Berlin. Gesucht wird: Denis Cuspert. Deutschlands radikalster Salafist ist spurlos verschwunden. Seit Wochen wird nach ihm gefahndet. Verfassungsschutz und Polizei verloren ihn aus den Augen. Terrorexperten sehen ein unkalkulierbares Risiko. Cuspert ruft zu Selbstmordanschlägen auf.

Am 7. Januar 2011 schreibt der 20-jährige Arid Uka auf seiner Facebook-Seite: „Abou Maleeq, ich liebe dich für Allah!“ Zwei Monate später fährt er zum Frankfurter Flughafen und erschießt zwei US-Soldaten. Am 18. Oktober 2011 beschreibt Abou Maleeq seinen Märtyrertod als Selbstmordattentäter: Sterben wolle er „in der besten Art und Weise, in den kleinsten Häppchen, in den kleinsten Stückchen bis zur Unkenntlichkeit.“ Acht Monate später taucht er ab, Abou Maleeq alias Abu Talha al-Almani, neuerdings Abu Mudjahid al-Almani, bürgerlich Denis Cuspert. „Wie kann das passieren?“, fragt sich ein Ermittler. „Und was passiert jetzt?“

Seit einem Monat ist Cuspert verschwunden. Die Öffentlichkeit erfuhr nichts davon, auch nichts von der bundesweiten Fahndung nach dem Dschihadisten. Ein Hinweis hätte „die Chance eingeschränkt, ihn zu fassen“, heißt es in Sicherheitskreisen. Tatsache ist: Die Chance eines Zugriffs gab es schon viel früher. Doch sie blieb ungenutzt.

Verfügung belastet Cuspert schwer

Eine Strafanzeige hätte direkt aus der Verbotsverfügung von Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) gegen den Salafisten-Verein Millatu Ibrahim gezogen werden können. Diese Verfügung, die der WAZ vorliegt, belastet Cuspert schwer. Mehrfache Verstöße gegen das Grundgesetz sind in dem Dokument belegt. „Damit hätte man leicht einen Haftbefehl bekommen können“, sagt ein Ermittler, „wegen Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat.“ Doch eine Strafanzeige wurde nicht gestellt.

Es ist nicht die einzige Panne im Fall Cuspert. Verfassungsschutz und Polizei hatten den Deutsch-Ghanaer zunächst auf dem Schirm. Er wurde observiert. Doch als es wichtig wurde, waren die Behörden nicht zur Stelle. Der Leichtsinn, den radikalen Salafisten unbewacht laufen zu lassen, beschert Terrorexperten jetzt ein Krisenszenario: Cuspert, der geistige Brandstifter des verbotenen Salafisten-Vereins Millatu Ibrahim, im Untergrund, außer Kontrolle – „das ist ein neues Gefährdungspotenzial“, sagt ein Sicherheitsmann.

Unkalkulierbares Risiko

Ein ganz aktuelles islamistisches Video im Internet bestätigt diese Einschätzung. Der Streifen setzt die al-Qaida-Führer Osama bin Laden, Aiman al-Zawahiri und Abu Faradsch al-Libi ins Bild, auch die Bonner Brüder Mounir und Yassin C., die Deutschland wiederholt mit Terroranschlägen drohten. Cuspert stimmt dazu den Kampfgesang an. „Wo sind die Löwen dieser Zeit?“, fragt er und spornt Gotteskrieger an: „Trainiere deinen Körper, Mudschahed lauf, lauf Berge auf und ab, bleib nicht zu Haus. Lass uns Rache nehmen.“

Ähnlich inspiriert zeigte sich Cuspert schon beim Aufeinandertreffen gewalttätiger Salafisten und der Polizei im Mai. In Köln und Bonn trat er als Einpeitscher auf. Später legitimierte er die Messerstiche des Salafisten Murat K., die zwei Polizisten schwer verletzten. Eine Woche darauf fanden Ermittler der Staatsanwaltschaft eine Sprengstoffweste, die Cuspert nach Erkenntnissen des Bundesinnenministeriums gebaut hat. Sie hatte zehn Halterungen für Spreng- und Brandsätze. Die Weste passt nahtlos zu einer Terror-Hymne von Cuspert: „Sie werden kommen aus aller Welt, zum Sterben sind sie auserwählt. Wir geben unseren Schweiß und unser Blut, darum sterben wir.“

Für den Innenminister steht fest: Cuspert billigt „jedes Mittel, auch den Einsatz von Selbstmordattentaten mit Sprengstoffwesten“, um den Heiligen Krieg zum Sieg zu führen. Das berge „ein unkalkulierbares Eskalationspotenzial“.