologische Rüstzeug für einen­ Bombenanschlag in Deutschland bekommen haben. Das geht aus Dokumenten der Bundesanwaltschaft hervor, die der Zeitung vorliegen.

Die WAZ Mediengruppe spürte Bin Ladens ­Ex-Bodyguard in der vorigen ­Woche auf. Der 36-jährige Tunesier war sichtlich überrascht. Zu seinen islamistischen Aktivitäten sagte er nichts. Auch auf schriftliche Anfragen schwieg er.

Umso lauter ist die Kritik an den Sicherheitsbehörden. Der Fall schlägt bundesweit Wellen. Ermittler halten Sami A. für „den Dreh- und Angelpunkt der islamistischen Terrorszene an der Ruhr“. Das Bundeskriminalamt (BKA) hat seit geraumer Zeit „umfangreiche staatsschutzrelevante Erkennt­nisse“ über ihn. Auch der NRW-Verfassungsschutz will ihn auf dem Schirm haben. „Wir kennen den“, sagt ein Sprecher von Innenminister Ralf Jäger (SPD).

Notwendige Beweise fehlen bisher

Doch ausschalten können die Behörden den Salafisten bisher nicht. 2006 platzte ein Ermittlungsverfahren des Generalbundes­anwalts wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Die Beweise gegen Sami A. reichten nicht aus für eine Anklage.

2011 scheiterte die Bochumer Ausländerbehörde mit dem Versuch, den Salafisten abzuschieben – vor allem an handwerklichen Fehlern. Denn das Verwaltungs­gericht Gelsenkirchen hält Sami A. für den Schlüssel zu einem Netzwerk, „das es terroristischen Tätern ermöglicht, Kontakte zu knüpfen und Unterstützer zu finden“.

Doch der Stadt Bochum war es nach Auffassung der Richter nicht gelungen, die Gefahrenlage darzulegen, die eine Ausweisung begründen würde. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Über eine mögliche Berufung entscheidet das Oberverwaltungsgericht NRW in Münster.

Seit 1997 in Deutschland

Sicherheitskreise in Berlin sind fassungslos. Der Fall Sami A. sei „ein Offenbarungseid“ für die NRW-Behörden, heißt es. Es gehe nicht an, „dass ein Salafist mit ­dieser Vergangenheit ungehindert Terrorfäden zieht“.

Nach Recherchen der WAZ Mediengruppe ist Sami A. weltweit vernetzt. Er kennt Terroristen persönlich, denen führende Rollen bei den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA und dem Attentat auf die ­Synagoge der Ferieninsel Djerba 2002 zugeschrieben werden.

1997 reiste Sami A. nach Deutschland ein. An der Fachhochschule Niederrhein in Krefeld studierte er zunächst Textiltechnik, später technische Informatik. Als die Stadt Köln im Oktober 2004 seine Aufenthaltsbewilligung nicht mehr verlängerte, zog er Anfang 2005 nach Bochum und studierte dort Elektrotechnik.

In Bin Ladens Terrorcamp „Al Farouk“ lernte Sami A. das Töten 

Kaum ein Bochumer hatte einen berüchtigteren Chef als der Mann aus der Krupp-Wohnung an der Stahlhauser Straße: Sami A. war Leibwächter von Osama Bin Laden. Mit einer Panzerfaust beschützte er den Al-Qaida-Führer in Pakistan, ein Jahr vor den Anschlägen vom 11. September 2001. In Bin Ladens Terrorcamp „Al Farouk“ lernte Sami A. das Töten. In Bochum lebt er. Hier fühlt er sich wohl. Und von hier aus soll er terroristischen Nachwuchs rekrutieren.

Bin Ladens Ex-Bodyguard fährt eine Rex Moto RS 450. Mit dem blauen Motorroller kommt er zügig durch den Bochumer Stadtverkehr. Die erste Tour des Tages führt ihn meist zur Polizei, auch an diesem sonnigen Mittwoch. Täglich erscheint Sami A. auf der Wache an der Schillerstraße: eine Anordnung der Stadt. Die Beamten kennen ihn. „Ach, der Herr A.“, sagt der Diensthabende, „ja, der kommt immer hierher.“

Noch besser bekannt ist Sami A. in Terrorkreisen. Dort hat er viele Freunde. Seit mindestens 13 Jahren.

Sami A. wohnt im Gästehaus der Al-Qaida in Kandahar

Mitte Dezember 1999 reist der Tunesier nach Pakistan. Sieben Monate bleibt er dort. Sami A. wohnt im Gästehaus der Al-Qaida in Kandahar. Empfangen wird er von Abu Hafs Al Masri, Bin Ladens Stellvertreter und Al-Qaida-Militärchef. Sami A. ist in prominenter Terrorgesellschaft. „Besonders herzlich begrüßt“ habe ihn Ramzi Binalshibh, sagt ein Augenzeuge.

Binalshibh gilt neben Mohammed Atta als treibende Kraft der 9/11-Anschläge; er sitzt heute in Guantanamo. Im Qaida-Quartier trifft Sami A. auch den späteren Djerba-Mitattentäter Christian Ganczarski; der Deutsch-Pole aus Mülheim verbüßt in Frankreich eine 18-jährige Haftstrafe. Und es gibt ein Wiedersehen mit Abu Dhess, der 2005 als Terrorist zu acht Jahren verurteilt wird.

Sami A. hält in Bochumer Moscheen religiöse Vorträge 

In diesem Kreis durchläuft Sami A. eine 45-tägige Militärausbildung. Danach der Ritterschlag: Er rückt in Bin Ladens Leibgarde auf. Mit geschulterter Panzerfaust sichert er den Al-Qaida-Chef.

Seit Januar 2005 lebt Sami A. in Bochum. Die Waffe, mit der er hier für den Sieg des radikalen Islamismus kämpft, ist der Heldenruf, der ihm vorauseilt. Sami A. schreit nicht herum wie andere Hassprediger. Wer den Fürsten der Finsternis bewacht hat, muss das nicht. Sami A. verbreitet den Salafismus leise und sanft. In der Terrorszene gilt er als Lichtgestalt. Radikale Islamisten huldigen ihm. Für Jugendliche, die Orientierung suchen, kann einer wie Sami A. der Fixpunkt werden.

Im Frühjahr 2007 ist der Bochumer Amid C. 16 und besucht die Hans-Böckler-Realschule. Kurz nachdem er den Prediger Sami A. kennengelernt hat, wendet er sich ab vom westlich geprägten islamischen Glauben seiner Familie. Abrupt lebt Amid C. streng konservativ. Er hört mit dem Boxen auf, lässt sich einen Bart wachsen, trägt traditionell islamische Kleidung. Mitschüler hänseln ihn, rufen ihn „Bombenleger“ und „Terroristen“. Amid bricht mit Freunden und betet fünfmal die Woche. Er geht in die Khaled-Moschee des Islamischen Kulturvereins und in die Moschee der Islamischen Gemeinde an der Dibergstraße. Sami A. hält in beiden Häusern religiöse Vorträge.

Koran-Unterricht auch in Bochumer Stadtpark 

Der Gelsenkirchener Halil S. kommt aus einer gemäßigten Sunniten-Familie. Der Vater legt mehr Wert auf Ausbildung als auf religiöse Vorschriften. S. studiert in Bochum, wohnt im Uni-Center. Ab 2007 besucht er die Khaled-Moschee und die Gebetsstätte an der Dibergstraße. Sami A. ist auch da. Halil S. verändert sich. Er gibt Frauen nicht mehr die Hand, spricht nicht über Sexualität, besucht keine Partys mehr, trägt Vollbart.

Am 8. Dezember 2011, als die GSG 9 ihn aus seiner Studentenbude holt, ist die Mobilfunknummer eines „Abu Mujtaba“ in seinem Handy gespeichert. Abu Moujtaba, häufiger Abu Almoujtaba – das sind Decknamen, unter denen Sami A. unterwegs ist. Als Abu Almoujtaba predigt er, liest aus dem Koran, unterweist Schüler, in Gebetshäusern und in geschlossenen Internet-Foren, zuweilen auch in einem Bochumer Stadtpark.

Sami A. erinnert den Islamwissenschaftler Asiem El Difraoui an Omar Bakri. Dieser syrische Fundamentalist und Hassprediger nennt die Attentäter vom 11. September 2001 „Die glorreichen 19“ und will „die islamische Fahne über der ganzen Welt wehen“ sehen. „Sami A. ist vorsichtiger, subtiler, schlauer“, sagt El Difraoui, „aber auch er ist eine Vaterfigur des Dschihad“. Seine Leibwächter-Rolle bei Bin Laden mache ihn gefährlich. „Der muss nicht mehr selbst in den Krieg ziehen. Der weist anderen nur den Weg. Sie folgen.“

„Ja, der Herr A. besucht jede Moschee, leider“

Bochums Muslime stöhnen. „Ja, der Herr A. besucht jede Moschee, leider“, sagt Talha Kali, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Bochumer Moscheen und der Islamischen Gemeinde. „Klar, der hat hier Vorträge gehalten und ein paar Jugendliche unterrichtet.“ Sami A. sei nicht von der Gemeinde als Prediger engagiert worden. Er habe „frei unterrichtet“ – auch die beiden jüngsten Angeklagten im Düsseldorfer Terrorprozess. Für die Bundesanwaltschaft steht fest, dass sich der verkrustete Glaube von Amid C. und Halail S. „erst durch dieses Verhältnis zwischen Prediger und Zuhörer vertiefte“.

Die Islamische Gemeinde Bochum will Sami A. lange nicht beachtet haben. Spät habe man erfahren, dass er Salafist ist. Heute sei er „eine unerwünschte Person“. Auch im Islamischen Kulturverein. „Radikale haben bei uns nichts zu suchen“, sagt der Vorsitzende Dress Squali. Dass ein Schatten der Vergangenheit über dem Haus liegt, weiß er. In der Khaled-Moschee hat schon einer der Attentäter vom 11. September 2001 gebetet: Ziad Jarrah, einer der Entführer des Flugzeuges, das auf einem Feld in Pennsylvania zerschellte.

Sami A. sei zuletzt „vor einigen Monaten hier gewesen“, sagt Squali. Er bemängelt, dass die Moscheevereine nicht früher Hinweise von Sicherheitsbehörden bekommen. „Dann könnten wir reagieren.“

Abu Almoujtaba predigt weiter – im Internet 

Sami A. schweigt gegenüber der WAZ Mediengruppe auf alle Fragen. In einem Internet-Video predigt er: „Diejenigen, die an den Propheten glauben, sind deine Familie. Ungläubige sind nicht deine Familie, auch wenn es deine Frau ist, dein Sohn ist – spielt keine Rolle bei Allah.“

Amid C. sitzt seit dem 29. April 2011 in der Justizvollzugsanstalt Wuppertal, Halil S. seit dem 8. Dezember 2011 in der JVA Bochum. Sie sollen Al-Qaida-Mitglieder sein und einen Sprengstoffanschlag in Deutschland geplant haben. Bei einer Verurteilung drohen ihnen bis zu zehn Jahre Haft.

Vorträge von Abu Almoujtaba werden derzeit im Internet angekündigt. Sein aktuelles Thema: „Was jeder Muslim wissen muss“.